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Rammstöße gegen das „Denkmal Tito”

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Tito ist zwar im Jugoslawischen von heute, das sich auf den ersten Parteitag ohne ihn vorbereitet, nach wie vor in alle Munde. Sein Name, sein Werk, sein Vermächtnis werden krampfhaft beschworen. Doch die ersten Signale einer beginnenden Ent-Titoisierung sind keineswegs zu verkennen.

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Tito ist zwar im Jugoslawischen von heute, das sich auf den ersten Parteitag ohne ihn vorbereitet, nach wie vor in alle Munde. Sein Name, sein Werk, sein Vermächtnis werden krampfhaft beschworen. Doch die ersten Signale einer beginnenden Ent-Titoisierung sind keineswegs zu verkennen.

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Wie triumphalistische Siegesmeldungen posaunt Jugoslawiens offiziöse Nachrichtenagentur TANJUG mindestens einmal pro Woche Informationen wie diese hinaus:

„In der Hauptstadt Angolas, Luanda, erhielt eine der ältesten Straßen den Namen Marschall Tito. In der Eröffnungsrede wurde darauf hingewiesen, daß Präsident Tito ein großer Kämpfer der kommunistischen Arbeiterbewegung war.”

Oder: „Im Rahmen der Vorbereitungen für das Gipfeltreffen der Blockfreien in Bagdad gab die Direktion der irakischen Post auch eine Briefmarkenserie mit den Bildern der Präsidenten Tito, Nasser und Nehru heraus.”

Kein Anlaß, keine Stadt, keine Straße in der Welt ist zu klein, als daß sie nicht der Erwähnung wert wäre - wenn nur Titos gedacht wird.

Auch bei den abgeschlossenen Parteitagen in den Republiken und autonomen Provinzen Jugoslawiens verbeugten sich, wenigstens verbal, alle Redner pflichtschuldigst vor dem verewigten Marschall und Schöpfer des sozialistischen Jugoslawien, schworen feierlich, seinen Ideen zu folgen und auf seinem Wege fortzuschreiten.

Der Tito-Kult, offiziell nach wie vor von seinen Erben gefördert und ermuntert, ist auch inzwischen längst kommerzialisiert worden. Die Regierung in Belgrad sah sich daher genötigt, ein eigenes Gesetz über den Gebrauch von Titos Namen herauszugeben; es besagt, daß künftig nur mit vorheriger Genehmigung eine Stadt, Straße, Platz, ein Unternehmen, eine Institution, eine Kultur- oder Sportveranstaltung nach dem Marschall benannt werden darf. Auch „Gegenstände mit dem Bild und Namen Titos dürfen nur nach Genehmigung seitens der Regierung produziert und umgesetzt werden”.

Somit scheint also die Figur Titos nach außen hin in Jugoslawien unumstritten zu sein, auch wenn der Besucherstrom vor dem Tito-Grabmal in Belgrad-Dedinje und in seinem Geburtsort Kumrovec merklich nachgelassen hat und nun schon öfter mehr Touristen als Einheimische diese Stätten besuchen.

Und Svetozar Durutovic, einer der Exekutiv-Sekretäre des Parteipräsidiums, scheint die ungebrochene Liebe zum Idol zu bestätigen: „Tito hat nach wie vor einen tiefen politischen und gesellschaftlichen Einfluß auf unser Land. Der Slogan für den Parteikongreß Ende Juni heißt daher: Auch nach Tito - Tito.”

Tatsächlich aber beginnt, langsam und gemächlich, der hellleuchtende heroische Firnis am Bild Titos auch in Jugoslawien seine Risse zu bekommen.

Zunächst einmal dadurch, daß die aktuellen Schwierigkeiten im Nach-Tito-Jugoslawien im Bereich der Wirtschaft und Versorgung von einem Teil der Bevölkerung durchaus dem verstorbenen Präsidenten in die Schuhe geschoben werden.

Vor allem aber sind mehrere Publikationen der letzten Zeit geradezu Rammstöße gegen das „Denkmal Tito” gewesen.

Sie haben, zumindest bei den Intellektuellen und politisch Interessierten, einen Nachdenkprozeß mit möglicherweise unabsehbaren Folgen eingeleitet.

