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Rätsel einer Nachbarschafts

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Die deutsche Welt ist erheblich anders als die österreichische. Und den Unterschied analysiert Engelbert Washietl in seinem Buch über „Österreich und die Deutschen“.

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Die deutsche Welt ist erheblich anders als die österreichische. Und den Unterschied analysiert Engelbert Washietl in seinem Buch über „Österreich und die Deutschen“.

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Engelbert Washietl hat die Jahre von 1979 bis 1985, in denen er für „Die Presse“ als Korrespondent in Bonn tätig war, gut genützt. Außer der gewissenhaften Beobachtung der deutschen Tagespolitik und ihrer Berichterstattung nach Wien wollte er jedoch tiefer schürfen und den ganzen Komplex der Beziehung zwischen Österreich und den Deutschen im Lichte der Gegenwart ausleuchten.

Dabei war sein Ehrgeiz keineswegs darauf gerichtet, den Historikern ins Handwerk zu pfuschen. Ein Rückgriff tief in die Geschichte erwies sich zudem als unnötig. Einige Streiflichter auf das Wechselspiel der Beziehungen, welches zwischen Anziehung und Absto-

ßung in diesem Jahrhundert pendelte, genügte, um rasch auf die Gegenwart zu sprechen zu kommen.

Die üblichen Kommuniquetexte bei offiziellen Begegnungen auf Regierungsebene von den „problemlosen Beziehungen“ erwiesen sich dabei ebenso oberflächlich wie die Reiseeindrücke deutscher Urlauber von Tiroler Heimatabenden oder von weinseligen Grinzing-Besuchen. Diese Eindrücke korrespondieren — nebenbei bemerkt - mit dem Deutschlandbild gewisser minder- oder überwertigkeitskomplexbehafte-ter Österreicher.

„Deutschlandbild“. Hier stocke ich schon.

Bekanntlich gibt es heute ja zwei „Deutschländer“. Auch um diese Problematik der Beziehungen zwischen Wien und Bonn einerseits und jenen zwischen Wien und Berlin-Ost schlägt der Autor keinen großen Bogen. Er spricht sogar von „Dreiecksbeziehungen“, die sich freilich lange Zeit gegen manches Unverständnis des offiziellen Bonn erst durchsetzen mußten. Nicht abträglich, sondern im Gegenteil, eher förderlich war dabei das sich entwik-kelnde österreichische Selbstverständnis, welches sich gegen historische Formeln, die nur mehr in der rechten Ecke des politischen Spektrums gebraucht werden, durchzusetzen wußte.

Mit Recht notiert Washietl: „Ob die Österreicher Deutsche seien, kann vielleicht noch auf einem Historikersymposion erörtert oder in einem Leitartikel abgehandelt werden, die Frage würde aber beim Durchschnittsösterreicher weder auf Zustimmung noch Ablehnung, sondern auf Ver-ständnislosigkeit stoßen. Die Alternative, .großdeutsch“ oder .kleindeutsch', die in der Schlacht von Königgrätz 1866 beantwortet, aber noch nicht beseitigt worden war, hat sich aufgelöst.“ (Seite 39)

Oder an anderer Stelle: „Es hat sich ein Nebeneinander zum allseitigen Vorteil entwickelt, ohne die Pflicht oder den Luxus Österreichs, sich mit dem Gedanken herumzuschlagen, zu all dem auch noch deutsch sein zu müssen.“ (Seite 41)

Wie sehr aber diese Fragestellungen der Vergangenheit noch um 1955 in Bonn nur widerwillig aufgegeben wurden, davon mußte sich der Autor bei einem Blick in bereits freigegebene deutsche Archive überzeugen. In so manchen Berichten der damaligen Handelsmission in Wien als Vorläufer einer Botschaft der Bundesrepublik wurde jede Betonung österreichischer Eigenständigkeit sofort als Animosität gegen den deutschen Nachbarn interpretiert und den Informationen einer etwas dubiosen Münchner Studiengruppe „Süd-Ost“ Glauben geschenkt: Nicht nur im österreichischen Außenamt sondern auch in einzelnen Redaktionen, so auch in der FURCHE, sah man dort „deutschfeindliche“ und „aus-troslawische“ Kreise am Werk

(FURCHE 44/1987).

Das mag Vergangenheit sein. Was die Gegenwart trübt, sind das Unverständnis und oft auch die Häme, mit der bundesdeutsche Journale—allen voran „Der Spiegel“ und „Die Zeit“ - über die im kommenden Monat zum fünfzigsten Mal sich jährenden Märztage Anno 1938 reflektieren. Propagandafotos aus den NS-Archiven werden in Uberfülle dargeboten und als einzige Wahrheit über jene Jahre propagiert. Uber die Opfer des jahrelangen Kampfes gegen den NS-Untergrund in Österreich - es gab zwischen 1933 und 1938 immerhin Hunderte Tote auf seiten des Bundesheeres und der antinationalsozialistischen Wehrverbände, über den bitteren Weg von 70.000 Verhafteten in die Konzentrationslager wird—so sie nicht jüdische Mitbürger waren — gerne hinweggesehen.

Ein eigenes Kapitel ist die Rolle jener von „Austromasochismus“ besessenen Österreicher in bundesdeutschen Redaktionen. Hier feiert eine „Osterreichische Legion“ unseligen Angedenkens fröhliche Urständ—mag sie auch diesmal von linken Positionen aus operieren.

All dem entgegen steht die von all dem unbeeinflußte Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen zwischen den deutschen Staaten und Osterreich sowie die regen menschlichen Kontakte zwischen Deutschen und Österreichern. Sie sind von Verständnis und Freundschaft getragen, frei von ..Berührungsängsten“ ebenso wie von falscher „deutscher Brüderlichkeit“.

ÖSTERREICH UND DIE DEUTSCHEN. Von Engelbert WashietL Verlag Ueberreuter, Wien 1987.179 Seiten, Ln.. öS 198,-.

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