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Ratlose Türkei

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des Terrorismus, besonders in Thailand und auf den Philippinen. Diese Unterwanderung besteht tatsächlich in Thailand freilich nur in den Nord-und Nordostprovinzen, in welche Aufständische verschiedener politischer Richtungen, vorwiegend allerdings kommunistischer, einsickern.

Die Frage der Sicherheit — vor dem Kommunismus — spielt eine sehr große Rolle. Aber die SEATO hat man dazu nie gebraucht. Sie war und ist zudem ein Torso dadurch, daß ihr weder Südvietnam, noch Indien, noch die um eine gewisse Neutralität bemühten Länder Laos und Kambodscha, noch Taiwan angehören. Die Sicherheit in diesem Raum wird im wesentlichen immer noch von den Amerikanern gewährleistet. In Thailand, das aber selbst eine sehr starke Wehrmacht hat, spürt man auf Schritt und Tritt die militärische Anwesenheit der Amerikaner. Daß Taiwan trotz teilweisen Truppenabzuges sich nach wie vor wirkungsvoller Rüstungshilfe der USA erfreut, rundet dieses Bild ab.

Auch sonst stehen in Südostasien verschiedene Gemeinschaften vorwiegend auf dem Papier, so vor allem die ASEA (Association of Southeast Asia — Südostasien-Gemeinschaft), der Malaysia, Thailand und die Philippinen angehören und die eine Art Parallelstück zur EWG sein sollte, aber nicht effektiv ist. Malaysia gehört der SEATO übrigens indirekt an, indem der Colombo-Plan (Plan für die gemeinschaftliche wirtschaftliche Entwicklung Süd- und Südostasiens) vom 28. November 1950 (Dauer vorerst bis 1976) mit Zentralbüro in Ceylon, dem 19 Staaten angehören, darunter Afghanistan, Indien, Pakistan, der Iran und Südkorea, unter dem Schutz der SEATO steht.

Die sehr verwickelten militärischen Beistandspakte, vor allem der USA, haben ein umfassendes bilaterales Bündnissystem geschaffen, durch welches Südost- und Ostasien vor ges vom 8. September 1951 (dem noch nicht alle seine ehemaligen Feindstaaten beigetreten sind) das Recht auf Selbstverteidigung (Art. 5), doch schließt die japanische Verfassung in Art. 6 die Unterhaltung von Streitkräften, wie auch ein staatliches Kriegsführungsrecht aus. Wer Japan bereist, wird vergeblich nach militärischen Einrichtungen Ausschau halten. Dennoch bestehen solche nach der Art der ehemaligen österreichischen B-Gendarmerie in Form militärisch formierter und ausgerüsteter Polizeistreitkräfte, deren Trainingsstätten verschiedentlich auch dem Besucher in die Augen springen. In Wirklichkeit hat Japan wieder aufgerüstet, wenn auch in dieser verdeckten Form. Die Sicherheit Japans wird dadurch und vor allem durch die USA gewährleistet, so daß sich Japan ganz seiner intensiven Industrieentwicklung widmen kann. Im übrigen ist es dem jetzigen Ministerpräsidenten Kakuei Tanaka heuer gelungen, mit Peking zu einem Arrangement zu kommen, welches auch der Aufrechterhaltung des Friedens in diesem Raum dient und natürlich die Zustimmung der USA finden mußte. Angesichts der ungeheuren Flottenaufrüstung Rotchinas kommt dieser Einigung erhebliche Bedeutung zu. Daß damit die Sowjetunion, die durch ihre Verbindung zu Indien und Bangla Desh Positionen in Südasien aufgebaut hat und den Vietkong viel stärker unterstützt als Rotchina dies tut, in Schranken gewiesen wird, verdient ebenfalls Beachtung. Ein Ausdruck dieser Tatsache war dieser Tage auch die Blok-kierung des sowjetischen Schiffes „Karalerowo“ im Hongkonger Hafen wegen Einschleusung eines Spions in die Kronkolonie. Obwohl der Sowjetspion — falls er einer ist — chinesischer Staatsangehöriger ist, würde der Gouverneur von Hongkong, Sir Murray MacLehose, wohl kaum zu seiner mit einer 8-Punkte-Note untermauerten Maßnahme gegriffen haben, wenn damit ein Konflikt mit In Ankara erreichte die Gesetzesvorlage für eine zweijährige Verlängerung der Amtsperiode des gegenwärtigen Staatspräsidenten General Cevdet Sunay überraschend nicht die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit in der „großen Nationalversammlung“. Vorausgegangen waren sieben Wahlgänge in den letzten beiden Wochen, bei denen keiner der drei Kandidaten die absolute oder einfache Mehrheit erringen konnte. Hoher Favorit war zunächst der eigens von seinem Posten zurückgetretene und zum „Senator auf Lebenszeit“ ernannte Generalstabschef General Fanuk Gürler gewesen. Beobachter hatten angenommen, die 638 Mitglieder der „Volkskammer“ und des Senates würden sich nicht dem Wunsch der Armee, einen Kandidaten aus ihren Reihen an der Spitze des Staates zu sehen, widersetzen und die Parlamentsauflösung und die Ausrufung der Militärdiktatur provozieren. Die Wahlgänge, bei denen Gürler weder die absolute noch auch nur die einfache Stimmenmehrheit errang, Meß auf eine falsche Einschätzung der innenpolitischen Machtverhältnisse durch die Generalität schließen. Diese spielte zwar kurz mit dem Gedanken an eine direkte Machtübernahme, ließ ihn jedoch endgültig fallen, als Gürler nach einem Herzversagen in ein Militärkrankenhaus eingeliefert werden mußte.

