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Rakusky Kampan

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Sind Atomkraftwerke ein notwendiges Übel? Die CSFR-Regierung glaubt (noch) daran. Ängste vor störanfälligen AKWs wie Bohunice werden als unbegründet abgetan.

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Sind Atomkraftwerke ein notwendiges Übel? Die CSFR-Regierung glaubt (noch) daran. Ängste vor störanfälligen AKWs wie Bohunice werden als unbegründet abgetan.

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LudovitfStriz schüttelt den Kopf: ■ Da kommen diese Journalisten aus Österreich, nehmen Bodenproben und jagen den Leuten Angst ein. Der rüstige Achtziger: „Also, die haben die Sache schön aufgeblasen!" Früher hätte sich hier, in Jaslovsk6 Bohunice, niemand über den Atommeiler aufgeregt. „Da arbeiten doch Spitzenfachleute, haben sich hier ein schönes Haus gebaut", sinniert der alte Lehrer. Triumph im Nachsatz: „Hätten sie

das getan, wenn sie hier krepieren sollten?" Als man mit dem Bau 1958 begann, freute sich das ganze Dorf, „daß die Gemeinde reich und berühmt wird".

Tschernobyl und die Expertise von Jifi Beranek, dem Vorsitzenden der CSFR-Atomkommission, haben diese Freude gründlich vermiest. Nach den beiden Schockerlebnissen trösten sich die überforderten Anrainer mit der Vogel-Strauß-Methode: Arbeitet doch die Hälfte der 2.000 Bewohner von Jaslovske" Bohunice im Kraftwerk. Die Arbeitslosigkeit ängstigt mehr als die atomare Nachbarschaft.

Ein Häuslbauer stützt sich auf seinen Spaten: „Als ich in Martin war, erzählte man dort, daß bei uns die Kinder an Krebs sterben. Soviel ich weiß, sind bei uns im Vorjahr nur zwei Siebzigjährige an Krebs gestorben." Eine Gemeindebeamtin seufzt ergeben: „Unsere Vorfahren fürchteten die Eisenbahn, wir die Atomkraftwerke. Man muß mit der Angst leben lernen."

Für den Chefingenieur vom Block 1 des Reaktors, Stefan Schmidt, ist die Sache klar:„Die ganze Kampagne hat politischen Charakter." Bohunice laufe nun schon seit zwölf Jahren „und bis dato ist es der österreichischen Seite nicht im Wege gestanden". Nach Beraneks Analyse sei Bohunice „von Exkursionen überrannt worden". Jeder wollte die „Zeitbombe" privat begutachten.

Früher band ein Schweigegelöbnis die Zungen der insgesamt 3.000 Beschäftigten. Jetzt muß man reden, zureden, zerreden. Die Informationsstelle beschwichtigt: Es gibt genug Jod für alle im Umkreis von 30 Kilometern. Ja, ein Regierungserlaß wurde hiezu schon 1988 verfaßt. Die Anschaffung dauert halt ein bißchen...

Bohunice liefert die Hälfte des slowakischen Strombedarfes. Nun soll der Siemens-Konzern dem störanfälligen Meiler auf die Sprünge helfen.

Als „rakusky kampan" wird die Sorge der Österreicher in den Medien leichtfertig abgetan. Die Sprachregelung der Vergangenheit dominiert in den Zeitungsspalten: „Unnötige Hysterie!" Eine Kostprobe aus dem Massenblatt „Vecernik" dazu: „Möglich, daß man wegen unserer Orientierung nach Deutschland, Frankreich und den USA die Angst hat, daß die Beziehungen zwischen unseren Ländern abkühlen könnten und nun versucht man auf diese Weise Einfluß zu gewinnen." Ähnlich tönt es auch aus anderen Ecken.

Offiziell gibt man sich (noch) atomfroh, wenn auch recht gezwungen. Grund seien die fehlenden Alternativen an Energiequellen. Doch die Atomangst beginnt nun auch bei unseren Nachbarn zu grassieren. Mitte Jänner sollte die Regierung MeCiar befinden, ob man

Bohunice oder Mochovce ausbauen oder ein neues AKW in Kecerovce (nahe Koäice, Kaschau) in der Ostslowakei aufbauen solle. Die Ka-schauer, allen voran Bürgermeister Jan Kopnicky, legen sich schon quer: Über 60.000 Unterschriften wurden schon gesammelt. In Kecerovce, nur elf Kilometer von Koäice entfernt, soll mit westlichem Know-how ein Sowjetreaktor vom Typ WR 1000 in Betrieb gehen.

