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Recht zum Gnadenakt

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Gott hat — so glauben wir Christen — in Jesus von Na-zaret, den Christus, die Gnade Gottes leibhaftig in dieser Welt erscheinen lassen. Deshalb konnte und kann Jesus auch Gnade über Gnade verströmen.

Wie kleinherzig erscheinen dagegen jene Mitmenschen, denen nach staatlichem Recht die Gnadengewährung zusteht und die ihre Gnade nur zögernd und eingebettet in strenge Richtlinien gewähren oder überhaupt versagen. Diese Meinung wird gar nicht so selten von Menschen geteilt, die für sich oder für Mitmenschen Gnade erbitten. Und in einem mögen sie auch recht haben: gar manchmal mag Gott in dem nur glaubensmäßig faßbaren Geheimnis seiner Liebe eine Schuld schon vergeben haben, selbst bevor noch staatliche Gerichte eine Strafe verhängen und lange bevor diese Strafe vollstreckt ist.

Dennoch aber unterliegen die, welche sich auf Gottes Gnade als Beispiel für die von Staatsorganen zu gewährenden Gnadenakte berufen, einem Irrtum. Sie vergleichen Unvergleichbares. Gottes Gnade ist nicht nur Barmherzigkeit gegenüber dem Sünder, sie ist umfassende Huld Gottes, ist Erlösung der Menschheit.

Menschliche Gnade dagegen — das Wort allein schon ist irreführend, vielleicht sollte auch nur von Begnadigung gesprochen werden—bedarf als erste Voraussetzung einer gesetzlichen Ermächtigung zur Gnadengewährung. Sie ist ihrem Wesen nach begrenzt und muß es wohl auch sein, da der Begnadigende weder allwissend, noch allmächtig und auch nicht der absolut Gerechte ist.

Immer wieder sind Stimmen vernehmbar, die meinen, menschliche Begnadigungen seien überhaupt abzulehnen. Die menschliche Gesellschaft, also der Staat, mögen eindeutige Voraussetzungen für ein Ubereinstimmen von Recht und Gerechtigkeit schaffen. Dort, wo Gerechtigkeit herrsche, sei Gnade überflüssig, ja verzerre sogar die Gerechtigkeit. Sicher darf die menschliche Gesellschaft und dürfen die staatlichen Verantwortungsträger nie aufhören, nach einem zusätzlichen Maß an Gerechtigkeit in der Rechtsordnung und deren Anwendung zu streben.

Aber selbst dort, wo Recht und Gerechtigkeit verwirklicht wurden, können sich nach dem Richterspruch Umstände ergeben, durch die Recht zur kaum erträglichen Härte wird. Eine Gesellschaft, welche in der staatlichen Vollziehung die Güte und Barmherzigkeit völlig ausschließt, läuft Gefahr, diese menschlichen Werte auch aus dem zwischenmenschlichen Leben zu vertreiben.

Die österreichische Bundesverfassung räumt dem Bundespräsidenten das Recht—und manchmal darf wohl auch gesagt werden, die Last — der Begnadigung ein. Die Verfassung enthält keine Aussage darüber, welche persönlichen oder sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit eine Begnadigung erfolgen darf. Sie bindet aber verfahrensmäßig die Ausübung des Gnadenrechtes des Bundespräsidenten an einen Gnadenantrag des Bundesministers für Justiz. Der Bundespräsident kann daher für sich allein nicht über eine

Gnadenbitte eines Verurteilten oder dessen Angehörigen entscheiden.

