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Rajiv Gandhi rettet den indischen Bundesstaat

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Der 25. September wird als Wendepunkt in die Geschichte der 38jährigen indischen Republik eingehen. Das nordwestliche Grenzland Punjab, seit 1980 Schauplatz ethnisch-religiöser Konflikte, bekannte sich anläßlich der Neubestellung seines Landtages zur Wahrung seines politischen Sonderstatus.

Die Religionsgemeinschaft der. indischen Sikhs, die 63 Prozent der Bevölkerung des Punjab stellt, will sich zu dem von Hindus dominierten restlichen Indien in gebührender Distanz halten, ohne jedoch die demokratischen Spielregeln der indischen Verfassung zu verletzen. Und die große Uber-raschung dieses indischen Spätmonsun-Tages war, daß Rajiv Gandhis Zentralregierung in Neu Delhi den „Sonderfall Punjab“ voll und ganz akzeptierte und damit das Bekenntnis zu einem neuen indischen Föderalismus ablegte.

Vor genau einem Jahrzehnt sah Indiens politische Szene weniger rosig aus. Nachdem Premierministerin Indira Gandhi von einem nordindischen Regionalgericht korrupter Wahlpraktiken beschuldigt worden war und um die eigene Machtposition fürchten mußte, flüchtete sie Mitte 1975 in den politischen Ausnahmezustand.

Die Suspendierung aller bürgerlicher Grundfreiheiten aber war nur der Anfang einer langen Reihe von autokratischen Machteskapaden. Sanjay Gandhi, Indiras jüngster Sohn, durfte sich mit dem Segen seiner Mutter auf dem besten Weg wähnen, eines Tages deren Nachfolge anzutreten und damit endgültig eine Art Nehru-Gandhi-Dynastie etablieren zu können.

Auch Indiras und Sanjays dreijährige Exilzeit (1977 bis 80) konnte diesem Drang zur Alleinherrschaft nichts anhaben: kaum wieder als Regierungschefin installiert, gab die Mutter dem Sohn grünes Licht zur Auflösung aller oppositionellen Landesregierungen und zur Zentralisierung der Macht im Schoß der regierenden Kongreß-Partei in Neu Delhi. Ein prominentes Opfer dieser Offensive gegen Indiens verfassungsrechtlich verbuchten Föderalismus war die Akali-Regierung in Punjab. Die Vertreter der dortigen 13 Millionen Sikh-Gläubigen hatten Ende der 70er Jahre in bestem Einvernehmen mit Delhis Janata-Kabinett dem Grenzstaat zu Pakistan eine Minderheitenpolitik beschert.

In drei Kriegen zwischen Indien und seinem Nachbarn waren die Sikhs die entscheidenden Sieger und hatten so ihre Treue zur indischen Nation genügend unter Beweis gestellt.

Zudem kannte jeder Inder den Punjab als größten Weizen- und Reis-Lieferanten und als den Uberlebenshelfer für manche dürregeschädigte Region des Subkontinents. Die Regierungschefin startete alle möglichen Spaltungsversuche, um die Akalis zu schwächen. Mit Erfolg: die Landtagswahlen Mitte 1980 brachten einen Sieg der Kongreß-Abgeordneten'. 63 von 117 Landtagssitzen gingen an die Indira-Partei, nur 37 verblieben den Sikhs.

Der Traum von Khalistan

Das Resultat war, daß diese nicht ganz freiwillige Unterstellung Punjabs unter Delhis Hindu-Elite zusammen mit einem parallel dazu verlaufenden religiösen Fundamentalismus viele Sikhs zu einer immer lauter werdenden Forderung nach einer Abspaltung von der indischen Republik be-wog.

Diese Geister, die Indira Gandhi 1980 rief, wurde sie nie mehr los. Ausgerechnet ihr Werkzeug bei der Teile- und Herrsche-Aktion in Punjab, der früher unbekannte Sikh-Priester Sant Jairnal Singh Bhindranwale, wurde zum Lea-der einer handvoll fanatischer Jugendlicher.

Sie waren durch die wachsende Landwirtschafts-Krise arbeitslos geworden und leisteten Bhin-dranwales Ruf, mit der Waffe in der Hand die „Hindi-Diktatoren“ aus Punjab zu vertreiben, bereitwillig Folge. Was dann folgte, ist bekannt. Vermutlich mit Unterstützung Pakistans, und indirekt auch mit chinesischer Hilfe (beide sind laut Medienstimmen an einer „Destabilisierung des mächtigen Indien“ interessiert), deckten sich die extremen Sikhs mit einem Arsenal moderner Waffen bis hin zur Panzerabwehr-Rakete ein.

Ihr politischer Slogan lautete „Freiheit für einen unabhängigen Sikh-Staat .Khalistan' (Land der reinen Sikhs)“.

Als die indische Armee in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1984 in den Goldenen Tempel von Amrit-sar, den Vatikan der Sikhs, einmarschierte, leisteten die paar Hundert Bhindranwale-Kämpfer Widerstand bis zum letzten Blutstropfen.

Zwischen 5000 und 10.000 Mann blieben auf dem Schlachtfeld des seit Indiens Unabhängigkeit blutigsten Konflikts liegen. Der Sturm auf sein Heiligtum wurde auch für denjenigen Sikh, der sich mit dem sezessionistischen Gedankengut Bhindranwales und seiner in- und ausländischen Protagonisten nicht befreunden konnte, zur Schmach.

Die Trennung zwischen Sikhs und Hindus, früher eng verwandte Gemeinschaften, war komplett. Sie griff von Punjab auf ganz Nordindien über, weil die Sikhs als tüchtige Bauern und Geschäftsleute überall ihre Neider hatten.

Der nächste Höhepunkt der Punjab-Tragödie fand in Delhi statt. Als Rache für die „Operation blue star“ im Tempel von Am-ritsar wurde Indira Gandhi am 31. Oktober 1984 von zwei Mördern hingerichtet. Die Täter waren Sikhs, ob sie von „Khalistan“-Drahtziehern gedungen waren oder aus eigenem Fanatismus heraus handelten, wird erst der Prozeß gegen Satwant Singh, den Täter, der die Tat überlebte, zeigen.

Neuer Föderalismus

Niemand wußte in diesem Spätherbst des letzten Jahres, wie viele Sikhs sich zu einer derart brutalen Racheaktion hätten hinreißen lassen. Als nun vor vierzehn Tagen bei den Landtagswahlen in Punjab die Witwe des zweiten Indira-Mörders, Beant Singh, sich ebenfalls zur Wahl stellte, erlitt sie eine vernichtende Niederlage.

Die Sikh-Wähler der Region machten klar, daß der Konflikt mit den Hindus der Geschichte angehört.

Zwei Politiker haben die Initiative zu dieser Eliminierung des gefährlichsten indischen Brandherdes ergriffen. Sant Harchand Singh Longowal, ein gemäßigter Sikh-Führer, konnte Ende Juli den jungen indischen Premierminister zur Handreichung in der Punjab-Frage überreden.

Rajiv Gandhi seinerseits gewährte als Geste des guten Willens der Sikh-Heimat weitgehende religiöse und politische Freiheiten, ohne die eine Wieder-Inte-grierung des Punjab in die indische Republik nicht gelungen wäre.

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