Die Erkrankung Gürlers war in der anatolischen Hauptstadt achtundvierzig Stunden lang verschwiegen worden. Auch die Berichterstattung über die vorerst gescheiterte Präsidentenneuwahl unterlag starken Beschränkungen. Es schien jedoch, als sei der Weg frei zu einer Ubergangslösung. Der überraschend gegen den hochfavorisierten Gürler angetretene Senatspräsident Tekin Ariburun, ebenfalls ein ehemaliger Generalstabschef, verzichtete ebenso wie Gürler auf seine weitere Kandidatur. Der Kandidat der kleinen rechtsgerichteten „Demokratischen Partei“, Senator Beyzboglu, blieb zwar im Rennen, hatte aber keine Chancen. Nach intensiven Kontakten zwischen dem Generalstab und Präsident Sunay, der sich lange gegen ein Verbleiben im Amt gesträubt hatte, und zunehmenden Druckversuchen vor allem gegen die Chefs der beiden größten Parlamentsfraktionen, Suleiman Demirel („Gerechtigkeitspartei“) und Bülent Ecevit („Republikanische Volkspartei“), sah es so aus, als werde man die Kraftprobe zwischen Parlament und Streitkräften bis nach den für diesen Herbst anstehenden Parlamentsneuwahlen verschieben und die Amtszeit von Staatschef Sunay um zwei Jahre verlängern.

Doch schon bei der Debatte über den verfassungsändernden Gesetzentwurf kam es in der „Großen Nationalversammlung“ zu schweren tätlichen Auseinandersetzungen. Nach der Ablehnung der Verfassungsänderung herrschte Ratlosigkeit und zunehmende Unsicherheit in Ankara und Istanbul. Die Bannmeile um das Parlamentsgebäude und die strategischen Punkte wurden weiter hermetisch abgeriegelt. In den Straßen patrouillierten schwerbewaffnete Eliteeinheiten. Diese Vorsicht erschien um so berechtigter, als die linksradikalen jugendlichen Stadtguerilleros die allgemeine Verwirrung bereits wieder zu Terrorakten ausnützten.

Niemand weiß, wie es weitergehen soll und niemand kann sich vorstellen, wie die Armee jetzt reagieren wird. Ergreift sie doch noch die Macht oder schickt sie ihre Soldaten enttäuscht zurück in die Kasernen? Im ersten Fall wäre es zu Ende mit der türkischen Demokratie, im zweiten ist mit revolutionären Umtrieben in den mittleren Rängen der Streitkräfte zu rechnen.

Die Parlamentarier liebäugeln mit einer typisch türkischen Kompromißlösung. Man will sowohl auf eine formelle Präsidentenneuwahl als auch auf eine Verlängerung der Amtsperiode des amtierenden Staatschefs verzichten, die Wahl auf einen Zeitpunkt nach den Parlamentswahlen im Herbst verschieben und Sunay stillschweigend so lange weiterregieren lassen. „Gerechtig-keitspartei“-Chef Demirel, für den es um das politische Überleben geht, rechnet mit einem überwältigenden Sieg und damit, daß sich die Generalität nicht offen dem Votum der Bevölkerung widersetzen werde. „Volksrepublifcaner“-Chef Ecevit hält jedoch einen Sieg seiner eigenen Sozialdemokratischen Partei oder doch ein ausgewogenes Stimmenverhältnis und damit einen Kompromiß mit der Generalität nicht für ausgeschlossen. Beide spielten daher auf Zeitgewinn. Die Frage ist nur, ob dabei auch das Militär mitspielt.

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