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Recht vor Macht

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Die Berufung ins Richteramt durch die politische Verwaltung öffnet Mißbräuchen Tür und Tor. Die Standesvertreter fordern deshalb mehr Mitsprache in der Auswahl.

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Die Berufung ins Richteramt durch die politische Verwaltung öffnet Mißbräuchen Tür und Tor. Die Standesvertreter fordern deshalb mehr Mitsprache in der Auswahl.

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Jede Macht, auch die des Staates, neigt zu Mißbrauch und Machtvergrößerung. Die Freiheit des einzelnen ist nur dort garantiert, wo der Staat seine Macht auf verschiedene gesellschaftliche Kräfte aufteilt, die einander hemmen und kontrollieren. Das gilt gerade im modernen Staat der Verbände, Apparate und Kollektive.

Die Staatsmacht darf keinen Einfluß auf gerichtliche Verfahren haben, auch wenn es um politisch und wirtschaftlich Mächtige

geht. Der Bürger hat gerade in Verfahren gegen die Staatsmacht oder ihre Träger Anspruch auf Objektivität und Neutralität der Gerichte.

Die Verfassung schützt den Richter nur vor Amtsenthebung durch Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit. Unabhängig ist er jedoch nur, wenn er keine Nachteile wegen seiner richterlichen Tätigkeit befürchten muß.

Uber jede, vor allem befördernde Ernennung des Richters entscheidet die politische Verwaltung (Justizminister, Bundeskanzler). Sie holt nur unverbindliche Vorschläge gerichtlicher Personalsenate ein.

Zur Verhinderung von negativen Einflüssen durch Behinderung der Aufstiegsmöglichkeit von Richtern wegen ihrer entsprechenden Tätigkeit ist die Gerichtsbarkeit als dritte Staatsgewalt an der Richterernennung zu beteiligen.

Eine Bindung der Verwaltung an die von den Personalsenaten, die als Gerichte objektiv und ohne Ansehen der Person entscheiden, vorgeschlagenen Bewerber führt weder zu einer Berufskastenbildung noch zu einem Staat im Staat.

Richter kommen aus allen Bevölkerungskreisen. Die großen Rechtsreformen, an denen sich auch die Richter engagiert beteiligt haben, wurden vorbildlich bewältigt und nicht von der Rechtsprechung unterlaufen.

Die Gefahr einer mächtigen Richterschaft ist bloß ein politisches Schlagwort. Macht hat nur, wer seinen Willen durchsetzen kann. Die Richter vollziehen aber nur den Gesetzesauftrag der Gesellschaft, sie sind machtlos, schützen aber den einzelnen vor Ubergriffen des Staates, wenn dieser seine eigenen Gesetze nicht einhält.

Bei der Bestimmung, wer Richter wird, ist der Justizminister derzeit völlig frei. Es ist nicht ohne Gefahr, wenn nur der Justizverwaltung genehme Kandidaten aufgenommen werden.

Welche Eigenschaften ein guter Richter haben muß, kann nur aus einschlägiger Erfahrung beurteilt werden. Diese Erfahrung ist bei den Personalsenaten konzentriert.

Die vom Justizminister diesbezüglich vorgeschlagene Reform ist kein Fortschritt, sie ändert nichts an seiner alleinigen Entscheidung.

Ein gangbarer Weg wäre die Erstellung von Vorschlagslisten durch die Personalsenate der Oberlandesgerichte nach Anhören der richterlichen Berufsvertreter. Aus diesen Listen geeigneter Aufnahmewerber könnte der Justizminister dann seine Wahl treffen.

Die bisherige Vorgangsweise hat in der Vergangenheit, wenn auch vereinzelt, schon zur Aufnahme ungeeigneter Kandidaten geführt, ohne daß daraus Konsequenzen gezogen worden wären.

Das Anhören der frei gewählten Vertreter der Richterschaft bei Aufnahme in das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis ist ein Recht, das nur der Richterschaft verweigert wird. Die anderen Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes haben es längst.

Im modernen Parteienstaat verschwimmen die Grenzen zwischen Gesetzgebung und Verwaltung immer mehr. Hinter dem Parlament als Gesetzgeber und der Regierung als oberstem Verwaltungsorgan stehen dieselben Mehrheitsparteien.

Gegenseitige Machtbegrenzung und Kontrollmöglichkeit hat im Verhältnis dieser beiden Staatsgewalten zueinander einen großen Teil ihrer Wirkung verloren. Die unabhängige Gerichtsbarkeit, deren Autorität allein auf dem Glauben an ihre Neutralität beruht, der darauf fußt, daß sie eine politikferne Staatsgewalt im besten Sinne ist, gewinnt deswegen immer mehr an Bedeutung.

Die Sicherung und Wahrung der Unabhängigkeit der Richter auf allen Gebieten muß deswegen ein Anliegen aller gesellschaftlichen Kräfte sein.

Der Autor ist Präsident der Vereinigung der Osterreichischen Richter; der Beitrag wurde im Rahmen der Enquete „Lebendiger Rechtsstaat: Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit — Stärkung der Staatsanwaltschaft im Juni in Wien vorgetragen.

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