Zwei literarische Werke, „Von der Nacht zum Morgen” von Branko Hoffman, und „Augenblicke” von Antonije Isakovic, werfen ein schiefes Licht auf den bisher glorifizierten Tito. In beiden Büchern wird schonungslos das Schicksal jener rund 8000 prosowjetischen „Kominformisten” geschildert, die zwischen 1948 und 1958 ohne Urteil auf die KZ-Insel Goli Otok deportiert wurden und zuhauf dort auf diesem dürren, sonnenverbrannten und windigen Eiland starben.

Hoffman und Isakovic sprechen es zwar nicht offen aus: Aber die Verhaftungen bei Nacht und Nebel, die durch Foltern erpreßten Geständnisse, die KZ-Vernichtungsmaschinerie mit ihren Wärtern und Spitzeln, die knochenbrechende Arbeit in den Steinbrüchen, die willkürliche Haftverlängerung, Tod durch Hunger, Durst und Wahnsinn — davon hat Tito gewußt, er hat es zumindest zugelassen.

Bei vielen Jugoslawen hat dies einen Schock ausgelöst, vor allem bei der jüngeren Generation.

Noch massivere Retouchen am offiziellen Tito-Bild machte allerdings der ehemalige „Hofbiograph” Titos, Vladimir Dedijer. In seinem 1260 Seiten starken Werk „Neue Beiträge zur Biographie Titos” läßt er deutlich durchblik-ken, daß Tito kein militärisches Genie war, daß er nur „ein einfacher Mann mit revolutionärem Charisma” war, nicht frei davon, mit Kollaborateuren der Nazis zu kollaborieren, daß Tito menschliche Schwächen wie etwa Luxus-und Prunksucht hatte usw.

Schon vor 20 Jahren hatte Dedijer gegenüber seinem Freund Sulzberger von der „New York Times” mit dieser seiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten: „Tito, armer Tito, er führt das Leben eines John D. Rockefeller, ohne Freunde, einsam, umgeben von Schranzen.”

Und weiter: „Vielleicht kann man zugestehen, daß er weniger grausam war als Stalin. Dieser erschoß die Häretiker. Unser System nimmt ihnen langsam das Leben. Es ist wie in Orwells J.984', nur schlimmer.”

Besonders viel Aufregung verursachte auch die Schilderung Dedijers, Titos Frau Jovanka habe ihren Ehemann selbst im Schlafzimmer durch Mikrophone — in Zusammenarbeit mit dem später gestürzten Geheimdienstchef Aleksandr Rankovic — bespitzeln lassen.

Ein Sturm der Entrüstung begann nun über Dedijer hereinzubrechen, sein Buch wurde als „politische Pornographie” gebrandmarkt, die Partisanenverbände bezichtigten ihn (teilweise zu Recht) historischer Fehler, Gesprächspartner Dedijers begannen von „schmutzigen Tricks” zu sprechen, mit denen der Tito-Biograph ihnen Dokumente und Aussagen herausgelockt habe — etwa Titos enger Kampfgefährte in Kroatien, Vladimir Bakaric.

Dedijer, der zwar bekennt, das Buch „aus Liebe zu Tito” geschrieben zu haben, dennoch aber so etwas wie eine Ent-Titoisierung damit bewirkte, wurde schließlich das Opfer einer politischen Hexenjagd. In einem offenen Brief beklagte er, daß er und seine Familie laufend Morddrohungen erhielten, daß das Buch praktisch in Jugoslawien verboten sei.

Dedijer will gar gehört haben, daß hohe Parteifunktionäre in Zagreb den Auftrag erteilt hätten, Dedijer und seine Mitarbeiter „zu vernichten und dabei bis zum letzten zu gehen”.

Drahtzieher dieser Kampagne— so Dedijer — sei Vladimir Bakaric persönlich, Mitglied des jugoslawischen Staats- und Parteipräsidiums. Bakarifc fürchtet angeblich, daß Dedijer noch unveröffentlichte Briefe Titos aus dem Jahre 1941 besitzt, aus denen hervorgeht, daß Bakaric seinen Vorgänger in Kroatien, Hebrang, mit Hilfe von Intrigen stürzte und dem Tod auslieferte.

Die Ent-Titoisierung in Jugoslawien dürfte erst begonnen haben. Geht sie weiter, werden nicht nur der Marschall selbst, sondern auch noch seine Getreuen vom Monument gestoßen werden.

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