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Rassismus nein, Apartheid ja?

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Einen „Südafrika-Sonntag“ hat der Wiener Weihbischof und Präsident von „lustitia et Pax“ Florian Kuntner für 24. April angesetzt. Wie sieht es derzeit in Südafrika aus?

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Einen „Südafrika-Sonntag“ hat der Wiener Weihbischof und Präsident von „lustitia et Pax“ Florian Kuntner für 24. April angesetzt. Wie sieht es derzeit in Südafrika aus?

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Am 26. September 1968 hat sich der südafrikanische Kirchenrat (zu welchem alle Kirchen mit Ausnahme der Nederduitse Gere-formeede Kerk/NGK gehören) mit einer Botschaft an das südafrikanische Volk gewandt. Durch diese Botschaft entstand eine andere Beziehung zwischen den Kirchen und dem Staat, denn sie war eine Deklaration gegen die Apartheid: „Das Christentum ist mit dem südafrikanischen System unvereinbar... Wie tief die

Apartheid in die Kirche eingedrungen ist, zeigt, wie weit sich die Kirche von den Lehren Christi entfernt hat.“ 20 Jahre nach dieser Deklaration kann man sich fragen, wie die Rolle der christlichen Kirchen im Kampf gegen die Apartheid aussieht. . In Südafrika muß man zwischen den englischsprachigen und den holländisch reformierten Kirchen unterscheiden. Bis vor kurzem hatten letztere, zu denen die mächtige NGK gehört, die Rassendiskriminierung unterstützt. Zur NGK gehört die Mehrheit der Weißen des Landes, ungefähr 40 Prozent. Die NGK ist eine „nationale Kirche“ und eine Kirche der Zuflucht. Sie ist so etwas wie die Staatskirche, weil ihr 90 Prozent der Regierungsmitglieder und 75 Prozent der Parlamentarier angehören; ironisch formuliert: „Das ist die Nationalpartei im Gebet.“

Ihr sozialpolitisches und kirchliches Gewicht ist leicht zu bestimmen. Als die Integristen sich um die nationale und kulturelle Reinheit der Afrikaander (Buren) sorgten, lieferte die NGK die theologische Berechtigung für die Apartheid. Und um das Gewissen reinzuwaschen, wurden Mulatten und Schwarze evangelisiert — „Tochterkirchen“ wurden geboren. Dem unparteiischen Beobachter entlockt die missionarische Tätigkeit der NGK vor allem im sanitären und kulturellen Bereich Bewunderung. Sollte dieses Bemühen etwa das sanfte Ruhekissen für das gute Gewissen sein?

„Die Kirche meint, daß jede Beleidigung oder Diskriminierung des Menschen aufgrund seiner Hautfarbe oder seiner Rasse gegen den Geist Christi ist.“ Hat die NGK diese Aussage von Vatika-num II angenommen? Nach ihrer Generalsynode im Oktober 1986 zum Thima „Kirche und Gesellschaft“ hat die NGK festgestellt, daß die Apartheid nicht länger mit der Heiligen Schrift untermauert werden könnte. Niemand dürfte aufgrund seiner Rasse oder Kultur aus der Kirche ausgeschlossen werden, und man dürfte nie der Diskriminierung zustimmen, aus der die Ungerechtigkeit erwachse und die die Würde des Menschen verletze.

Aber im Text der Synode wird zwischen Rassismus und Apartheid unterschieden. Das erste ist eine Sünde, welche niemand und keine Kirche akzeptieren dürfe, das zweite aber sei „die ehrliche Liebe zu seinem eigenen Volk“. Urteilen Sie selbst!

Die NGK hat Unterredungen mit der Regierung Pieter Bothas aufgenommen, um die Freilassung der ohne Prozeß Inhaftierten und die Aufhebung des Ausnahmezustands, der schon 20 Monate andauert, zu erwirken.

Die NGK ist gegen Wirtschaftssanktionen, Boykotte und den gewaltsamen Kampf, sie tritt für friedliche Reformen ein. Der südafrikanische Kirchenrat begrüßt diese Unterredungen mit der Regierung, er zweifelt aber an der Ehrlichkeit der NGK. Dies sei nur eine neue Variante im Eintreten für den Staat, denn auch dieser spricht über Reformen. Wegen dieses geänderten Auftretens der NGK sind ungefähr 3000 Afrikaander ausgetreten und haben eine rein weiße Kirche gegründet, die Afrikaander gereformeerde Kerke. Sie finden, daß die Apartheid im Einklang mit der Heiligen Schrift steht, und fühlen sich an die Wand gedrängt.

Die englischsprachigen Kirchen, die Anglikaner, die Baptisten, die Methodisten, befinden sich in einem instabilen Gleichgewicht von verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Obwohl die Sprache der Mehrheit ihrer Mitglieder das Afrikanische ist, werden sie englischsprachige Kirchen genannt, denn ihnen gehören viele Weiße englischer Abstammung an, die eine sentimentale Zugehörigkeit zum Commonwealth und zum englischen Königshaus prägt. Sie haben keine Apartheid in ihren Kirchen - zumindest theoretisch, denn die Rassenzonen hatten die Rassentrennung allen Kirchen de facto aufgezwungen.

