7031741-1989_33_10.jpg
Digital In Arbeit

Rasch wieder im Trott

19451960198020002020

Urlaub: Heiß herbeigesehnt sind seine positiven Wirkungen bei vielen im Alltagsleben nur allzu rasch wieder verflogen. Gibt es Mittel gegen diesen enormen Verschleißprozeß?

19451960198020002020

Urlaub: Heiß herbeigesehnt sind seine positiven Wirkungen bei vielen im Alltagsleben nur allzu rasch wieder verflogen. Gibt es Mittel gegen diesen enormen Verschleißprozeß?

Werbung
Werbung
Werbung

Nach zwei Tagen im Büro war es, als wäre ich nie im Urlaub gewesen“, sagt mir ein Kollege, den ich auf seine Erfahrungen mit seiner Rückkehr in den Alltag anspreche. Und eine Bekannte, Geschäftsführerin in einem Geschäft in der Wiener Innenstadt, bringt eine ähnliche Erfahrung zum Ausdruck: „Vier Wochen bin ich nun vom Urlaub zurück - und die ganze Erholung ist dahin“.

Sicher Nicht allen geht es gleich. Viele können die Kräfte, die sie im Urlaub gesammelt haben, auch über längere Zeit hinwegretten und wohl die meisten sind nach dem Urlaub belastungsfähiger als vorher - auch wenn sie es subjektiv nicht unbedingt registrieren. Dennoch ist die Erfahrung weitverbreitet, daß der Verschleißprozeß im Alltag relativ rasch einsetzt. Worauf ist das zurückzuführen?

Da ist zunächst sicher die Art, wie unsere Arbeits- aber auch unsere Freizeitwelt organisiert ist. Jahrzehnte konsequenter Rationalisierung haben dazu geführt, daß vieles effizienter funktioniert, dafür aber auch in einer normierten, meist auch unpersönlicheren Form abgewickelt wird. Man muß dabei nicht nur an Fließbänder und Großraumbüros denken.

Auch im Supermarkt, in der Disco, im Selbstbedienungsrestaurant, im Verkehrsgeschehen auf der Straße, im Wohnzimmer vor dem Fernseher gibt der Apparat den Takt an, wird der Mensch gewissermaßen „apparatisiert“.

Inwiefern sollte das aber belastend sein? Beschert es uns nicht jene heißersehnte Freiheit, uns möglichst viel leisten zu können, die wir als Ziel unseres rasanten Fortschritts ansteuern?

Ja - aber, dieses Projekt hat seinen Preis. Der französische Philosoph Bertrand de Jouvenel formuliert das so: „Der Mensch verliert als Produzent an Werten und Befriedigungsmöglichkeiten, gewinnt aber neue als Konsument.“ Das heißt: Um eines höheren und vielfältigeren Konsums willen nimmt er Zwänge bei der Herstellung der Konsurnmöglichkeiten in Kauf.

Ein paar Beispiele: Um effizienter Texte zu erzeugen, schafft man sich einen Computer an, ein Wunderwerk (ich weiß wovon ich redet). Die Folge: Man erledigt nicht nur dasselbe Pensum wie bisher, eben in kürzerer Zeit, sondern nützt die Möglichkeiten der Maschine (sie muß sich ja rentieren) und bürdet sich zusätzliche Arbeit auf, verbringt den Tag vor dem Büdschirm und auf dem Sessel, arbeitet konzentriert und irrsinnig effizient -und ist ausgelaugt und hat Kreuzschmerzen.

Oden Um besser informiert zu sein, schafft man sich Kabelfernsehen und ein Videogerät an. Die Folge: Man füllt Bänder mit interessanten Berichten, sehenswerten Filmen, spannenden Diskussionen -und hetzt mit hängender Zunge dem Konsum dieser Schätze sowie der Abzahlung der Kosten nach und kommt zu Hause kaum mehr zum Reden, nascht viel und verbraucht unbewußt Kraft beim mehr oder weniger konzentrierten Zuschauen.

Odert Um rascher von einem Ort zum anderen zum kommen, leistet man sich ein Auto - und muß erheblich mehr verdienen, um seine Kosten zu tragen, nimmt Kraftverschleiß im Straßenverkehr, Ärger beim Stehen in der Kolonne und beim Parkplatzsuchen in Kauf.

