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Rauriser Literaturtage: Keine Chance für Pathos

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Zum 22. Mal war der Fremdenverkehrsort Rauris im Salzburger Land für einige Tage Mittelpunkt des literarischen Geschehens. Im Zentrum der diesjährigen Rauriser Literaturtage, die vom 1. bis 5. April stattfanden, stand das Werk von Hans Magnus Enzensberger. Sein persönliches Auftreten war ein seltenes und außergewöhnliches Ereignis.

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Zum 22. Mal war der Fremdenverkehrsort Rauris im Salzburger Land für einige Tage Mittelpunkt des literarischen Geschehens. Im Zentrum der diesjährigen Rauriser Literaturtage, die vom 1. bis 5. April stattfanden, stand das Werk von Hans Magnus Enzensberger. Sein persönliches Auftreten war ein seltenes und außergewöhnliches Ereignis.

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Am Anfang stand wie immer die Verleihung des Rauriser Literaturpreises, der alljährlich für eine deutschsprachige Prosaerstveröffentlichung vergeben wird und so interessante Autoren wie Hans Joachim Schädlich, Thomas Hürlimann, Michael Köhlmeier und Norbert Gstrein zu seinen Preisträgem zählt. In diesem Jahr fiel die Wahl der Jury auf Patrick Roth und Sabine Scholl, die bei der Eröffnung aus ihrem Debütband lasen.

Sehr unterschiedlich wurde „Riverside. Eine Christusnovelle" des 1953 in Freiburg geborenen und seit 1976 in Los Angeles als Drehbuchautor und Regisseur lebenden Patrick Roth aufgenommen. Der spannende Versuch, einen biblischen Stoff auf eigenständige Weise und abseits literarischer Moden zu gestalten, stieß durch die altertümelnde Sprache und das Pathos des Vortrages auf manchen Widerstand.

Die aus Oberösterreich stammende Sabine Scholl, Jahrgang 1959, wurde für den im kleinen Berliner Gatza-Verlag erschienenen Erzählungsband „Fette Rosen" ausgezeichnet. In dieser gerafften, konzentrierten Prosa versteht sie es, „Kindheitserinnerungen aus dem ländlichen Raum und die Stationen einer weiblichen erotischen Biographie in ungewöhnlich verknapptem Sprachrhythmus aufeinander zu beziehen", wie Bodo Hell, der Träger des ersten Rauriser Literaturpreises, für die Jury formulierte.

Der Rauriser Förderungspreis wurde an die aus Salzburg stammende Autorin Bettina Balaka vergeben. Ihre Erzählung des psychischen Zusammenbruches einer Frau, „Schmerzen träumt man nicht", weist freilich noch allzu deutliche sprachliche und erzähltechnische Mängel auf.

Am Donnerstag abend vermochte der Schweizer Romancier Silvio Blatter bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Salzburger Literaturforum „Leselampe" das Publikum zu faszinieren. Die plastischen Gestalten aus „Kein schöner Land" und „Das sanfte Gesetz" erschlossen sich dem Publikum auf unmittelbare Weise. Man darf gespannt sein auf sein im August erscheinendes Buch „Avenue Amerika", mit dem er seinen Weg in Richtung Meditation und Phantasie weitergeht. Plastisch und nachvollziehbar entfaltete Silvio Blatter in einem Arbeitskreis mit Studenten der Universität Salzburg sein Selbstverständnis als Geschichtenerzähler.

Am dritten Veranstaltungstag stellte Hans Magnus Enzensberger einen Autor vor, den er für seine „Andere Bibliothek" entdeckt hat: den Isländer Einar Kärason. Da es mit der Übersetzerin Probleme gibt, konnte man sich leider kein Bild der wahrscheinlich 1993 auf deutsch erscheinenden Ro-mantrilogie machen, sondern nur eine Erzählung hören, die keinen allzu großen Eindruck hinterließ.

Der Abend dieses Tages gehörte Christoph Ransmayr, der nach Rauris zu einem seiner seltenen Auftritte gekommen ist und eine eigens zusammengestellte Textfolge aus seinem ersten Roman „Die Schrecken des Eises und der Finsternis" las. Ransmayr konnte das zahlreich erschienene Pub-likum faszinieren, das am Schluß auch einen erst in Arbeit befindlichen Text zu hören bekam. Man kann sicher sein: Ransmayr hat sich mit seinem Erfolgsbuch „Die letzte Welt" noch lange nicht ausgeschrieben.

Am Samstag war Enzensberger-Tag: Es begann mit einem öffentlichen Gespräch zwischen dem Autor und der Leiterin der Rauriser Literaturtage, Brita Steinwendtner. Das gewandte Parlando des Autors faszinierte das Publikum und machte ihn schwer greifbar und angreifbar. Angesprochen auf den Wandel seiner künstlerischen und weltanschaulichen Positionen ironisierte er die „intellektuelle Garderobe" und wehrte sich gegen „Hüte" wie „Subjektivismus", „Avantgarde" oder „Aufklärer". Er sprach von den Mühen der Politik, in der er sich immer nur aus Notwehr engagiert habe und in der es gelte, mühsam immer wieder dasselbe zu sagen: Gegen die „Machttrottel" ist der Intellektuelle noch immer mit Problemen von 1848 konfrontiert. Spannend sind im politischen Bereich nur die ungeklärten Fragen.

In den fünfziger Jahren, als der Faschismus aufgeräumt werden mußte und „der altdeutsche Muff eine letzte hinhaltende Verteidigungslinie aufgebaut hat", war es für den Autor notwendig, eine schrillere Sprache zu sprechen. Heute, nach dem Wegfall aller Tabus und unter der Devise „anything goes", hat das Pathos keine Chance mehr. Enzensberger findet Formulierungen für komplexe Probleme, die zu Ohrwürmern werden, und er ist einer der wenigen deutschen Intellektuellen, der erfolgreich eine Talk-Show bestreiten könnte. Wer freilich von der analytischen Schärfe seiner frühen Gedichte und Essays begeistert war, wird diese von Selbst-bespiegelung nicht immer freie Welt-läufigkeit nicht uneingeschränkt bewundem können.

Alle Register seiner Vortragskunst zog Enzensberger am Nachmittag bei der Lesung aus den Gedichtbänden „Der fliegende Robert" und „Zukunftsmusik". Wenn man ihm zuhört, erschließt- sich eine neue Dimension, hinter skeptischer Heiterkeit steht immer wieder der Gestus der Ironie (und Selbstironie?).

Am Abend stand dann eine von Klaus Gmeiner inszenierte Leseaufführung von Enzensbergers Theaterstück „Requiem für eine romantische Frau - ein Liebeskampf in sieben Szenen" auf dem Programm. Es konzentriert sich ganz auf sein Material: Die tragische Liebesgeschichte zwischen der 16jährigen Auguste Bußmann und Clemens Brentano, die in Einzelheiten dokumentiert ist. Auguste Bußmann war für Enzensberger die eigentliche Romantikerin, die Poesie und Leben bruchlos verbinden wollte. Ihrem Scheitern und ihrem Tod fügt er nichts hinzu, weil er nicht glaubt, daß wir heute klüger sind. Die eindrucksvolle Leistung der Hauptdarsteller Katrin Schurich und Leo Braune machte die Aufführung zum Ereignis.

Die Rauriser Literaturtage sind nicht nur Literaturtourismus, der Autoren. Kritiker und Interessierte in gesunde Luft befördert, sondern sie suchen bewußt den Bezug zum Ort, an dem sie stattfinden. Rauriser konnten einen Autor ihrer Wahl in ihre Stuben zu einem Gespräch im Freundeskreis einladen, und am Sonntag stand zum Abschluß der Nationalpartk Hohe Tauem als Schwerpunkt auf dem Programm. Die einheimische Bevölkerung trägt die Literaturtage mit großem Interesse mit, und man ist dankbar, hier zu Gast sein zu dürfen. Die Autoren fühlen sich wohl, und zwischen den Veranstaltungen gibt es viele Gesprächs- und Diskussionsmöglichkeiten. Man darf gespannt sein auf das nächste Jahr.

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