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Wie „Anatevka", beruht auch das Stück „Kaddisch" von Grigorij Gorin auf der Erzählung „Tewje der Milchmann" von Scholem Alejchem: Ein Kaddisch, ein Totengebet, auf die Welt des „Schtetl" und der Dörfer, wie Anatowka eines war, wo Juden, Russen und Ukrainer bis zum Erstarken des Antisemitismus miteinander auskamen. Rudolf Jusits (Regie) gelang im Wiener Volkstheater etwas Schönes: Ein Kaddisch auf Scholem Alejchem, wie es dieser sich wünschte. Seine Kinder, schrieb er ein Jahr vor seinem Tod, müßten nicht jedes Jahr an seinem Grab beten, sie könnten auch gemeinsam eine seiner lustigen Geschichten lesen, „denn mein Name soll lieber mit Gelächter erinnert werden als gar nicht".

Heinz Petters ist ein rührender Tewje, Brigitte Swoboda eine liebenswerte Golda, die selbst die tränendrüsige Sterbeszene rettet, Robert Hauer-Riedl als Wachtmeister, der ein Mensch ist, ein wichtiger Angelpunkt der Aufführung (die durch die Musi-kerder Gruppe „Gojim" sehr gewinnt), Rudolf Strobl ein herrlicher Schlachter, das Ganze eine geglückte Ensembleleistung und hoffentlich für manchen ein Denkanstoß.

Das lustige und traurige Stück, witzig, voll Pointen, Menschenkenntnis und Ironie, endet damit, daß Tewje Anatowka mit dem Rest seiner Familie verläßt. Die Pogromszene gelang Jusits geradezu unheimlich genau: Sie läuft so „spontan" ab wie bei uns das Niederbrennen der Synagogen und Ausrauben der jüdischen Geschäfte im November 1938. Es ist der erste Pogrom in der Gegend. Die Bauern sind verlegen, wissen noch nicht, wie man so etwas macht., Ja", sagt einer, „das ist nämlich so... es ist gottgefällig, euch zu schlagen." Aber dann tritt ,der Agitator vor. Ein Typ von 1938. i Damit trifft Rudolf Jusits jetzt und j hier genau den richtigen Nerv.

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