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Randbemerkungen eines engagierten Christen

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Die Verfasserin ist Lehrerin an sozialen Fachschulen der Wiener Caritas, Juristin, Sozialarbeiterin

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Die Verfasserin ist Lehrerin an sozialen Fachschulen der Wiener Caritas, Juristin, Sozialarbeiterin

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Da sind wir guten Christen oft so „lieb und nett” zueinander, auch wenn wir eigentlich etwas gegeneinander haben. Aber wir schweigen um des lieben Friedens willen, wir schweigen, um niemandem weh zu tun und damit kein böser Streit entsteht.

So schweigen wir in unseren christlichen Ehen, Pfarren, in den Ordensgemeinschaften, in unseren diözesanen und karitativen Einrichtungen und reden uns und anderen noch ein, unsere Konfliktvermeidungsstrategien hätten mit Christentum und Nächstenliebe zu tun.

Wir schlucken vieles hinunter, wir versuchen hinter dem Rücken des Betroffenen unseren Kummer über ihn loszuwerden. Manchmal wird auch mit gutem Gewissen intrigiert.

Hat dieses Schweigen wirklich immer soviel mit Nächstenliebe zu tun? Ich werde den Verdacht nicht los, daß sich hinter dieser scheinbar so christlichen Tugend des Schweigens sehr oft nichts als unsere ganz gewöhnliche Feigheit, unsere Angst und manchmal auch unser Desinteresse am Nächsten und unsere Lieblosigkeit verbergen.

Mag sein, daß dieses feige Vermeiden aller offenen Konflikte, dieses „Alles-Zudek-ken”, allgemein üblich ist. Manche behaupten allerdings, es sei unter Christen besonders häufig anzutreffen, weil die immer „lieb und nett” zueinander sein sollen und wollen und dabei ganz übersehen, daß dieser meist zugleich bequemste Weg echte zwischenmenschliche Beziehungen und das persönliche Wachsen des

Nächsten behindert.

Ich erfuhr vor kurzem, daß der prominente Katholik B. schon lange etwas gegen mich habe und das auch schon an verschiedenen Stellen deponierte. Beides ist sein gutes Recht.

Doch wenn ich ihm begegnete, war er immer außerordentlich freundlich und gab mir damit keine Gelegenheit, diese Sache (welche überhaupt?) zu besprechen, vielleicht ein Mißverständnis zu klären, einen Fehler zuzugeben, seine Einstellung kennenzulernen und meine davon abzugrenzen. Warum suchte er nicht das offene und ehrliche Gespräch?

Wir dürfen und sollen miteinander umgehen wie Brüder und Schwestern. Unter guten Geschwistern gibt es das offene Wort, da scheut man nicht den Konflikt, denn man ist sich des prinzipiellen gegenseitigen Wohlwollens sicher. Da will aber auch nicht einer dem anderen „die Wahrheit” an den Kopf werfen, sondern seine subjektive Sicht der Dinge vorlegen und jeder ist interessiert an der Meinung des anderen.

Wir reden miteinander, wir akzeptieren einander, wir erlauben einander das Anderssein, wir suchen gemeinsam eine Lösung, und dabei entstehen echte Beziehungen von Mensch zu Mensch. „Vater unser” beten wir miteinander. Wer sonst hat schon so gute Voraussetzungen für die echt brüderliche Haltung im Alltag?

Ich weiß, daß das alles trotzdem sehr nach Utopie klingt. Ich weiß aber auch, daß es sich auszahlt, sich auf den Weg zu machen und zu versuchen, sich auf dieses ehrliche brüderlich-schwesterliche Miteinander einzulassen - auch wenn es unterwegs viele Rückschläge und Enttäuschungen gibt.

Der erste Schritt wäre das ehrliche Eingeständnis unserer Angst und Feigheit, sodaß wir uns und anderen nicht mehr vormachen, daß unser Schweigen immer nur Nächstenliebe und Friedfertigkeit sei.

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