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Reale btimmungskulissen

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Die Gespräche im Schatten des Turmes mit seinem phantastischen Zackenwerk umkreisten das Thema möglicher Neuwidmungen der mühsam und vorläufig nur halbwegs geretteten Bauschöpfung. Bernsteinfarbene Trockenbeerenauslese und naheliegende Gedankenverbindungen zur „Schwarzen Romantik“ inspirierten zu der Erwägung: „Man könnte hier doch den Weltkongreß der Vampire abhalten!“ Immerhin, Roman Polanski, deren moderner Sachwalter, fände zwischen den filigranen

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Die Gespräche im Schatten des Turmes mit seinem phantastischen Zackenwerk umkreisten das Thema möglicher Neuwidmungen der mühsam und vorläufig nur halbwegs geretteten Bauschöpfung. Bernsteinfarbene Trockenbeerenauslese und naheliegende Gedankenverbindungen zur „Schwarzen Romantik“ inspirierten zu der Erwägung: „Man könnte hier doch den Weltkongreß der Vampire abhalten!“ Immerhin, Roman Polanski, deren moderner Sachwalter, fände zwischen den filigranen

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Staffelgiebeln und Wasserspeiern dieses Schlosses Grafenegg östlich von Krems viele Motive: abstruse Blickwinkel, abenteuerliche Überschneidungen von Mauerwerk und Zierat und von der Höhe des Berchfrits aus die Naheinstellung auf die von heraldischem Getier bevölkerte Dachlandschaft, während in der Weite der imaginäre Schwenk des Betrachters sopi- merliches Flachland und die Höhenzüge des Wagramgebietes einfängt. Die feudale Szenerie ist von rustikaler Einfachheit umgeben.

Vor wenigen Jahren war dieser Baukörper noch Terra Prohibita, hinter einem Kordon aus Pfosten, Stacheldraht und Warnungstafeln — die Domröschenhecke, wie sie das Zeitalter der schmutzigen Kriege spinnt. Im sumpfenden Wasser des Grabens spiegelte sich düstere, zerbröckelnde Tudorgotik, «mit Brettern vernagelte Fenster schirmten den fortschreitenden Aushöhliuingsprozeß na’ch außen ab, das elegisch-romantische Wechselspiel der Eindrücke steigerte sich zur Atmosphäre gespenstischer Verödung. Auf den Wiesen rund um das Schloß machten Modephotographen in gebotenem Abstand von der gefährdeten Fasisade Aufnahmen der neuesten Kollektion. Die Giebelreihe kam nur als verflimmernde, verfremdete Hiintergiunddekoratdon ins Bild.

Noch immer begegnen weite Kreise von Kunstfreunden der Epoche des Historismus mit großer Skepsis. „Warum Geld für die Erhaltung dieser Stilnacbahmung aufwenden, wenn noch so viele bedeutende Barockbauten vor dem Verfall gerettet werden müssen?“ fragte ein überall eifrig für die Denkmalpflege weihender Schriftsteller. Die Kunsthistoriker denken anders. Schon durch den als Korrektiv wirkenden Zeitabstand wurde die Architektur des 19. Jahrhunderts, von unseren Vätern noch als Talmi verschrien, beträchtlich aufgewertet. „Das Fehlen eines Dorfes in unmittelbarer Nähe, der zum Schloß gestimmte Charakter der Wirtschaftsgebäude und Beamtenlhäuser tragen das ihrige dazu bei, der ganzen Anlage den Charakter eines seigneuralen Herrensitzes zu verleihen", schrieb Hans Tietze schon 1908 in der „österreichischen Kunsttopographie“, die Grafenegg ein eigenes Heft widmete.

In der Gestalt, wie der ländlich3 Palast von der heilen in die unheile Welt überwechselte, war er die Schöpfung eines prominenten Hoch aristokraten: August Graf Brenner, den Friedrich Amerling zweimal porträtierte. Zuerst vormärziich — intim im Familienkreis und später bärtig, repräsentativ im Harnisch, gleich einem Carolus Quiint. 1840 erteilte der Graf dem Architekten Leopold Ernst den Auftrag zum Umbau des einfachen, aus der Renaissance stammenden Schlosses. Ernst war ein tüchtiger bewährter Mann seines Metiers, er hatte einige Räume des Niederösterreichischen Land hauses neu gestaltet und brachte es zum Dombaumeister von St. Stephan. Allmählich wuchs in Grafenegg das Lineament der Neogotik über den vorhandenen Bestand, von dem allerdings manches erhalten blieb. Kernstück: das schöne Portal im Hof. Nach Emsts Entwürfen sollte eine monumentale Kuppel den Kontrapunkt zu dem hohen Turm bilden. Doch dann zerstörte der Schwarze Freitag des Jahres 1873 jährlings die Euphorie der Ringstraßenwelt. Auch

Graf Breuner war van dem großen Bankkrach betroffen und mußte es in seinen niederösterreichischen Re- tiro bei jenen Partien belassen, die bereits ausgetführt waren. Doch er richtete die Räume als bewohnbares Museum ein, sie nahmen seine bedeutende Sammlung an Gemälden, Möbeln und Kun9tgewerbe auf. Dunkle Vertäfelung, schwere geschnitzte Holzdecken, und kostbare gepreßte Ledertapeten verliehen diesen Interieurs einen pompösen Charakter. Im Rittersaal standen Renaissanceharnische, die den heutigen Ansprüchen der Waffenhistoriker freilich nur bedingt gerecht würden, weil fehlende Teile ergänzt wurden, was nun verpönt ist, ganz zu schweigen von nachträglicher Ätzung des Metalls.

Zehn Besatzungsjahre hatten von dieser großzügig inszenierten Raumkunst nur die architektonische Schale und weitgehende Verwüstung zurückgelassen. Teile des gotischen Hochaltars der Kapelle wurden gerettet und kamen ins Kremser Museum. Alles übrige an Einrichtung: bis auf geringe Reste verschwunden, verheizt, vermorscht.

Leere Zimmerfluchten ergeben das klinische Bild des Schlössersterbens. Da und dort springen krasse Schäden ins Auge: durchgefaulte, bloßliegende Deckenbalken, aufgerissene Fußböden.

Erste Restaurierungsansätze — bisher investierten Bund, Land und der Besitzer, Herzog Metternich-Sändor, gemeinsam 2 Millionen — boten den

Anlaß, das Schloß wenigstens zum Teil wieder „präsent“ zu machen und zwar durch eine Ausstellung „Grafenegg und der Schioßbau der Romantik“. Zwangsläufig mußte sich diese Schau auf eine sehr charakteristische Photodokumentation und einige erhalten gebliebene Möbelstücke beschränken.

Dr. Klaus Eggert, eine junge Kapazität auf dem Gebiet des Historismus, skizziert hier die Entwicklung mit ihren vielfältigen Verflechtungen. Um 1740 unternimmt der englische Exzentriker Horace Walpole einsame Ritte zu verfallenen Burgen und Klöstern und begeistert sich für die Wiederbelebung der Gotik. Er baut das Herrenhaus „Strawberry Hill“, das architektonische Inkunabel des Historismus. Einige Jahrzehnte später führt Ferdinand von Hohenberg, der Klassizist, die Regotisierung der Wiener Augustinerkirche durch und mit der Errichtung der Laxenbürger Franzensburg wird die romantische Baugesinnung in Österreich heimisch, um später mit den Schlössern Anif bei Salzburg und Hemstein bei Baden markante Wegzeichen zu setzen. Uber die räumliche Distanz hinweg gehören auch Miramar und Kaiserin Elisabeths Achilleian auf Korfu dieser Entfaltung an. Der „Milieubau“ in anverwandelten vergangenen Stilen wird zur Fluchtburg inmitten einer Welt des Fortschrittsglaubens, ist Ausdruck und monumentale Überhöhung der Einzelpersönlichkeit, von Ludweg II. bis zu den äußersten Möglichkeiten der Phanastik gesteigert. So wurden reale Stimmungskiulissen geschaffen, als Verdichtung und Impulsgeber von Empfindungen und Eindrücken, die immer aufs neue überraschen. Abseits oberflächlicher Sightseeing- Neugier, die billige Klischeevorstellungen von der „Ritterburg“ verwirklicht sehen will, sind solche Bauten nur als Denkmäler und seelische Projektionen ihrer Schöpfer ganz zu verstehen.

Dies wird in Grafenegg deutlich. Trotz der Krisen seines Bestandes ist dieses eigenartige Schloß vitaler als man glaubte. Bleibt nur zu hoffen, daß die Intensivtoehandlung durch die Restauratoren weitergeht.

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