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Recht des „Guten ?

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Terror auf der „Achille Lauro“. Mord. Dann ein Ende mit Schrecken. Blamierte Ägypter. Die Entführung der Entführer. Gerecht. Auch vor dem Recht? Rechtfertigt der Zweck die Mittel?

Um die völkerrechtliche Problematik dieses Falles besser zu verstehen, muß man sich zwei Argumentationsebenen vor Augen halten: einmal jene des allgemeinen Völkerrechtes, sodann jene der UNO-Satzung, die das allgemeine Völkerrecht in ähnlicher Weise überlagert wie die Verfassung eines Staates dessen übrige Rechtsordnung.

Nach allgemeinem Völkerrecht ist ein Staat zur Vornahme bestimmter Akte auf fremdem Staatsgebiet (dem fremde Schiffe oder Flugzeuge gleichzuhalten sind) ohne Zustimmung des betreffenden Staates dann berechtigt, wenn von diesem Staatsgebiet eine Gefahr für ihn selbst oder seine Staatsangehörigen ausgeht und der andere Staat nicht fähig oder willens ist, diese Gefahr selbst zu beseitigen.

Während die Rechtmäßigkeit eines Eingreifens auf fremdem Staatsgebiet im Falle einer aktuellen Bedrohung der Staatsangehörigen des eingreifenden Staates allgemein anerkannt war, war die Rechtmäßigkeit präventiver Maßnahmen gegen potentielle Gefahren auf Fälle beschränkt, wo die zukünftige Aktualisierung als sicher angenommen werden mußte und zur Abwendung kein anderes Mittel verfügbar war.

Hingegen berechtigt schon das allgemeine Völkerrecht keinen Staat, Hoheitsakte auf dem Territorium eines anderen vorzunehmen, nur weil dieser ein sonstiges völkerrechtlich gebotenes — oder gar nur politisch wünschenswertes — Verhalten nicht selbst setzt.

Da die US-Kommandoaktion nicht der Befreiung der Geiseln diente — diese waren ja bereits wieder frei -, kommt der Schutz amerikanischer Staatsangehöriger in unmittelbarer Gefahr als Rechtfertigungsgrund nicht in Frage. Nicht in Frage kommt auch ein etwaiges Versäumnis seitens der Ägypter, die Geiselnehmer abzuurteilen oder auszuliefern; ob sie dazu völkerrechtlich überhaupt verpflichtet waren, ist umstritten.

Daß Ägypten nach Bekanntwerden des Geiselmordes das den Terroristen gewährte freie Geleit zwar bedauert, gleichzeitig aber geleugnet hat, daß sie sich noch in seinem Gewahrsam befänden, und schließlich versuchte, sie heimlich außer Landes zu schaffen, bringt zwar Ägypten politisch in ein schiefes Licht, rechtfertigt aber die Aufbringung des ägyptischen Flugzeuges an sich auch noch nicht.

Demgegenüber berufen sich die USA darauf, daß der internationale Terrorismus eine konstante, alle Staaten bedrohende Gefahr sei, die nur dadurch eingedämmt werden könne, daß man die Terroristen, wo immer man ihrer habhaft werden kann, ergreift und vor Gericht stellt. Jeder Staat wird für sich beurteilen müssen, ob der von den USA unter Verletzung ägyptischen Hoheitsrechts geführte Schlag gegen die Geiselnehmer notwendig war, um von weiteren Terrorakten abzuschrecken.

Die zweite Ebene: Das in der UNO-Satzung verankerte Gewaltverbot schließt eine Berufung auf Selbsthilfe zur Rechtfertigung militärischer Maßnahmen gegen das Hoheitsgebiet eines anderen Staates (Schiffe und Flugzeuge eingeschlossen) aus. Diese Auffassung wird durch die Prinzipiendeklaration (1970) sowie durch die Deklaration über ein Interventionsverbot (1965) bekräftigt. Einzige Ausnahme dabei ist die individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff auf einen Staat.

Nichtverhinderung und Nicht-bestrafung terroristischer Akte gegen Staatsangehörige dritter Staaten durch den Territorialstaat fällt aber nicht darunter. Die US-Kommandoaktion stellt daher eine Verletzung dieses Gewaltverbotes dar und war insoweit völkerrechtswidrig.

Demgegenüber wird hier allerdings argumentiert werden, die UNO-Satzung könne, weil die in ihr konzipierte kollektive Sicherheit nicht funktioniere, nicht in allen ihren Teilen als effektiv und damit als geltendes Völkerrecht angesehen werden. Die Staaten weiter als zur Einhaltung des Gewaltverbotes verpflichtet anzusehen und dadurch Terroristen und ihren Hintermännern ihr Handwerk zu erleichtern, hieße, die Zweck-Mittel-Hierarchie, die auch im Völkerrecht besteht, zu verkennen. Das Gewaltverbot sei nämlich kein Selbstzweck, sondern diene dem eigentlichen Zweck des Völkerrechtes: der Herstellung einer gerechten Friedensordnung. Soweit es diese Funktion nicht erfüllen könne, sei es auch nicht verpflichtend.

Eine solche Argumentation birgt freilich die Gefahr in sich, daß sich jeder unter Berufung auf einen höheren Wert über die UNO-Satzung hinwegsetzt. Dieser Gefahr werden sich alle verantwortungsvollen Staaten auch in Zukunft bewußt sein müssen.

Der Autor ist Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Linz.

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