Schon 1945/46 haben sich die Kirchenführer wegen der Dominierung der schwarzen Mehrheit durch die weiße Minderheit gegen die Apartheid gewandt. Das war also noch bevor das System 1948 offiziell wurde. Doch das Paradoxe liegt darin, daß die Führer dieser Kirchen nie Erfolg hatten, ihre Ablehnung der Apartheid bei ihren weißen Mitgliedern, die immer stille Partisanen der Apartheid waren, durchzusetzen. Wie die NGK fürchteten viele Weiße, von der schwarzen Mehrheit überwältigt zu werden. Sie versteckten sich hinter ihrer kulturellen Identität, um so ihren Reichtum und ihre soziale Position zu wahren. Auf dieser Ebene erwies sich die Evangelisierung als erfolglos.

So erklärt sich der Widerspruch zwischen den einstimmigen Verlautbarungen der Kirchen und dem Wahlsieg der Nationalen Partei, die für die Apartheid ist und schön 40 Jahre regiert. Aufgrund dieses Widerspruches meinen einige Europäer, daß die Proteste und Aktionen der Kirche gegen die Apartheid eher prophetische Worte seien, als daß sie eine reale Repräsentativität hätten. Doch abgesehen von den Anglika-nern und den Methodisten werden die englischsprachigen Kirchen von den Schwarzen dominiert.

Man darf keine Haltung wie „Laisser-faire“ einnehmen. Die Position der katholischen Kirche gegenüber der Apartheid war immer klarer. Zwar hat sie nicht immer rechtzeitig und mit Genauigkeit reagiert, ihre Aktionen glichen manchmal einem falschen Manöver, aber in Zimbabwe (ehemals Rhodesien) hatte die katholische Kirche doch eindeutig gegen die Apartheid Position bezogen. In einem Hirtenbrief vom November 1965 warnte der katholische Episkopat: „Nur die Anerkennung des Wertes des Menschen ungeachtet seiner Rasse kann die Zivilisation verteidigen. Ohne diese Anerkennung herrschen entweder die blinde Brutalität der Massen oder der Polizeistaat.“ Die Realität von Gewalt und Intoleranz im heutigen Südafrika bestätigen die Wahrheit dieser Aussagen.

Der katholische Klerus war der Initiator der eingangs zitierten

Deklaration über die Apartheid. Derselbe Klerus hat 1986, als viele Skepsis äußerten über die ökonomischen Sanktionen, gemeint, daß sie „moralisch gerechtfertigte Mittel sind, um die Ungerechtigkeiten zu beenden“. Das unterstützten auch andere Mitglieder des südafrikanischen Kirchenrates. Ausgehend von der Einsicht, daß die rassistischen, diskriminierenden Gesetze mit dem christlichen Bewußtsein nicht zu vereinen sind, hat der Kirchenrat Maßnahmen ergriffen, um gegen die institutionalisierte soziale Ungerechtigkeit zu kämpfen.

Erste derartige Einrichtungen gab es 1949 im ökumenischen Zentrum von Wilgespruit unweit von Johannesburg. Hier sollte ein Forum geschaffen werden, das die gemeinsame Arbeit der Kirchen ermöglichte, Raum bot für Absprachen und für die Entwicklung eines sozial-ökonomischen Engagements wie etwa den Aufbau einer christlichen Mission unter den Arbeitern. Der Staat bezeichnet solche Zentren als subversiv, weil in ihnen nicht religiöse, sondern politische Arbeit verrichtet würde. Deshalb wurden auch die Priester und die anderen Mitarbeiter Opfer der juristischen Schikanen und der polizeilichen Einschüchterungsversuche. Ein langer Kampf begann, in welchem die Resultate in dieser Welt der Gewalt manchmal nicht sichtbar werden.

Und deshalb gibt es auch folgendes Paradoxon: Einerseits läßt die Wirkung der Kirche unter den Kämpfern gegen die Apartheid ständig nach, andererseits radikalisiert ein Teil des Klerus seine militante Position. Davon zeugt der erfolgreiche Kampf der Priester im Homeland Kwande-bele, die gegen die Unabhängigkeit für diesen Bantustamm eintraten. Heute organisieren Priester Straßenkomitees, in denen sie für die Abschaffung der jetzigen Administration eintreten.

Seit der Staat, am 24. Februar 1988, 17 Anti-Apartheid-Organisationen verboten hat, ist die Kirche heute die einzige offizielle Institution, die gegen das System kämpfen kann. Darin hat sich die anglikanische Kirche mit ihrem Oberhaupt Erzbischof Desmond Tutu nicht geirrt, als sie in den darauffolgenden Tagen eine Anti-Apartheid-Organisation gründete, die aber sofort verboten wurde.

Die Kirchen müssen im AntiApartheid-Kampf zu einem einstimmigen Widerstand bereit sein. Und dafür gibt es jetzt das Klima. Die NGK, die sich früher in ihre Isolation eingeschlossen hatte, ist jetzt bereit zum Kontakt mit anderen Kirchen, so zum Beispiel zum ökumenischen Kirchenrat in Genf. Auch im Land tritt sie für den Dialog mit den verschiedenen Kirchen ein, obwohl sie den südafrikanischen Kirchenrat beschuldigt, zu sehr politisiert und der Vorreiter der Theologie „der Revolution mit einer marxistischen Tendenz“ zu sein. Es gibt Absprachen, aber kein Einverständnis zwischen den Gesprächspartnern! Wie subtil die Kasuistik der einen oder der Skeptizismus der anderen auch immer sei, alle diese Kirchen müssen gemeinsam beten... und gemeinsam handeln für ein vom Rassismus befreites, demokratisches Südafrika.

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