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Radikale Übersteigerung

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Ende der siebziger Jahre glaubte man, den politischen Terror in Europa im Griff zu haben. Jetzt wird wieder gebombt und gemordet. Polizeimaßnahmen allein genügen nicht, meint der bundesdeutsche Politikwissenschafter Karl Dietrich Bracher.

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Ende der siebziger Jahre glaubte man, den politischen Terror in Europa im Griff zu haben. Jetzt wird wieder gebombt und gemordet. Polizeimaßnahmen allein genügen nicht, meint der bundesdeutsche Politikwissenschafter Karl Dietrich Bracher.

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FURCHE: Angesichts der jüngsten Terrorwelle in Europa stellt sich die Frage, ob wir es heute mit einer neuen Form des politischen Terrorismus zu tun haben, der sich von dem der siebziger Jahre unterscheidet.

KARL DIETRICH BRACHER: Die Ähnlichkeiten sind größer als die Unterschiede, vor allem was die Motive anlangt. Ende der sechziger Jahre wurden jene Klischees und Auffassungen geboren, die bis zum heutigen Tag wirken: Antiimperialismus, Antika-pitalismus, die schonunslo'se, radikale Kritik am „System”, teilweise sogar im Namen der Demokratie.

Nach der Verhaftung eines großen Teils der sogenannten Zweiten Generation der deutschen Terroristen hat es eine Inkubationsphase gegeben. Und die Kontinuität der Terrorbewegung beweist nicht zuletzt auch die Tatsache, daß der Hungerstreik der „Zweiten Generation” in den Gefängnissen die terroristischen Aktivitäten der „Dritten Generation” erst in Gang gesetzt hat.

FURCHE: Gibt es so etwas wie spezifisch deutsche Wurzeln und Motive für den politischen Terrorismus?

BRACHER: Schon in den siebziger Jahren habe ich die Auffassung vertreten, daß Terrorismus mehr ist als Kriminalität. Vor allem die Motive der deutschen Terroristen liegen mehr im Ideologischen.

Zum einen hängt der deutsche Terrorismus eng mit der Studentenprotestbewegung der sechziger Jahre zusammen. Damals wurde bei uns zum Beispiel auch die Gewaltdiskussion anders als in anderen Ländern geführt, mit theoretischen Begründungen wie strukturelle Gewalt und der Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen.

Leider muß man auch feststellen, daß die Deutschen nach wie vor ein gebrochenes Verhältnis zu einer gemäßigten Politik haben. Die radikale Ubersteigerung und die Verabsolutierung der eigenen Position, die Rigorosität in der Politik sind bei der Suche nach den Wurzeln des Terrorismus schon das Entscheidende.

FURCHE: Welche Rolle spielt das Fehlen einer starken linken oder kommunistischen Partei in der Bundesrepublik?

BRACHER: Von Anfang an war die kommunistische Partei bei uns sehr schwach. Dazu kommen natürlich die Existenz der DDR und die ständige Konfrontation mit ihr.

Wenn der linke Radikalismus nun nicht von einer Linkspartei absorbiert wird, dann geht er zwangsläufig so seine eigenen Wege. Er wird dann leicht zu einem pseudoidealistischen Linksradikalismus.

Dennoch haben die Terroristen — vor allem in den siebziger Jahren — über ihren idealistischen Anspruch viele Sympathien gewonnen. Damals waren viele Menschen der Meinung, man müsse die Terroristen verstehen, sie wären in Wahrheit ja Idealisten, die gegen „das Schlechte” in der Welt kämpfen.

FURCHE: Warum sind denn nicht die Grünen zur politischen Heimat der „heimatlosen Linken” geworden? Warum gibt es neuen Terrorismus trotz starker Präsenz der Grünen im Bundestag und in den Länderparlamenten?

BRACHER: Die neue Terrorwelle bringt die Grünen in eine gewisse Verlegenheit. Zumindest bei einem Teil der Grünen gibt es latent Sympathien für linksradikalen Protest in Form des Terrorismus.

Außerdem haben die Grünen insgesamt bis heute ihr Verhältnis zur Gewalt und Gewaltanwendung nicht restlos geklärt, noch immer keine deutliche Absage an die Gewalt als Mittel in der Politik vorgenommen. Ihre unklare Haltung kann deshalb in Terroristenkreisen vielleicht auch als Unterstützung verstanden werden.

FURCHE: Was hat sich nun konkret gegenüber den siebziger Jahren verändert?

BRACHER: Das geistige Umfeld ist für den Terrorismus ungünstiger .geworden. Inzwischen sind andere Protestbewegungen entstanden, mit anderen Zielsetzungen und Stoßrichtungen.

Seinerzeit war die Protestbewegung sehr fortschrittsfreudig, heute dominieren pessimistische und antizivilisatorische Töne.

Auch haben an den Universitäten die gewalttätige Form des Protestes, die totale Ablehnung des bestehenden Systems sowie die Neigung, in der Diskussion alles zunächst einmal als faschistisch zu bezeichnen, abgenommen.

Dieses Umdenken hat in erster Linie die Haltung der Sowjetunion in der Entspannungspolitik bewirkt. Nicht nur die sogenannte '68er-Generation hat dabei neue Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt.

FURCHE: Umweltkatastrophen und nukleare Hochrüstung bedrohen unsere Welt. Wem nützt es da, daß wir durch politischen Terror noch mehr verunsichert werden?

BRACHER: Es nützt jenen, die ein Interesse daran haben, daß die westlichen Demokratien in ihrem inneren Zusammenhang geschwächt werden. Der Terrorismus im Westen nützt daher vor allem der Sowjetunion, denn er scheint ihre These von der Morbidität, vom politischen Werteverfall dieser Gesellschaften zu bestätigen.

Damit behaupte ich allerdings keinen direkten Zusammenhang, aber wie bei der sogenannten Friedensbewegung bestehen indirekte Verbindungen. Auch bei der deutschen Friedensbewegung gab es gewisse Einordnungen in das, was gerade am Verhandlungstisch in Genf passiert ist.

FURCHE: Welche politische Aufklärungsarbeit gilt es hinsichtlich des politischen Terrorismus noch zu leisten?

BRACHER: Wir müssen in erster Linie vermitteln, daß Demokratie kein perfektes Ideal ist, daß Idealvorstellungen von der Demokratie unglaubwürdig sind. In der Demokratie gelangt man immer nur zu annähernd richtigen Lösungen.

Deshalb müssen die Politiker den Kompromiß als echten Wert und nicht nur als Hilfsmittel stärker herausstellen. Beim Kompromiß geht es immer wieder darum, daß die Menschen miteinander auskommen. Das ist ja die eigentliche Aufgabe der Politik, obwohL eine solche Politik nicht so heroisch aussieht.

Ideologie ist Selbstüberhebung, Demokratie ist Selbstbeschränkung.

Karl Dietrich Bracher ist Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Bonn. Das Gespräch führte Tino Teller.

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