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Ratzinger am Bulänyi-Ball

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Steht der,.Fall Bulänyi“ unmittelbar vor einer Lösung? Die Story um den 68jährigen ungarischen Piaristenpater und Gründer von Basisgemeinden, die der ungarischen kirchlichen Hierarchie wie den staatlichen Behörden gleichermaßen im Magen liegt, hält nach wie vor westliche Berichterstatter in Atem.

György Bulänyi hat jetzt — wie er in einem Exklusiv-Interview gegenüber der FURCHE betonte-berechtigte Hoffnung auf eine für ihn positive Lösung seines Falles durch die Glaubenskongregation. Der in Budapest lebende, von seinen Amtsbrüdern gemiedene und isolierte Geistliche hat vor kurzem einen Brief des Präf ekten der Glaubenskongregation, Kardinal Josef Ratzinger, erhalten. Darin wird er, Bulänyi, aufgefordert, öffentlich der Lehre der Kirche zuzustimmen. Für Bulänyi ist Ratzingers jüngster Brief — der zweite, den er in diesem Jahr erhalten hat — von großer Bedeutung. ,3atzinger hat diesmal viel müder als früher geschrieben“, meint der Piaristenpater.

Der umstrittene Geistliche — zu den von ihm initiierten Basisgruppen bekennen sich etwa 1000 ungarische Katholiken, darunter etwa 50 Priester — hat sich in seinem Antwortschreiben an Ratzinger in lateinischer Sprache zum Zweiten Vatikanischen Konzil bekannt. Er beruft sich auf Nummer zwölf der Kirchenkonstitution, die von der Gesamtheit der Gläubigen, die im Glauben nicht irren könne, spricht und Nummer 14 des Dekretes über die Religionsfreiheit, das die Pflicht der Gläubigen betont, bei der Ge-wissensbüdung die Lehre der Kirche sorgfältig vor Augen zu haben.

Wird sich Kardinal Ratzinger mit diesen beiden Zitaten in Bulä-nyis Brief zufrieden geben? Der Piarist glaubt, daß er damit eindeutig seine Glaubenstreue bewiesen habe. „Es wird abzuwarten sein, ob Ratzinger meine Antwort akzeptiert.“

Für die Glaubenskongjegation, die im „Fall Bulänyi“ jetzt am Ball ist, steht eine schwierige Entscheidung bevor. Schüeßlich handelt es sich um eine äußerst komplexe Materie.

Dem Staat ist Bulänyi wegen seiner Ansichten zum Wehrdienst „gefährlich“. Die Kirche bangt in Ungarn um den Ruf und die Autorität ihrer Hierarchie. Die konkreten Vorwürfe an den Geistlichen lauten, er habe die Lehre der Kirche über Krieg und Kriegsdienst falsch ausgelegt (so der Staat) und antihierarchisches, „protestantisches“ Gedankengut verbreitet (so der Episkopat).

Für Bulänyi selbst wurde die Verknüpfung beider Vorwürfe, ihre Bewertung als „Glaubensfragen“, zum Fallstrick. Außerdem nennt er es heute — in einer harten Abrechnung mit dem verstorbenen ungarischen Primas -als verhängnisvoll, daß Läszlo Lekäi seit 1976 vom atheistischen Staat die Aufgabe übernommen habe, „die Arbeit unserer Basisgemeinschaften zunichte zu machen“.

„Vor Abschluß der Helsinki-Schlußakte 1975 hatte der atheistische ungarische Staat die Möglichkeit, mit Gewalt gegen uns vorzugehen“ — so Bulänyi wörtlich. 300 Mitglieder seien im Zeitraum von zwei Jahrzehnten verhaftet worden. „Heute kann der Staat nicht mehr mit solchen Methoden arbeiten, deswegen hat er der ungarischen Hierarchie die ,edle Aufgabe* übertragen, uns zu liquidieren.“

Arbeiten die Bulänyisten gegen den Staat? Bulänyi lehnt einen Vergleich mit lateinamerikanischen Basisgemeinden ab. „Wir sind schon sozialistisch; wir brauchen keine Basisgemeinden wie in Nikaragua. Der Sozialismus ist bei uns Wirklichkeit. Und wäre er keine Wirklichkeit, wir würden uns auch nicht für sein Entstehen einsetzen.“

Bulänyi ist gegen „Revolution“ — sowohl im Falle eines Kapitalismus oder eines Sozialismus als Ausgangslage. „Seine“ Basisgemeinden verfolgten keinerlei politische Absichten.

Für die Mitglieder der von Pater Bulänyi initiierten Gruppen genügt — „wie für Paulus die römische Sklavenhaltergesellschaft“— die „ungarische Kolchosgesellschaft“ zur Evangelisierung. Und er ist der Ansicht, daß weder die ungarische katholische Hierarchie und schon gar nicht der ungarische Staat solche Ideen akzeptieren wollen, die er für christlich hält.

Der als „Häretiker“ zensurierte Bulänyi—rund 30 Bücher von ihm kursieren im Untergrund - appelliert an den Vatikan, in Zukunft „keine Bischöfe mehr für Ungarn zu ernennen“. Jetzt, nach dem Tod Kardinal Lekäis, könne damit der Anfang gemacht werden, meint er.

Bulänyi weiß, in welche Lage er mit dieser Herausforderung Rom bringt. Die „Politik der kleinen Schritte“ Kardinal Lekäis wäre damit zu Ende. Neben den gegenwärtigen Schwierigkeiten Bulä-nyis tritt dann das Problem einer Neudefinition vatikanischer Ostpolitik.

Man kann sich ausmalen, wie Ratzinger im „Fall Bulänyi“ entscheiden wird. Fragwürdig bleibt aber nach wie vor die Behandlung dieser Causa als „Glaubensfrage“, wo es sich doch eigentlich um eine kirchendisziplinäre und teü-weise religionspolitische Angelegenheit handelt.

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