„Kecerovce - ein zweites Gab-Cikovo?" fragte die angesehene „Nä-rodnä Obroda". Und stürmische Proteste veranlaßten Vladimir Meciar bald zum Einlenken: bevor das Projekt fix ist, soll noch eine Studie „unter Mitwirkung von Bürgerkomitees und Umweltschützern" erstellt werden. Bohunice sollte auch nicht nur den Wienern Angst einjagen. Doch in Preßburg, nur 50 Kilometer entfernt, regt sich bisher kein Widerstand.

Ist Bohunice notwendig, ein Weiterausbau unabdingbar? Die CSFR-Atomlobby trotzt: Gabäkovo wurde entwertet, die Kohlekraftwerke sind „ Dreckschleudern", das Sowjet-Öl wurde zur Luxusware. Kurz: Die AKWs sind ein notwendiges Übel! Wirklich?

Mit Jahresbeginn ging der Ener-

giesektor in die Kompetenz der Republiken über. Die Slowakei kann ihren Energiebedarf nur zu 15 Prozent aus eigenen Quellen dek-ken. Außerdem wurden sie in der Vergangenheit stark subventioniert. Heute sind sie eine schwere Bürde für den Staatssäckel. Nun werden die Verbraucher - wie überall im ehemaligen Ostblock - zur Kasse gebeten: Gas wird um 170, Strom um 220 und Kohle sogar um 290 Prozent teurer. Durch diesen kräftigen Aderlaß ist bei den bisher gleichgültigen Konsumenten sogar der Begriff „Energiesparen" kein Fremdwort mehr. Dieser bisher unbedachten Energiequelle trugen auch der slowakische Umweltminister Ondrus und der föderale Finanzminister Dlouhy Rechnung, als sie kürzlich eine energetische Bedarf sliste publizierten. Hauptaugenmerk dabei: Energiesparen im Haushalt. Würde man die Haushaltsgeräte verbessern und ihren Strombedarf westlichem Standard angleichen, könnte man den Energiebedarf auf die Hälfte reduzieren.

Der Bund der Wohnbaugenossenschaften errechnete, daß die ungenügende Wärmeregulierung oder oft fehlende Wärmedämmung der

Wohnblöcke bei deren Verbesserung substantielle Einsparungen bringen würde: Eine Wohnung verbraucht derzeit jährlich 9,3 Megawatt - man könnte aber mit 3,5 Megawatt weniger auskommen. Derzeit kostet eine Megawattstun-de 369 Kronen, in Zukunft sogar 1.000 Kronen. Mittels verbesserter Energienutzung könnten dann die Wohnungsinhaber einen vollen Monatslohn ersparen. Und dem Staat bliebe eine Milliarde zusätzlich für die Installation von Wärmereglern und Energiesparmaßnahmen.

Sparsamkeit sollte aber nicht nur für Privathaushalte gelten. Die atomare Sackgasse, die Gabäkovo-Ruine - das alles spornt zur Suche nach Alternativen an. So gab es in der Zwischenkriegszeit in der Slowakei unzählige kleine Wasserkraftwerke. Heute kann man sie an den Fingern einer Hand abzählen. Nun überlegt man, die alte Konzeption wiederzubeleben. „ Small is beautiful."

Dann ein Spaziergang durch das Städtchen Svitava nächst Brünn. Aus Kaminen quellen gelbgraue Schwaden. Bei uns würde eine einzige derartige Rauchfahne die Behörden alarmieren. Der Spazier-, gang im Park wird somit zum Lungentest.

Im Hotelzimmer verbreitet die Zentralheizung unerträgliche Hitze. Auch mit Hilfe der Beißzange ist der Hahn nicht abzudrehen. Man muß die Balkontüre weit öffnen, die Winterluft hereinlassen.

Die Tschecho-Slowakei braucht kein zusätzliches Bohunice. Dafür aber Hilfe zum Energiesparen. Das beginnt schon bei Kleinigkeiten wie besseren Isoliermaßnahmen, damit Fenster und Türen einmal ordentlich schließen.

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