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Real- oder Moral-Politik

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Noch immer ist das Parlamentsgebäude in Vilnius mit eisernen Schranken und Sandsäcken gesichert, innen halten Landwehrmänner mit automatischen Waffen Wache. Dort arbeitet der Hauptberater des Parlamentspräsidenten Vytautas Landsbergis, der Chef der „Partei der Unabhängigkeit", Virgilijus Juozas Cepaitis.

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Noch immer ist das Parlamentsgebäude in Vilnius mit eisernen Schranken und Sandsäcken gesichert, innen halten Landwehrmänner mit automatischen Waffen Wache. Dort arbeitet der Hauptberater des Parlamentspräsidenten Vytautas Landsbergis, der Chef der „Partei der Unabhängigkeit", Virgilijus Juozas Cepaitis.

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Sajudis, der Bund der demokratischen Kräfte, dessen Name in den vergangenen zwei Jahren mehrmals um die Welt gegangen ist, ist schon Vergangenheit. In Litauen entstehen jetzt politische Parteien - und an der Spitze der heute wahrscheinlich populärsten rechtsorientierten „Partei der Unabhängigkeit" steht heute Virgilijus Juozas Cepaitis, der ehemalige Chefesekretär von Sajudis, Chefdolmetsch, Abgeordneter und einer der inoffiziellen Hauptberater des Parlamentspräsidenten Vytautas Landsbergis.

Cepaitis kritisiert heute sehr stark die „vorsichtige Politik der Europäer" während des Prozesses der Selbstän-digwerdung der baltischen Republiken. ..In erster Linie rechnete man mit den Interessen der Sowjetunion. Das war, wie man so schön sagt, Realpolitik." Cepaitis ist der Meinung 7 so gegenüber dem FURCHE-Korrespon-denten, „daß es bald zum Ende dieser aus dem 19. Jahrhundert stammenden Realpolitik kommen" müsse.

Der Vorsitzende der..Partei der Unabhängigkeit" weist darauf hin. daß erst jetzt die konkrete Arbeit für die Unabhängigkeit Litauens beginne. „Bis jetzt ging es nur um den internationalen Status. Heute beginnen wir mit dem Aufbau der bewaffneten Kräfte, führen die ersten Polizeireformen durch. Im Gerichtswesen haben wir mit dem Neuaufbau noch gar nicht begonnen."

Auch in der materiellen Sphäre erwartet Litauen ein Übermaß an Anstrengung und Arbeit. Geht es doch um die Privatisierung, um den vielzitierten Übergang zur Marktwirtschaft. Ich denke, wir sind der einzige postkommunistische Staat, der alle diese Gesetze bereits hat. Jetzt geht es aber um ihre Durchführung. Wir haben damit vor einigen Wochen begonnen, die Preisliberalisierung kommt jetzt im November und im Jänner werden wir wahrscheinlich eine eigene Währung einführen." Cepaitis hat noch Bedenken, was den raschen Einsatz der neuen Währung betrifft, weil es damit zur Verkomplizierung des Verhältnisses mit den osteuropäischen Partnern kommen könnte. „Aber ich glaube, daß es dort in den nächsten Monaten ein derartig ökonomisches Chaos geben wird, daß die neue Währung unsere Rettung wird."

Zu Neuwahlen in Litauen vertritt der Berater von Landsbergis mit der Parlamentsmehrheit die Ansicht, „daß wir diesbezüglich noch einige Jahre warten müssen, bis die wirtschaftliche Reform unumkehrbar geworden ist. damit auch Postkommunisten - sollten sie einmal in die Regierung kommen - keine Möglichkeit haben. Reformen einzustellen."

In zwei Jahren - hat Cepaitis Hoffnung - könnte Litauen in seiner „Eu-ropäisation" fortschreiten. Durch eine neue „Verschwörung" - sagt der Parteichef mit Blick auf Polen - könnte alles „in Gefahr gebracht werden", das könne man leider nicht ausschalten.

Über die Chancen seiner Partei wollte Cepaitis nicht viel sprechen. Er glaubt, daß sie bei Wahlen gemeinsam mit den Christdemokraten, der Nationalpartei und den Grünen antreten wird.

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