6897999-1980_18_02.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen eines engagierten Christen

19451960198020002020

Haushalt, verheiratet, vier Kinder, seit 1978 Mitarbeit im Pfarrgemeinderat der Familienkirche Wiener Neustadt

19451960198020002020

Haushalt, verheiratet, vier Kinder, seit 1978 Mitarbeit im Pfarrgemeinderat der Familienkirche Wiener Neustadt

Werbung
Werbung
Werbung

Am Gründonnerstag sind sie angekommen - „unsere” Vietnamesen nämlich. Wir hatten in unserer Pfarre schon seit geraumer Zeit ein Haus für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, sollten uns aber bis Sommer noch gedulden. Groß war dann unsere Freude, als alles plötzlich so schnell ging.

Aber wir mußten nun praktisch von einer Woche auf die andere Gewand, Bettzeug, Hausrat und Diverses zusammentragen, und jeder, der nur konnte, half mit. Bis hierher verlief die Sache nur positiv, aber dann ereignete sich etwas, eigentlich nur am Rande und von den meisten unbemerkt, das mich sehr nachdenklich stimmte:

Ein I4jähriges Mädchen aus unserer Pfarre berichtete ihren Schulkolleginnen von unserem Vorhaben, erzählte voll Freude, daß auch zwei kleine Kinder kommen würden, und bat um Mithilfe. Und nun passierte etwas, das mir noch immer nicht in den Kopf will. Geschlossen stellte sich die Klasse gegen sie, verweigerte die Mithilfe und es fielen Worte wie „Ausländergesindel”, „Arbeitsscheue” und ähnliches. Zuletzt wurde sie noch ausgelacht, als ihr vor Verzweiflung ob der unerwarteten Härte der anderen die Tränen in die Augen traten.

Nun höre ich Sie, verehrte

Leser, förmlich sagen: „So ist die Welt heute eben”, und das waren auch meine ersten Gedanken. Aber eines ist mir doch nicht klar dabei. Einige dieser Mädchen sind Töchter von Katholiken, die ihr Christentum ernst nehmen, bei denen Christentum sich nicht im Besuch der Sonntagsmesse erschöpft und die vermutlich entsetzt wären über die Handlungsweise und die Worte ihrer Kinder.

Da muß doch etwas anderes dahinterstecken! Kindergehen doch nicht so einfach „über Leichen”, sie sind doch normalerweise offen für das Gute, wenn man ihnen den Sinn einer Sache begreiflich macht. Vielleicht, so durchzuckte mich ein Gedanke, vielleicht liegt hier die Wurzel des Übels - im Begreiflichmachen und Erkennen des Sinnes.

Könnte, so dachte ich weiter, der entscheidende Fehler nicht bei uns, bei den sogenannten „Engagierten” liegen - gänzlich ungewollt und vielleicht gänzlich unbemerkt?

Jeder, der einmal von jener Unruhe angesichts unserer heutigen Welt- und Wertordnung erfaßt wurde, jeder der sich sagte, etwas dagegen tun zu müssen, weiß, wie das ist. Man nimmt sich zuerst einer Sache an, dann einer anderen, und je weiter man hineinkommt, um so mehr sieht man, um so mehr möchte und könnte man tun.

Und dann irgendwann kann es passieren, daß wir in die Situation kommen, da wir „das Kind mit dem Bade ausschütten”. Das Bittere daran ist dann nur, wenn es sprichwörtlich und buchstäblich unsere eigenen Kinder sind, die da „davonschwimmen”; die sich angesichts unserer Aktivität vielleicht verloren vorkommen, da wir, sicher ungewollt, versäumt haben, sie in unser Tun miteinzubeziehen, ihnen verständlich zu machen, weshalb wir helfen wollen und müssen, sie nicht wissen, wo die Quelle Tür unsere Kraft und Tür die Liebe zum Nächsten liegt.

Vielleicht haben sie von dieser Liebe sogar weniger gespürt als mancher Fremde?

Dies ist kein Angriff auf die „Engagierten”; er wäre auch sehr unklug, denn ich gehöre selber dazu und ich weiß, daß man die Hände nicht in den Schoß legen darf! Aber ich meine, wir müßten uns öfter hinterfragen, ob hinter unserem Tun als Christen noch das Christsein steht. Wenn das nämlich nicht der Fall ist, kann es uns sehr leicht wiejenem Geschäftsmann ergehen, der all seine Kraft in die Produktion steckte und die Investition vergaß.

Die Folgen davon waren, daß seine Produktionsstätten bald veraltet waren und für keinen Arbeiter attraktiv. Er war aber damit auch gar nicht in der Lage, konkurrenzfähig zu bleiben. Nicht weil sein Produkt schlecht war, sondern weil er die „Struktur” seines Betriebes vernachlässigte, konnte er nicht mithalten und verschwand schließlich von der Bildfläche. Seinen Erben konnte er jiichts Brauchbares hinterlassen.

Zugegeben, der Vergleich ist banal - aber vielleicht doch einleuchtend.

Kürzlich fand ich ein paar Zeilen von Meister Eckhart, die besser aussagen, was ich meine: „Die Leute sollten nicht so viel nachdenken, was sie tun sollen, sondern sie sollten bedenken, was sie sind. Wären sie nur selber gut und ihre Weise, so würden ihre Werke herrlich leuchten. Bist du gerecht, so sind auch deine Werke gerecht.”

Beunruhigend und tröstlich zugleich ist, daß diese Worte zu Ende des 13. Jahrhunderts geschrieben wurden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung