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Radiergummi der „neuen Menschen"

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Eröffnet die Geschichte politischer Dummheit eine Chance, klug zu werden am Leitfaden ihrer Aufklärung? Man wird die Erwartung wohl nicht zu hoch spannen dürfen.

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Eröffnet die Geschichte politischer Dummheit eine Chance, klug zu werden am Leitfaden ihrer Aufklärung? Man wird die Erwartung wohl nicht zu hoch spannen dürfen.

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Macht: Sie macht dumm, weil sie das Lernen ersetzt. Der Mächtige muß sich nicht anpassen; er zwingt die anderen zur Anpassung. Er formt die Verhältnisse so, wie er sie haben will. Nur der kleine Mann braucht die Schlau-

heit des Schwejk zum Uberleben.

Der Mächtige hört schlecht. Was er hört, sind die Stimmen der Schmeichler. Und die haben, um ihre Stellung am Thron zu halten, wiederum ein Interesse daran, Warner als Böswillige, als Feinde

zu disqualifizieren. „Schwarzsehen dulde ich nicht!“ hieß ein kaiserlich wilhelminischer Kernspruch der Dummheit.

Tauchen dennoch Schwierigkeiten auf, so liegt es nahe, ihnen mit den Mitteln zu begegnen, die man hat: mit Machtsteigerung und Machtkonzentration. So ist der Weg in die Sackgasse programmiert.

Hochmut: Unwillkürlich hält der Mächtige sich für weiser, ja für besser als andere. Er ist auserwählt. Wie wäre er sonst mächtig geworden? Zur Verachtung der „anderen“ ist es dann nur ein Schritt.

Hochmut blockiert abermals das Lernen. Um auch das an einer vormenschlichen Geschichte an-

schaulich zu machen: Verhaltensforscher hatten auf einer Pazifikinsel eine Affenherde ausgesetzt. Eines Tages entdeckte ein Jungaffe, daß das ausgelegte Futter nicht bloß sauber wurde, sondern — wegen des Salzes — auch besser mundete, wenn man es im Meer wusch.

Bald lernten viele Tiere die neue Technik. Nur der Boß, der Oberaffe, lernte nicht. Wie sollte er? Sollte er „zugeben“, daß Rangniedere entdeckt hatten, worauf er nicht gekommen war?

Vielleicht signalisiert die Geschichte noch einen weiteren Faktor: Angst - untergründige Angst vor dem Verlust der Macht. Solche Angst weckt die Gier nach Aggression, um zu zerschmettern.

was Angst macht.

Und sie führt in einen fatalen Zirkel; sie steigert den Hochmut noch, der vor dem Fall kommt. Denn je abgründiger die anderen sich als minderwertig darstellen, um so undurchdringlicher panzert sich deren Verfolgung mit dem guten Gewissen — bis hin zur „Endlösung“.

Die Geschichte von Mächtigen und Machteliten, die, unfähig zum Lernen, zum Wandel, zur Anpassung an neue Erfordernisse, sich selbst zum Untergang verurteilen: Man gerät in Versuchung, von jenem sprichwörtlichen roten Faden zu reden, der sich durch die Weltgeschichte zieht.

Uberdenkt man das Skizzierte, so gibt es wohl nur ein probates

Mittel, um die Wechselwirkung von Macht und Dummheit zu unterbrechen: institutionalisierte Konkurrenz.

Bekanntlich handelt es sich um eine Idee des klassischen Liberalismus. Sie gilt zunächst auf wirtschaftlichem Felde: Wo Konkurrenz herrscht, findet eine dauernde, quasi-natürliche Auslese statt, zum Lohn der Klugen und zur Strafe der Dummen. '

Denn das Unternehmen, das verholzt, das nicht zur Zukunft gerichtet investiert, sondern sich auf die Produkte, Techniken, Or-ganisatiönsformen und Absatz-strategißn verläßt, mit denen es gestern noch erfolgreich war — ein solches Unternehmen befindet sich bereits auf der abschüssigen Straße, an deren Ende so geduldig wie unerbittlich der Konkursrichter wartet.

Auf politischem Felde hofft man ähnliches zu erreichen durch das Wechselspiel von Regierung und Opposition in der parlamentarischen Demokratie, das die Macht immer nur auf Zeit und Widerruf ausleiht.

„Alle Versuche, den .neuen Menschen' zu schaffen, sind gescheitert“

„Durch Erfahrung klug werden“, sagt eine bekannte und unter Umständen wohlbegründete Redewendung. Nur: Welche Erfahrungen, welche Umstände sind gemeint?

Offensichtlich gibt es bornierte Erfahrungen: „Ich kenne die Russen, mir kann man nichts erzählen; im Krieg, als Soldat und Gefangener habe ich mit ihnen zu

tun bekommen. Also, ich sage Ihnen...

Nach diesem Muster laufen, nicht bloß am Stammtisch, unzählige Gespräche ab, in denen Erfahrungen vorgewiesen und zu Keulen gemacht werden, um damit den Andersdenkenden zu erschlagen. Das Zufällige versteinert zum Allgemeinen, das es nicht ist.

Erfahrungen, die tatsächlich klüger machen, dürften nicht im Zufälligen und Besonderen sich verfangen, sie müßten zum wirklich Allgemeinen, zum menschlich und menschheitlich Gültigen durchdringen.

Was das ist, läßt sich vielleicht in den Satz Immanuel Kants fassen: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ Oder mit Konrad Adenauer zu reden: „Herr von Guttenberg, Sie müssen die Menschen nehmen, wie sie sind. Es gibt keine anderen.“

Das heißt: Alle Versuche, den „alten Adam“ auszutreiben und einen „neuen Menschen“ zu schaffen, eine vollkommene Ord<-nung, eine heile, perfekte Welt des absolut Guten und Gerechten, den erneuerten und end-gültigen Garten Eden - alle diese Versuche bleiben zum Scheitern verurteilt.

Aber es gibt eine Immunisierungsstrategie gegen die geschichtlichen Erfahrungen. Sie sagt: Gewiß, bisher sind alle Versuche mit dem „neuen Menschen“ gescheitert. Doch das lag daran, daß man erstens falsche Rezepte wählte und zweitens nicht entschlossen genug handelte. Wir aber haben gefunden, worauf es ankommt. Vorwärts und hinweg mit jenen angeblichen Erfahrungen, die'bloß eine Erfindung der Menschheitsfeinde im Widerstand gegen das Menschheitsheil sind!

Freilich muß darum der neue Mensch mit der Zerstörung des alten beginnen, mit dem Ausradieren all dessen, worauf Erfahrung sich beruft...

Eröffnet mithin die Geschichte politischer Dummheit eine Chance, klug zu werden am Leitfaden ihrer Aufklärung? Man wird die Erwartung wohl nicht zu hoch spannen dürfen.

Der Autor ist Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Göttingen. Der Beitrag ist ein Auszug eines Vortrages anläßlich der Präsentation des Buches „Nachdenken über Politik“ in Wien.

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