Hält er eine an ihn gerichtete Gnadenbitte für überlegenswert, muß er diese Bitte an den Justizminister weiterleiten. Dieser entscheidet - in der Regel nach Anhörung der Gerichte und staatsanwaltschaftlichen Behörden - in seiner eigenen Ministerverantwortung, ob er einen Antrag auf Begnadigung an den Bundespräsidenten stellt. Stellt er einen solchen Gnadenantrag nicht, kann auch der Bundespräsident nicht begnadigen. Stellt er einen Gnadenantrag, kann der Bundespräsident dem Antrag entsprechen und in dem konkreten Fall begnadigen oder er kann den Gnadenantrag ablehnen. Der Bundespräsident muß dabei weder eine Begnadigung noch deren Ablehnung begründen. Sie liegt in seinem freien Ermessen.

Da die Voraussetzung des verfassungsmäßigen Zusammenwirkens des Bundespräsidenten und des Justizministers bei einer Begnadigung für sich allein doch noch zu wenig Sicherheit gegen eine ungewollte Ungleichbehandlung von Gnadenwerbern gibt, hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine Gnadenpraxis gebildet, an die sich die jeweiligen Amtsträger zu halten pflegen. Die Praxis sieht vor, daß eine Begnadigung nur dann gewährt wird, wenn

1. die Gnadenwürdigkeit des zu Begnadigenden und

2. ein Gnadengrund gegeben ist, der es rechtfertigt, den zu Begnadigenden gegenüber anderen gleichartig Verurteilten besser zu stellen.

Diese beiden Voraussetzungen werden von beiden staatlichen Organen, also vom Justizminister und vom Bundespräsidenten, voneinander unabhängig geprüft. Daß sich dabei verschiedene Auffassungen ergeben können, ist eine natürliche Konsequenz der jeweils verschiedenen Lebenskonzeptionen der einzelnen Amtsträger. Kann auch im Gespräch eine übereinstimmende Auffassung nicht erzielt werden, kann eine Begnadigung nicht erfolgen.

Als Geste der Güte

Dieses für den Gnadenwerber recht umständlich erscheinende Verfahren hat seinen Grund in der Tatsache, daß durch jeden Gnadenakt der Spruch eines unabhängigen Gerichtes von einem politischen Staatsorgan abgeändert wird.

Einmal im Jahr - und hier ist ein ganz leiser Anklang an die göttliche Gnadenfülle und Barmherzigkeit - findet in Österreich eine große Gnadenaktion statt. In den Tagen vor Weihnachten werden zwischen etwa 500 bis 1000 Häftlinge in österreichischen Strafanstalten auf Antrag des Justizministers durch einen Gnadenakt des Bundespräsidenten aus der Haft entlassen.

Entgegen der sonstigen Gnadenpraxis wird die Gnadenwürdigkeit in diesen Fällen nicht individuell, sondern durch zwischen dem Bundespräsidenten und dem Justizminister abgestimmte Leitlinien festgestellt. So werden unter anderem generell Verurteilte ausgeschlossen, deren Strafe ein bestimmtes Höchstmaß übersteigt, oder die nicht einen angemessenen Teil der Strafe verbüßt haben oder die wegen eines Sittlichkeitsdeliktes an Jugendlichen oder wegen Drogenhandels verurteilt worden sind.

Der Gnadengrund aber, der im Einzelfall sonst sehr schwer glaubhaft zu machen ist, wird durch das Weihnachtsfest ersetzt. Aus der göttlichen Liebe soll sich auch ein Schimmer menschlicher Liebe ableiten. Der Weg in eine irdische Familie, den Jesus durch seine Menschwerdung gegangen ist, soll als Geste der Güte des Staates Menschen freigemacht werden, welche die Gesetze des Staates mißachtet haben.

Nicht jeder Amtsträger unserer Republik, der kraft seines Amtes die weihnachtliche Begnadigungsaktion mitträgt, kann und wird sie in diesem Sinn interpretieren. Aber als ein Akt einer von der Gesellschaft erwiesenen Güte zu einem Fest, das unabhängig vom Glaubensbekenntnis ein Fest der Liebe und ein Fest der Familie ist, wurde diese weihnachtliche Gnadenaktion immer hochgehalten und praktiziert.

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