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Reagan ante portas?

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Die amerikanische Innenpolitik ist über Nacht in Bewegung geraten, die Wahlen von 1976 werfen ihre langen Schatten voraus. Scheinbar inkongruente Ereignisse lassen sich lediglich mit politischen Fäden zusammenhalten und politisch interpretieren: Präsident Fords brüske Ablehnung, die Stadt New York vor dem Bankrott zu retten. Vizepräsident Rockefellers Verzicht, 1976 mit Ford auf dem gleichen „Wahlticket“ zu kandidieren. Die Entlassung des Verteidigungsministers Schlesinger und des CIA-Chefs Colby. Die Neubesetzung dieser Posten durch Freunde Fords, durch Rumsfeld, Bush und schließlich das Heimholen Richardsons vom Londoner Botschafterposten als Handelsminister mit höheren politischen Aspirationen.

Neben den Veränderungen in der Administration hat der Präsident auch seinen Vorwahlstab ausgewechselt. Zunächst sieht sich Präsident Ford vor einem politischen Problem, das sich in der Vergangenheit einem aktiven Präsidenten niemals gestellt hat: Ford muß um seine Nominierung als Kandiat der Republikaner für die Wahl des Jahres 1976 kämpfen. Die Herausforderung innerhalb seiner eigenen Partei kommt von rechts und ist personifiziert durch den ehemaligen Gouverneur Kaliforniens, Ronald Reagan. Dieser fordert Ford heraus, weil er in ihm einen zu kompromißbereiten und farblosen Politiker sieht, vor allem aber, weil Ford niemals vom Elektorat gewählt, sondern als Nachfolger Nixons vom Kongreß bestellt wurde. Ford kann sich daher nicht auf ein Mandat berufen, und seine Popularität ist auch nicht so überzeugend, daß mit seiner Wiederwahl unbedingt gerechnet werden könnte. Die konservativen Republikaner wollen daher Reagan auf dem Parteikongreß die Nominierung erkämpfen, und er wird aller Voraussicht nach den Präsidenten in New Hampshire, Florida und Kalifornien zu Primaries (Vorwahlen) herausfordern. Bei der Strukturierung der an Mitgliedern schwachen Republikanischen Partei ist es auch gar nicht sicher,- ob nicht der konservative Reagan bei diesen Vorwahlen respektabel abschneidet, wenn nicht sogar als Sieger aus ihnen hervorgeht. Ford tut daher jetzt alles mögliche, um Reagan den Wind aus den Segeln zu nehmen, diesen vielleicht sogar von der Kandidatur abzuhalten.

Der Entscheid, New York nicht vor dem Bankrott zu retten, entspricht durchaus den Ansichten der konservativen Republikaner, ist aber darüber hinaus im ganzen nicht Urbanen Amerika populär. New York gilt dem Binnenamerikaner als Symbol der Mißwirtschaft, der Korruption und als Sündenpfuhl; es repräsentiert eine Welt für sich, die von vielen Amerikanern als fremd, als unamerikanisch empfunden wird.

Die New Yorker Stadtväter- und der Gouverneur haben in den letzten Krisenmonaten bereits radikale Schnitte vorgenommen, benötigen aber Überbrückungskredite oder Garantien, um das „andere Ufer“ in etwa drei Jahren erreichen zu können.

Solche noch vom Kongreß zu beschließende Garantien würde Ford mit seinem Veto belegen. Ford will New York dem „verdienten Bankrott“ ausliefern, was zur Folge hätte, daß gerichtliche Konkursverwalter bestimmen würden, wie die eingehenden Gelder verausgabt werden sollen.

Bedeutet die New Yorker Entscheidung schon eine massive Geste in Richtung Reagan, so kulminiert dieses Manövrieren in der Eliminierung Nelson Rockefellers vom Präsidentschaftsteam 1976. Wohl hat sich Rockefeller selbst abgemeldet. Aber da diese Entwicklung Präsident Ford innerparteilich erheblich entlastet, kann sie nicht nur von ungefähr kommen. Als langjähriger Gouverneur New Yorks ist Rockefeiler für Bundeshilfe eingetreten. Aber dieses Eintreten für New York war nicht so vehement, daß es nicht mit seiner Stellung neben Ford zu vereinbaren gewesen wäre. Vielmehr müssen beide Politiker erkannt haben, daß sie an einer politischen Wegkreuzung angelangt waren und daher auseinandergehen mußten. Für Ford war der liberale und fortschrittliche Republikaner Rockefeller eine Belastung in seiner Auseinandersetzung mit den Konservativen, und Rockefeiler selbst mag sich gesagt haben, er bleibe, wenn Reagan und Ford einander zerfleischen, immer noch ein potentieller Kandidat, der gewählt werden kann. Denn es darf nicht übersehen werden, daß sich dieser letzte Sturm bloß ün Republikanischen Wasserglas abspielt 'und daß ein Kandiat des rechten Republikanischen Flügels bei den Wahlen von 1976 eine ebenso vernichtende Niederlage erleiden dürfte wie Goldwater im Jahre 1964.

Kann man die bisher geschilderten Entscheidungen als „innerrepublikanisch“ interpretieren, so ist die Entlassung des Verteidigungsministers Schlesinger eine Maßnahme, die einen wesentlichen Teil des Kredits, den Ford sich auf der Rechten angesammelt hat, wieder aufhebt. Schlesingers Abgang ist ein Sieg Kissingers, ein Sieg der Detentepolitik, und daher ein Faustschlag ins Gesicht der Rechten. Selten hat in der Geschichte Amerikas ein Minister mit soviel Prinzipientreue, menschlicher und politischer Integrität und so viel Intelligenz gedient, wie dieser Verteidigungsminister. Während aber der phantasiebegabte Kissinger die wesentliche Linie der amerikanischen Außenpolitik in einem Näherrücken an Moskau sieht, blieb Schlesinger immer skeptisch und auf dem Boden der nüchternen Zahlen.

Auch dieses Problem wird 1976 ausgefochten werden und wenn es auch den Anschein hat, als ob eine auf Wohlstand und Frieden ausgerichtete Nation den Weg der Akko-modierung über jenen der Konfrontation mit Rußland stelle, so darf doch nicht übersehen werden, daß diesmal auch sehr starke Kräfte in der Demokratischen Partei und nicht zuletzt viele Gewerkschaften der Detentepolitik mit großer Reserve gegenüberstehen.

Ford hat Schlesinger durch „seinen Mann“ Donald Rumsfeld ersetzt, einen jener brillanten jungen Politiker, die heute, im Zeitalter der Technokraten, nicht selten sind, denen jedoch Profil und Linie fehlen. Kissinger hat in diesem Revirement zwar seinen Posten als Sicherheitsberater des Präsidenten aufgegeben, aber sein ihm loyal ergebener Stellvertreter General Scowcroft wird als „his masters voice“ charakterisiert, so daß Kissinger, wie sich Ford ausdrückte, „seine dominierende Rolle bei der Formulierung und Durchführung der amerikanischen Außenpolitik behält.“ Kissinger ist auch die lebendige Durchlöcherung der Erklärung Fords, er wollte „sein eigenes Team“ haben. Denn Kissinger ist ebenso ein Vermächtnis der Regierung Nixon wie Schlesinger oder der entlassene CIA-Chef Colby.

Colby war nie als Dauereinrichtung gedacht. In einer Periode der Durchleuchtung des Geheimdienstes durch alle möglichen Kongreßgrüpp-chen, die einer wesentlichen Schwächung des Dienstes gleichkommt, schien ein farbloser Anwalt gerade die richtige Besetzung zu sein. Es hat den Anschein, daß der Präsident durch die Berufung des Botschafters Bush (der zuletzt Botschafter in Peking, vorher Botschafter bei der UNO war) einen Mann an die Spitze des Geheimdienstes berufen hat, der nicht nur eine neue Vertrauensbasis schaffen muß, sondern aucn den Übergriffen des Kongresses Einhalt gebieten soll. Der Auflösungsprozeß dieses lebenswichtigen Dienstes hat Formen angenommen, die auch von den Bilderstürmern im Kongreß selbst mit Unbehagen beobachtet werden. Es gilt, zu retten, was noch zu retten ist.

Daß Eliott Richardson wieder in

Washington auftaucht, darf nicht verwundern. Er gehört in die Kategorie der glatten, talentierten Karrieristen wie Rumsfeld, und wer seinen Weg unter Nixon verfolgt hat, mit eingeschlossen den Dolchstich in den Rücken seines Wohltäters, darf nicht erstaunt sein, wenn er Richardson nach einigen Monaten des Wartens im Handelsministerium allenfalls als Vizepräsidentschaftskandidaten Fords wiederfindet.

Es fragt sich bloß, ob dieses Schachspiel mit seinen Mitarbeitern dem Präsidenten politisch wirklich geholfen hat. Reagan ließ bereits verlauten, daß er sich dadurch nicht „appeasen“ (befrieden) lasse. Er dürfte in Kürze seine Kandidatur offiziell anmelden. Ein großer Teil der Demokraten ist durch „New York“ erbittert, was allerdings für einen Republikanischen Präsidentschaftsanwärter nichts Neues ist. Auch Nixon hatte den Wahlblock der städtischen Demokraten im Osten von vornherein abgeschrieben.

Ein anderer Teil der Demokraten und Republikaner ist durch die Entlassung Schlesingers erbittert. Es scheint daher, als ob Ford seine innenpolitische Position nicht konsolidiert hätte, vielmehr gewinnt man den Eindruck chaotischer Entwicklungen. Man hat auch nicht das Gefühl, daß hier ein zögernder, unsicherer Politiker plötzlich Stärke und Entschlußkraft beweist und über sich hinausgewachsen wäre. Es scheint, daß Ford, sehr gegen seine friedfertige Natur, durch politische Ereignisse in diesen Kurs gezwungen wurde, ein Getriebener, kein Treibender.

Als Fazit dieser politischen Nacht der Langen Messer steht jedenfalls heute die Republikanische Partei ebenso zerrissen und zerstritten da wie die Demokraten. Was jedoch einer Oppositionspartei weniger übelgenommen wird, kann für die im Scheinwerferlicht stehende Regierung tödlich werden.

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