Der brasilianische Präsident General Emilio Garrastazü Medici hat kürzlich eine Reinigungsaktion im Säo Pauloer Polizeipräsidium verfügt, bei der 21 Beamte abgesetzt und 22 pensioniert wurden. Dabei handelt es sich vor allem um Erpressergruppen. Korruptionsaffairen und Willkürakte, bei denen oft Menschen zu Tode kommen, füllen seit Jahren die Spalten der brasilianischen Presse. Dabei steht jetzt wieder die Tätigkeit der „Todesschwadronen“ („Esquadräos da Morte“) im Mittelpunkt der Diskussionen. Der Polizeiberichterstatter der Säo Pauloer Nachmittagszeitung „Jornal da Tarde“, Percival de Souza, hat eine Zusammenfassung seiner Reportagen unter dem Titel „Tausend Tote“ veröffentlicht und hierbei die Todesschwadronen als die „blutigste Terrorbande unserer Geschichte“ bezeichnet.
Seit vielen Jahren versickern unzählige Prozesse — vor einiger Zeit 600 allein im Staate Rio de Janeiro — in den Aktenschränken, weil jene, die Verbrechen begehen und jene, die sie bekämpfen, identisch sind. Zuweilen werden allzu skandalöse Fälle sogar gesühnt. So wurde der frühere Unteroffizier der Militärpolizei Jose Alves da Silva wegen des Mordes an dem Kriminellen „Claudiäo“ kürzlich zu 19 Jahren und elf Monaten Gefängnis verurteilt; in seinem Prozeß entschlüpfte seinem Anwalt der vielbeachtete Satz: „Ich werde von der Vereinigung der Polizeikommissare bezahlt, um die unschuldigen Männer der Schwadron zu verteidigen.“ Ein anderes prominentes Mitglied einer Schwadron, Tranca Rüa, wurde wegen Mordes verurteilt.
Anfang November 1973 haben die „Todesschwadronen“, die laufend anonyme Mitteilungen mit ihrem Stempel (Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen) an die Redaktionen der Zeitungen und Radiostationen senden, mitgeteilt, daß sie unter neuer Leitung „ihre Tätigkeit wieder aufgenommen haben“ und für jeden ermordeten Polizisten zehn Kriminelle umlegen würden. Drei Tage später wurden die Leichen von zehn Räubern auf einer verlassenen Straße, wenige Kilometer von Rio de Janeiro entfernt, gefunden. Fast gleichzeitig wurden fünf Verbrecher als Rache für den Tod eines Militärpolizisten (Gilberto Ubirajarä Fer-riera), der bei einem Bankraub erschossen worden war, umgebracht.
Die größte Sensation im Kampf gegen die „Todesschwadronen“ ist der Haftbefehl gegen den Polizei-kommissar Sergio Fernando Paran-hos Fleury, gegen den nach Erklärung des Ersten Kriminalgerichts klare Beweise für die Ermordung eines Rauschgifthändlers vorliegen, dessen Leiche im Fluß Sapucai im Staate Minas Geraes gefunden wurde. Gegen Fleury sind neun weitere Strafprozesse anhängig, er konnte aber bisher dem Haftbefehl entgehen. Fleury, der eine führende Rolle in der DEOPS — der politischen Staatspolizei von Säo Paulo — spielt, ist vor allem durch die erfolgreiche Bekämpfung der Guerril-leros berühmt geworden. Auf dem Höhepunkt ihrer Tätigkeit wurden diese von Carlos Marighela geleitet, dem Chef der VPR („Revolutionäre Volks-Vorhut“), der durch sein blutrünstiges Buch über die Guerrilla-methoden Weltruf erlangt hat. Fleury lockte ihn Ende 1969, fünf Kilometer von Säo Paulo entfernt, dn einen Hinterhalt und erschoß ihn.
Fleury ist eine der interessantesten Persönlichkeiten der „Todesschwadronen“. Sein Vater war Gerichtsarzt in Säo Paulo und starb an einer Blutvergiftung, die er sich bei einer Sezierung in der Anatomie zugezogen hatte. Als Gegenleistung übernahm der Staat die Ausbildungskosten Fleurys und nahm ihn mit 17 Jahren als Untersuchungs-beamten in die DEOPS auf. Durch seine enge Verbundenheit mit der Kriminalpolizei und seine sensationelle Karriere bei der Terrorbekämpfung verfügt er über derartige persönliche Verbindungen, daß man an seiner Verurteilung zweifelt.
Die „Todesschwadrone“ werden nicht selten als eine Art von rechtsextremistischen Guerrilleros betrachtet, doch ist dies irrig. Sie sind eine Abwehrorganisation der Kriminalkommissare, die sich systematisch für den Tod von Kollegen an Verbrechern rächen. Dabei sind ihre in Jahrzehnten entwickelten Methoden, bei denen sie nicht selten auch Unschuldige umbringen, ins Verbrecherische abgeglitten. Ihre Bekämpfung ist bis zu einem hohen Grade eine Machtprobe zwischen der Justiz und der Polizei als Exekutive geworden.