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REALITATSSINN ERWÜNSCHT

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Nach den üblichen Höflichkeitsformeln kam neulich Regierungschef Jözsef Antall bei seinem Gast aus Wien schnell zur Sache: Die Handelsbilanz weise nach wie vor eine äußerst negative Tendenz auf, Ungarns Einfuhr liege bereits bei 80 Prozent im Vergleich zur Ausfuhr. Dies sei vor allem Maßnahmen zu verdanken, die Österreich zum Schutze seines Marktes getroffen habe.

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Nach den üblichen Höflichkeitsformeln kam neulich Regierungschef Jözsef Antall bei seinem Gast aus Wien schnell zur Sache: Die Handelsbilanz weise nach wie vor eine äußerst negative Tendenz auf, Ungarns Einfuhr liege bereits bei 80 Prozent im Vergleich zur Ausfuhr. Dies sei vor allem Maßnahmen zu verdanken, die Österreich zum Schutze seines Marktes getroffen habe.

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Ungarn könne sich damit nicht einverstanden erklären, daß der Nachbar seine infolge der Verschlechterung der konjunkturellen Lage entstandenen Schwierigkeiten mit der Einschränkung des „Ostexports" beheben wolle. Handelskammerpräsident Leopold Maderthaner blieb nach all dem nichts anderes übrig, als seine Verständnisbereitschaft zu versichern und gegenseitige, vorherige Konsultationen über die Probleme in Aussicht zu stellen.

Die Ungarn argumentieren allerdings damit, daß Österreichs Wirtschaft eigentlich in der Lage wäre, aus dem Nachbarland jährlich Waren im Wert von zwölf Milliarden Schilling aufzunehmen. Sie geben aber auch zu, daß das Interesse auf dem österreichischen Markt für ihre Rohstoffe beziehungsweise für Produkte der chemischen Industrie immer geringer wird; wichtiger sind jedenfalls Maschinen, deren Export sich im vergangenen Jahr tatsächlich um 26 Prozent erhöht hat. Über den österreichischen Umsatz in der Höhe von 6,2 Milliarden Schilling im Bereich der nach Ungarn exportierten Maschinen und Verkehrsmittel wird allerdings etwas beiläufiger gesprochen. Ebenso zurückhaltend erwähnt man auch die Fleischeinfuhr, die 1992 ein Wachstum von nicht weniger als 582 Prozent erreicht hat.

Nun war Ungarn selbst unter den Kommunisten ein Land, das erhebliche Schwierigkeiten hatte, seinen Überfluß an Fleisch loszuwerden. Das waren allerdings noch die „seligen Comecon-Zeiten", denen die Geschichte den Garaus gemacht hat. Was sie übrig ließ, vermasselte der sagenhafte Dilettantismus. Trotz ernsthafter Warnungen aus dem Westen, der Systemwechsel werde mit keinen institutionellen Wirtschafts- und Handelsprivilegien belohnt, ließ sich die Antall-Regierung im Agrarbereich zu einer abenteuerlichen Preispolitik verleiten, die ihre über gute Parteibücher verfügenden Koryphäen erfunden hatten.

Sie führte in den vergangenen Jahren zu endlosen Notschlachtungen -mit dem Ergebnis, daß das Land bereits auf Fleischimport angewiesen ist. Die Landwirte züchten freilich wieder - für sich. Das Notwendige. Stadt und Staat sollen ihre Klugheit essen. Wann dieser lahmgelegte Zweig wieder zu neuem Leben erweckt wird, steht wohl in den Sternen; vorläufig tröstet man sich mit dem Fortbestand der Absatzschwierigkeiten. Sie dürften aber sogar für die Zeit nach 1994 gelten, wenn Ungarn im Sinne eines mit der EFTA unterzeichneten Abkommens schrittweise mit dem Abbau der Zollbeschränkungen anfangen kann. Als „neuralgischer" Punkt der Vereinbarung gilt aber weiterhin der Handel mit Landwirtschaftsgütern und Produkten der Lebensmittelindustrie.

Nun sehen aber immer mehr österreichische Unternehmer nicht nur in der Phantasie, sondern auch emsthaft Vorteile darin, in Ungarn zu investieren. Die Zahl der gemischten Unternehmen liegt bereits bei 4.000. Der Anteil des in Ungarn angelegten österreichischen Kapitals beträgt etwa 800 Millionen Dollar. Das ist zweifelsohne nicht gering, wenn man bedenkt, daß das Gesamtvolumen des im Lande tätigen ausländischen Kapitals mit etwa 5,1 Milliarden Dollar angegeben wird. Etwa 70 Prozent davon gehen in die Produktion zurück. Nur böse Zungen können behaupten, daß ein Kollaps der ungarischen Wirtschaft allein dank dieser Zirkulation noch nicht erfolgt ist.

Für die österreichischen Investoren geht es dabei - und das wird auch offen zugegeben - vor allem um die Sicherung der Märkte. Sie sind freilich auch an der Nutzung der niedrigen Produktionskosten interessiert. Man will auch nicht verheimlichen, daß dabei die durch Ungarns assoziierte EG-Mitgliedschaft entstandenen Zollerleichterungen bei der Stärkung der Verbindungen zum westeuropäischen Warenverkehr optimal genutzt werden sollen.

Die Tatsache, daß Österreich gegenwärtig der zweitwichtigste Handelspartner Ungarns ist, verleitet manche hierzulande von Zeit zu Zeit zu einer eigenartigen Selbstüberschätzung. Es handelt sich dabei aber nicht um jene „Macher", die ihre Erfahrungen - samt Dea-ling, wie die Korruption heutzutage hierzulande so vornehm bezeichnet wird - bereits in der kommunistischen Zeit im Auftrage des allmächtigen Staates gesammelt haben.

Sind sie noch in der alten Branche tätig - und zum größten Teil sind sie es, denn auf Fachkräfte kann man in keinem Bereich verzichten -, so haben sie sich schon längst einen abgebrühten Realitätssinn angeeignet, der sogar auch noch von ihren ausländischen Partnern anerkannt wird.

Etwas unbeholfen stehen dafür jene da, die außer dem Besitz eines Parteibuches noch recht wenig vorweisen können.

Sie sind es, die sich auch darüber wundern, daß der österreichische Partner gern auf seine Rechnung kommen will, anstatt sich in Wohltätigkeit zu üben.

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