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Raul Prebisch gestorben

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In Argentinien hat er begonnen, in Argentinien hat er aufgehört: Raul Prebisch verstarb Anfang Mai im Alter von 85 Jahren. Sein entwicklungspolitisches Vokabular ist auch bei uns bekannt.

Ohne Raul Prebisch wären heute Argentinien, Lateinamerika und die ganze Dritte Welt nicht dort, wo sie sind, denn der Argentinier, der zuletzt für den argentinischen Zivilpräsidenten Raul Alfonsin als Berater tätig gewesen war, initiierte die wichtigste

wirtschafts- und entwicklungspolitische Debatte der Dritten Welt. 1948 wurde, gegen den Wülen der USA, die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (spanisch abgekürzt Cepal) gegründet

Ausgangspunkt war die Sorge um die Zukunft Lateinamerikas, das sich nach den Wünschen der orthodoxen Freihändler nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder dem Welthandel öffnen sollte.

Im Krieg hatte der Kontinent paradoxerweise gesamtwirtschaftlich gut abgeschnitten. Die eigene verarbeitende Industrie hatte einen Aufschwung erlebt weü Güter aus Europa nicht mehr eingeführt werden konnten. Rohstoffe und Energie hatten gute Preise erzielt, weil die USA für ihre Kriegsmaschinerie enorme Mengen einführten. (Der Gang der Weltgeschichte hatte damals Lateinamerika die „Neue Weltwirtschaftsordnung“ beschert, von der die Dritte Welt seit den sechziger Jahren träumt: Abgeschlossene Wirtschaftsräume, gute Preise für exportierte Rohstoffe und gesicherten Absatz...)

Der uneingeschränkte Freihandel, der nach dem Kriege wieder aufleben sollte, würde — so fürchtete die Prebisch-Generation — diese Vorzugsposition Lateinamerikas beenden. Die Ursache

sah die Entwicklungsdoktrin der Cepal darin, daß Lateinamerika mit den Industriestaaten nicht auf gleicher Höhe stehe und deshalb besondere Rahmenbedingungen brauche, um die Reifestufe der Industrienationen zu erreichen.

In einer Reihe von Studien, geschrieben zwischen 1949 und 1952, entstand der Kern der Entwicklungsdoktrin der Cepal, mit allen Begriffen, die heute noch die Diskussion prägen: Zentrum und Peripherie (wobei das Zentrum über den Welthandel auf Kosten der Peripherie expandiert), Abhängigkeit sich verschlechternde Handelsbedingungen, strukturelle Heterogenität und andere mehr. Um solche Ungleichheiten zu bewältigen, wurden für Lateinamerika Sonderbedingungen gefordert Der Staat sollte der Steuermann der Wirtschaftspolitik sein, Zollschutz, regionale Integration (der Andenpakt etwa stellt so eine cepalinische Integration dar) und besondere Finanzhilfen aus dem „Zentrum“ wurden verlangt Ein weiteres Schlüsselwort dieser Entwicklungsdoktrin ist die „importsubstituierende Industrialisierung“ (ISI), also das Vorantreiben der eigenen Güterproduktion über den Staat um die Devisen verschlingenden Importe aus dem ,.Zentrum“ zu ersetzen.

Globalen Stellenwert erhielt diese lokale Debatte, als Raul Prebisch 1964 Generalsekretär der UNCTAD (UN-Konferenz für

Welthandel und Entwicklung, das Forum, in dem die Nord-Süd-Verhandlungen stattfinden) wurde. Damit weitete sich die lateinamerikanische Debatte zur allgemeinen Dritten-Welt-Diskussion aus.

Raul Prebisch hat Lateinamerikas Wirtschaftsentwicklung der letzten 35 Jahre wie kein Zweiter beeinflußt, weil die Staaten des Kontinents immer wieder auf seine Theorie zurückgriffen. Die wortstarke Cepal-Technokra-tie, die häufig die Planungsund Wirtschaftsminister stellte, konnte die Theorie direkt in die Praxis umsetzen. Deswegen fehlte es auch nicht an Kritik, zumal der Liberalismus sich nie mit der Cepaldoktrin anfreunden konnte.

Zu einer regelrechten ideologischen Schlacht kam es in Lateinamerika in den siebziger Jahren, als der aus den USA kommende krasse Neo-Liberalismus im Mantel des Monetarismus die Cepaldoktrin aus den Angeln zu heben suchte. Heute steht zumindest fest, daß beide Schulen an der Uberschuldung scheiterten.

Dennoch hatte Raul Alfonsin, als er 1983 die Präsidentschaft des zerrütteten Argentinien übernahm, keine andere Wahl, als auf die Cepal-Wirtschaftsfor-mel zurückzugreifen. Die längst

überfällige Diskussion, wie der „Cepalismo“ den heutigen Erfordernissen anzupassen sei, durfte dabei nicht länger aufgeschoben werden. Die offenen Fragen: Muß die Rolle des Staates im Wirtschaftsleben so stark sein? Wie kann der Cepal-Bürokratis-mus abgebaut werden? Wie kann bei Zollschutz effizient und weltmarktgerecht produziert werden? Welche Arbeitsteüung zwischen Zentrum und Peripherie (Erster und Dritter Welt) ist sinnvoll? Wie kann angesichts der Uberschuldung überhaupt noch weitergemacht werden?

Raul Alfonsin hat dafür den Cepalismo in den drakonischen Rahmen seines Planes „Austral“ gepackt, dessen Kern eisernes Sparen und Inflationsbekämpfung ist Zudem wurde Alfonsin einer der lateinamerikanischen Sprecher bei den internationalen Schuldenverhandlungen.

Aber die Rezepte greifen nicht

Das liegt weniger am Cepalismo denn an den widrigen Umständen, in denen heute Argentinien handeln muß. Der Spielraum für den argentinischen Staatspräsidenten ist zu gering. So fällt er auf symbolische Gesten zurück: südlich von Buenos Aires will er eine neue Hauptstadt aus dem Boden stampfen lassen; persönlicher Einsatz soll den mittelamerikanischen Friedensdialog retten; auch die Verurteilung der Generale, die 1982 den Falkland-Krieg vom Zaune brachen — unter ihnen der damalige Staatspräsident Leo-poldo Galtieri! —, konnte Alfonsin jüngst zu Ende führen. Für wirkliche Entscheidungen jedoch ist in der heutigen Lage Argentiniens kein Raum mehr.

Das Ausmaß dieser Schwierigkeiten konnte Raul Prebisch nicht vorhersehen.

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