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Ratschläge für Sterbebegleiter

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Man kennt Tod und Sterben aus den Medien. Aus unserem Alltag aber ist der Tod verdrängt. Viele fühlen sich daher hilflos. Im folgenden einige Anregungen aus der Sicht eines Sterbenden:

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Man kennt Tod und Sterben aus den Medien. Aus unserem Alltag aber ist der Tod verdrängt. Viele fühlen sich daher hilflos. Im folgenden einige Anregungen aus der Sicht eines Sterbenden:

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1. Laß nicht zu, daß ich in den letzten Augenblicken entwürdigt werden. Das heißt, laß mich, wenn es irgend einzurichten ist, in der vertrauten Umgebung sterben. Das ist schwerer für dich. Aber es wird dich bereichern, Sterbebegleiter zu sein.

2. Bleibe bei mir, wenn mich jetzt Zorn, Angst, Traurigkeit und Verzweiflung heimsuchen. Hilf mir, zum Frieden hindurchzugelangen.

3. Denke dann nicht, wenn es soweit ist und du hier ratlos an meinem Bett sitzt, daß ich tot sei. Das Leben dauert länger, als die Ärzte sagen, Der Übergang ist langwieriger, als wir bisher wußten. Ich höre alles, was du sagst, auch wenn ich schweige und meine Augen gebrochen scheinen. Drum sag jetzt nicht irgendwas, sondern das Richtige. Du beleidigst nicht mich, sondern dich selbst, wenn du jetzt mit deinen Freunden belanglosen Trost erörterst und mir zeigst, daß du in Wahrheit nicht mich, sondern dich selbst bedauerst...

4. Das Richtige, was du mir jetzt sagen möchtest, wenn ich dich auch nicht mehr darum bitten kann, wäre zum ersten das, was es mir nicht schwer, sondern leichter macht, mich zu trennen. Denn das muß ich. Ich wußte es auch längst, bevor der Arzt es mir mit euren verlegenen Worten eröffnet hattet. Also sag mir, daß ihr ohne mich fertig werdet. Zeig mir den Mut, der sich abfindet, nicht den haltlosen Schmerz. Mitleid ist nicht angebracht. Jetzt leide ich nicht mehr. Sag mir, daß du das und das mit den Kindern vorhast und wie du dein Leben ohne mich einrichten wirst. Glaub nicht, es sei herzlos, das jetzt zu erörtern. Es macht mich freier.

Das Wort, aus dem ich lebte

5. Das Richtige, was du mir jetzt sagen möchtest, wenn ich dich auch vielleicht nicht mehr darum bitten kann, wäre das Wort, aus dem ich gelebt habe. Wenn nichts bleibt vom Leben auf Erden, so sind es doch diese Worte. Und wenn sie nicht Wort geworden wären in unserem Leben, so mußt du jetzt versuchen, sie zu finden. Hat sie es nicht gehabt, so hat unsere Liebe doch immer auf ihr Wort gehofft. Vielleicht war es ein einziger Bibelvers, aus dem wir lebten ein Jahr lang, ein einziger, der unser Suchen jetzt zusammenfaßt. Versuch ihn zu finden und mir ins Ohr zu sagen.

6. Ich höre, obwohl ich schweigen muß und nun auch schweigen will. Halte meine Hand. Ich will es mit der Hand sagen. Wisch mir den Schweiß von der Stirn. Streich die Decke glatt. Bleib bei mir. Wir sind verbunden. Das ist das Sakrament des Sterbeistands. Wenn nur noch die Zeichen sprechen können, so laß sie sprechen.

7. Dann wird auch das Wort zum Zeichen. Jetzt hättest du mehr von mir zu lernen als ich von dir. Ich blicke schon durch die Tür. Jetzt, da ich gehe, wünsche ich, daß du beten kannst, das heißt, das Gute erkennst, das Gott uns jetzt schickt. Klage nicht an - es gibt keinen Grund. Sage Dank - ich werde Gott schauen. Und dir wird es auch geschenkt werden.

8. Morgen, wenn sie dich nicht mehr alleinlassen mit mir, sorge dafür, daß der Ton dieser Stunde zwischen uns nicht verlorengeht. Laß die ehrenden Worte auf der Anzeige, den Aufwand auf dem Friedhof. Das alles erreicht mich nicht mehr.

Nicht zu viel Trauer

9. Und wenn dir mein Sterben ferner rückt, die letzten Kondolenzen beantwortet sind und du, wie es jedermann erwartet, in Trauer zurückfallen sollst, so wehre dich mit aller Kraft. Das viele Trauern in der Welt ist nur die andere Seite unseres Unglaubens, und das schlimmste ist, daß gerade die meisten Christen Ernst mit Traurigkeit verwechseln... Du sollst von mir nur wissen, daß ich der Auferstehung näher bin als du selbst.

10. Nimm mit dir mit, was wir zusammen erlebt haben, als kostbares Vermächtnis. Laß mein Sterben dein Gewinn sein, wie das Sterben unseres Heilandes unser Gewinn ist. Leb dein Leben fortan ein wenig bewußter als Leben vor dem Tod. Es wird schöner, reifer und tiefer, inniger und freudiger sein, als es zuvor war, vor meiner letzten Stunde, die meine erste ist. Auszug aus „Hospiz—aktuell” 1/1993

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