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Randbemerkungen eines engagierten Christen

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Der Verfasser ist Pfarrer von Breitensee und De-chant des Dekanates Wien XIV.

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Der Verfasser ist Pfarrer von Breitensee und De-chant des Dekanates Wien XIV.

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„Heiraten ist wieder modern”, las ich vor einiger Zeit irgendwo. Allein in unserer Pfarre haben sich heuer bis Mitte Juni 55 Paare zur kirchlichen Hochzeit angemeldet. Allerdings besagt das keineswegs, daß sich die Ansichten dieser Brautleute - beispielsweise hinsichtlich der Gestaltung ihrer Beziehungen vor und in der Ehe - mit jenen der Kirche decken.

Ähnliche Uberzeugungsdivergenzen in Glaubens- und Sittenfragen stellt man auch bei Taufgesprächen fest, ja sie treten praktisch bei jedem ehrlichen Austausch mit nahe-und fernstehenden Christen zutage. Es kommt vor, daß Leute, die Tür sich oder ihr Kind um ein Sakrament bitten, sogar bekennen, nicht an Gott zu glauben.

Doch bleiben wir zunächst bei den Brautpaaren. Angeregt durch die Beobachtung, daß ein Großteil der Brautpaare bei der Aufnahme der Personalien dieselbe Wohnadresse für Braut und Bräutigam angibt, begann ich im Vorjahr jene, die getrennte Adressen nannten, zu fragen, ob sie tatsächlich (noch) getrennt leben.

Ergebnis: Drei Viertel jener, die in unserer Pfarre im Jahre 1979 um das Ehesakrament baten, lebten bereits kürzer oder länger in einer gemeinsamen Wohnung.

Obwohl ich es aus Zeitgründen beim Brautgespräch vermeide, über voreheliche Beziehungen zu diskutieren, fragte mich neulich ein' Bräutigam sehr scharf, ob ich ihm und seiner Braut im Ernst die Unver-antwortlichkeit zutraue, ohne vorheriges gründliches Sich-Kennenlernen einen Lebensbund zu schließen und Kinder zu zeugen.

Kommt die Rede auf Emp-fängnisregelung, so ist kaum einsichtig zu machen, daß das Einnehmen einer Pille grundsätzlich unnatürlich sei, natürlich hingegen die Anwendung der Zeitwahlmethpde, die, um genügend Sicherheit zu bieten, von gar nicht so einfachen Beobachtungen und Messungen begleitet sein muß.

Noch etwas zum Themenkreis Ehe und Familie: Viele Ehen zerbrechen irreparabel, und dieses Zerbrechen ist ohnedies ein äußerst schmerzhafter Prozeß.

Viele Geschiedene haben lange mit der Aufarbeitung ihrer Enttäuschungen zu tun. Finden sie dann einen neuen Partner, so scheint ihnen evident zu sein, daß sie das Recht auf eine neue Ehe und ein neues Glück haben. Viele können nicht verstehen, daß die Kirche in dieser Situation keinen Segen mehr für sie hat.

Oft stößt man bei pastoralen Gesprächen auf ökumenische Probleme. Nach meiner Erfahrung sind die noch immer bestehenden Trennungen zwischen den christlichen Kirchen für die meisten gemischtkonfessionellen Paare unbegreiflich. Weiß man, daß zahlreiche Theologen von der Uber-brückbarkeit der Glaubensunterschiede überzeugt sind, so kann man nur mehr schwer klarmachen, warum die Kirchen in ihren Bemühen um die Wiedervereinigung nicht besser vorankommen.

Bei solchen und ähnlichen Themen gerate ich nicht selten in Bedrängnis und Beweisnotstand. Dabei meine ich keineswegs, man solle abweichenden Meinungen leichtfertig beipflichten oder gar den Leuten nur sagen, was sie gerne hören.

Damit wäre niemandem geholfen. Doch vieles müßte m. E. tatsächlich in aller Ernsthaftigkeit neu überdacht werden. Manches ist zu ändern, für anderes müssen neue, plausiblere Begründungen gefunden werden.

Der Mensch von heute, wie ich ihn sehe, gibt nicht viel auf Behauptungen, er läßt sich aber überzeugen durch einsichtige Begründungen. Solche zu finden, ist eine wichtige Aufgabe für Theologen und Bischöfe, doch dürfen diese dabei nicht allein gelassen werden.

Auch wenn etwas zu ändern ist, soll es nicht einfach von oben herab geschehen. Ist nicht dem ganzen Gottesvolk der Heilige Geist zugesagt, der in alle Wahrheit einführt?

Was ich mir wünschte? Daß allen Christen aufginge, was es heißt: „Wir sind gemeinsam Kirche”. Daß wieder alle über anstehende Probleme nachdächten und diskutierten, wie es zur Zeit der frühchristlichen Konzilien geschehen sein soll. Daß sich alle eine Meinung bildeten und diese wirksam kundtäten.

Auch für Papst, Bischöfe, Priester und Theologen ist die öffentliche Meinung in der Kirche wichtig. Nur mit ihrer Hilfe kann es eine gesunde Fortentwicklung geben.

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