Richten wir uns nicht ein Alltagsleben ein, in dem die Zwänge rundherum zunehmen? Ist es nicht deswegen so verschleißend? Ich begegne in letzter Zeit immer häufiger Menschen, die gerade noch, unter Aufbietung aller Kräfte, mit ihrem Alltagsleben, das nach außen hin normal wirkt, zurechtkommen. Für viele von uns ist der Urlaub dann jene heißersehnte, „schönste Zeit des Jahres“, in der man sich von den Strapazen des Alltags erholt. Was macht aber den Urlaub so attraktiv - zumindest in der Vorstellung? Da ist sicher das Gefühl, aus den täglichen Sorgen und den eigenen vier Wänden herauszukommen, freizusein von den Zwängen der tagtäglichen Abläufe. Endlich wird man machen können, was man will (daß dem in der Realität durchaus nicht so ist, zeigt die Erfahrung der Telefonseelsorge, siehe Kasten). Daß diese überfrachte tenE rwartun-gen, im Urlaub all das nachzuholen, was man das Jahr über versäumt hat, vielfach einen „Erholungsstreß “ erzeugen, also wieder belasten, sei hier nur angemerkt.

Viele aber nützen ihren Urlaub auch dazu, aus der Entfernung ihr Alltagsleben zu überdenken, Bilanz zu ziehen und Vorsätze zu fassen. Das wird bei jedem anderes ins Bewußtsein rücken, ist aber sicher Bestandteil gelungener Ferien. Im Gespräch mit meiner Frau ist uns heuer klar geworden, daß wir uns darum bemühen sollten, den Alltag möglichst nicht zum Alltag werden zu lassen: Kampf der alles dominierenden Routine 1

Im Grunde genommen ginge es darum, die Bereitschaft zu entwickeln, jeden Tag besonders werden zu lassen. Das geht sicher nicht von selbst. Es braucht bewußte Aufmerksamkeit, um das Besondere überhaupt zu registrieren und das Unerwartete zuzulassen. Vielfach gestalten wir unser Leben ja, wie gesagt, so, daß es möglichst vorhersehbar, systematisch und vorprogrammiert abläuft. Und auf der anderen Seite sind wir ja wirklich oft so eingespannt, daß wir für Unvorhergesehenes einfach keine Zeit haben.

Und dadurch kommt vor allem die Begegnung mit anderen Menschen zu kurz, denn sie läßt sich nicht einfach mit Seitenblick auf die Uhr zwischen zwei dringenden Aufgabeneinschieben. Gerade aber die echte Begegnung mit anderen Menschen, das Eingehen auf ihre Sorgen, das Teilen ihrer Freuden, das gemeinsame Tun bringt doch Besonderes in unser Leben, weil eben Begegnung einmalig, unwiederholbar ist.

Sich darauf mehr einzulassen, ist ein wirksames Mittel gegen die lähmende Monotonie des Alltags. Allerdings habe ich auch Erfahrung mit dem Schicksal meiner Vorsätze: Sie sind rasch gefaßt, fallen aber auch leicht den scheinbaren Zwängen des Lebens zum Opfer. Wer weiß das nicht?

Das sollte aber kein Grund sein, nicht immer wieder neu Vorsätze zu fassen - auch wenn es die vom Vor-' jähr sind. Ein Weg, sie am Leben zu erhalten, ist sicher, die regelmäßig wiederkehrende Rückbesinnung. Ein Ansatzpunkt im Kampf gegen den Alltagstrott ist daher die bewußte tägliche Erneuerung des Vorsatzes, nach dem Besonderen Ausschau zu halten, Begegnung zu suchen und zuzulassen, nicht in den Pflichten zu ertrinken, sich Zeiten der Stille und des Gebetes einzurichten, um Distanz zu gewinnen.

Ja, das klingt gut. Und dann macht man seine ersten schlechten Erfahrungen: Am Arbeitsplatz türmt sich all das, was sich in der Urlaubszeit angesammelt hat und dringend der Erledigung harrt; man hat, weil Kollegen auf Urlaub sind, mehr als sonst an Arbeit und da wird - bedingt durch die Ferienzeit - alles viel schleppender abgewickelt als üblicherweise... Und außerdem: Zu Hause muß die Wohnung nach der langen Zeit wieder in Ordnung gebracht, die Berge von Wasche aus dem Urlaub gewaschen werden. Mit den stolz in der Bekanntschaft herumgereichten Urlaubsfotos macht man weniger Stich als erwartet, weil ja doch die meisten am liebsten Fotos anschauen, auf denen sie selbst abgebildet sind. Auch die mit Sonnenbränden leidvoll erkaufte Bräune geht langsam verloren und man muß mühsam die im Sommer zugelegten Kilos abspecken. Mit einem Wort: Alltagstrott kehrt ein, die Vorsätze sind gefährdet.

Und dennoch: Heuer will ich es wieder versuchen: Mehr Zeit für Begegnung (auch im Berufsleben), weniger verplante Freizeit, mehr Feierabend, mehr Zeit für Stille und Gebet, damit ich nächstes Jahr im Juni nicht ebenso urlaubsreif bin, wie ich es heuer war.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung