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Reales, Symbolisches, Phantastisches

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Massierter Saisonanfang in Wiens Ausstellungsszene: Soziologisch orientierte Ausstellungen, zum Beispiel zum Thema „Straße — Form des Zusammenlebens“, sind da ebenso vertreten wie historische Retrospektiven, Entdeckungen junger Künstler oder Wiens arrivierte Avantgarde. Kaum eine Galerie wagt hingegen etwas für internationale Ausstellungen: Klevans hervorragende El-Lissitzky-Schau ist eine Rarität.

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Massierter Saisonanfang in Wiens Ausstellungsszene: Soziologisch orientierte Ausstellungen, zum Beispiel zum Thema „Straße — Form des Zusammenlebens“, sind da ebenso vertreten wie historische Retrospektiven, Entdeckungen junger Künstler oder Wiens arrivierte Avantgarde. Kaum eine Galerie wagt hingegen etwas für internationale Ausstellungen: Klevans hervorragende El-Lissitzky-Schau ist eine Rarität.

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Immerhin, das Museum des 20. Jahrhunderts hat diese wichtige Schau „Straße“, die bereits in Eindhoven, Düsseldorf und Nürnberg zu sehen war, nach Wien gebracht. Thema: Wie wandelte sich die Straße vom Pfad der primitiven Völker zur Superverkehrsader unserer Metropolen, zum Riesen-Highway und zur Autobahn? Also sieht man interessante Photos, Dias, Filme, die die Relation zwischen den Entwicklungsstufen der Straße und der Wirtschaft und Industrie in Relation setzen. Im Grunde ist die wirtschaftliche Lage natürlich überall der Pegel: auf den Prachtboulevards wie in den Slumgäßchen, in den schmalen, eleganten Luxusgeschäftsstraßen von Paris, Rom, Mailand, Brüssel wie in den armseligen Wegen durch „verlängerte Hinterhöfe“, wo sich die Straße zum „vergrößerten Wohnzimmer“ wandelt, so sich das tägliche Leben auf die Straße hinausverschiebt... Erschütternd die Dokumente der „unmenschlich gewordenen Straßen“, wie sie etwa manche Weltstädte bieten: Gerumpel, Abfälle, Autowracks verstellen die Seitengassen, das Leben ist zur Qual geworden.

Der „Bahn in der Kunst“ widmet die Wiener Secession eine Ausstellung, die Wettbewerbsarbeiten für die ÖBB vorstellen. Qualität: sehr gemischt; Bahndämme, Stationen, Verkehrssignale, Lokomotiven und Züge, Schienenbilder sind in alle erdenklichen Stile verpackt. Die Prominenten unter Österreichs Künstlern sind freilich kaum vertreten, sie lockten auch die 250.000 Schilling nicht, die als Preissumme ausgeschüttet worden waren. Und so ist das Ergebnis eher fragwürdig: Mäzenatentum, das viel Geld für eher bedeutungslose künstlerische Arbeiten auswarf und bestenfalls ein paar Bilder fürs Eisenbahnmuseum erntete.

Dem graphischen Schaffen des 24jährigen Gottfried Heinwein ist eine Schau in der Galerie Stubenbastei gewidmet: Mit der Feder penibel aufs Papier gestrichelte Figuren, die durch chirurgische Eingriffe entstellt, deformiert, korrigiert sind. Eine bösartig-abgründige Welt voll von sarkastischem Witz und tödlich-schwarzem Humor tut sich bei Heinwein auf, der als Hausner-Sohüler überall technische Perfektion vorexerziert.

Doch seine Blätter erschöpfen sich nicht in vordergründiger Schocktherapie für den Beschauer. Dahinter steht die Meinung, daß unsere Gesellschaft, das Individuum heute durch Druckmittel aller Art nur zu leicht „korrigiert“ werden kann: Metallspangen im Gesicht, künstliche Nasen, Stahlkorsetts sind da nur vordergründige Symbole für diesen Prozeß mit Tiefenwirkung. +

In Strukturen aufgelöste gotische Turmspitzen und Bergsilhouetten sind Drago J. Prelogs Themen, mit denen er seine großformatigen Leinwände großzügig bemalt. Für ihn, den nun Dreiunddreißigjährigen, in Jugoslawien Geborenen, im Ennstal Aufgewachsenen, ist das eine konsequente Entwicklung. Der ursprünglich informell orientierte Maler, der seine Tafeln mit rhythmisierten Schriftbildern bedeckte, hat seit 1969 immer wieder Wege gesucht, seine „dialektische Wirklichkeitsflndung und ihre individuell bestimmte künstlerische Definition“ (Peter Baum) voranzutreiben. Charakteristisch für seine Arbeiten war nach Aufgabe der Rhythmisierungen ein Ausschnittverfahren, wobei der jeweils dargestellte Landschaftssektor Modellcharakter annahm. Diese neuen, in der Galerie Schottenring, Ecke Neutorgasse, gezeigten Landschaften „fungieren stellvertretend für Vergleichbares und ziehen die synthetische Summe möglicher Ansätze. Die dadurch provozierte Vielschichtigkeit bleibt jedoch immer exemplarisch, was ebenso für die bildnerische Umsetzung wie für die Verkettung und Verschmelzung der symbolhaft und mit einem Anflug von .sachlicher' Romantik ausgewählten Motive gilt.“

Typisch für Prelogs Arbeiten ist übrigens auch der „graphische Effekt“ aller Bilder, die Architektur und Landschaft eins werden lassen und im Grunde — wie seine früheren „Schriftbilder“ — erneut das expressive handschriftliche Element hervorkehren.

★

Hans Staudacher, 50, einer der wichtigsten Vertreter der österreichischen Aktionsmalerei, stellt in der Galerie Contact, Mahlerstraße, aus. Spontane Aktionen, das Ausschöpfen des plötzlichen Impulses für die Bildgestaltung, ja sogar die Einbeziehung der Aktion, also der schöpferische Akt als Kunst sind seine Mittel zur Gestaltung. Nun entdeckt man bei Staudacher neuerdings Ansätze zur Figuration: Weibliche Figuren werden ins zerstörte Schriftbild einkomponiert, Ansätze zur Figur, etwa von Pferden usw., lassen sich hinter dem dichten Gestrüpp aktionistisch rinnender und quellender Farben erkennen.

Nicht daß Staudacher seine „Handschrift“ aufgegeben hätte. Die Arbeiten sind nach wie vor unverkennbar seine Leistung. Aber er ist drauf und dran, eine neue Facette zu entdecken, seine „historisch“ gewordenen Arbeitsverfahren durch neue Denkanstöße, durch neue Erregungsmomente in Vibaration zu versetzen. Man kann gespannt sein, wie er diese neue Methode weiterzuentwickeln versuchen wird.

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