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Rechtlich ohne Basis

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Der amerikanische Justizminister hat sich bei Österreich zwar für den „Fall Bartesch“ entschuldigt. Erledigt ist damit die Affäre aber noch keineswegs.

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Der amerikanische Justizminister hat sich bei Österreich zwar für den „Fall Bartesch“ entschuldigt. Erledigt ist damit die Affäre aber noch keineswegs.

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Während die Historikerkommission in die Hintergründe der militärischen Vergangenheit von Bundespräsident Kurt Waldheim leuchten soll, während sogenannte Sonderbotschafter für die Schuldfreiheit des Bundespräsidenten in der Welt werben sollen, hat die amerikanische Justiz ohne Rücksicht auf Österreichs Ansehen unser Land brüskiert. Ohne viel Federlesens haben die USA einen Mann nach Österreich „geschickt“ — das ist das einzige Wort, das den Vorgang kennzeichnet, da der Mann nicht ausgeliefert oder abgeschoben wurde -, der im Jahre 1943 ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat und den die amerikanische Justiz so wie Waldheim auf die „watch list“ setzte.

Österreich soll sich um den Menschen kümmern. Er hat im Konzentrationslager der Nazis Mauthausen Wachdienst geleistet, hat einen Menschen erschossen und nach 1945 Aufnahme in den USA gefunden, dort sogar die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben.

Nun aber will man ihn loshaben. Die amerikanische Justiz hat sich dabei auf ein sogenanntes Abkommen berufen, das aus ganz wenigen Zeilen besteht und übersetzt lautet: „… das Bundesministerium für Inneres erklärt namens der österreichischen Bundesregierung, daß allen Personen, die auf Grund des amerikanischen Flüchtlingshilfegesetzes 1953 (Public Law 203, August 7, 1953) von Österreich nach den Vereinigten Staaten auswandern, auf Verlangen der amerikanischen Behörden jederzeit die Rückeinreise nach Österreich gestattet wird, falls der Nachweis erbracht werden sollte, daß diese Personen das amerikanische Einwanderungsvisum auf betrügerische Weise oder auf Grund unrichtiger Angaben erschlichen haben.“

Die österreichische Öffentlichkeit war überrascht, die österreichischen Behörden erstaunt, daß es ein solches Dokument gebe, und — wie man hört — auch überrascht, daß man dieses Dokument nicht finde und auch keinen Be schluß der Bundesregierung ausfindig machen könne, auf den sich das damalige Innenministerium berufen hatte.

Noch überraschender war, daß der verschickte Mann nun in Österreich bleiben muß, weil die USA sich weigern, ihn zurückzunehmen.

Unter dem Eindruck der Anwendung des „Holtzmann-Amendment“, das, aus dem Jahre 1978 stammend, die Möglichkeit vorsieht, mutmaßliche Kriegsverbrecher oder Verbrecher gegen die Menschlichkeit auszubür- gem, ihnen ein Einreisevisum zu versagen, hat man offenbar in den Staaten ein „Großreinemachen“ vorgenommen. Dabei hat man auch eine Liste von ehemaligen SS-Angehörigen entdeckt, die zum Wachpersonal von Mauthausen gehörten.

Wenn man die Dokumentation beachtet, so zeigt sich, daß die amerikanischen Fremdenpolizei- und Justizbehörden diese Dokumente schon seit 1947 in Besitz haben und — bei gehöriger Prüfung ihrer Staatsangehörigkeits-Werber — wissen mußten, daß Martin Bartesch Mitglied der SS sowie einer KZ-Wachmannschaft gewesen war und einen unschuldigen Menschen im Dienste der SS erschossen hatte.

Nun erst, nach der Aufnahme Waldheims auf die berüchtigte „watch list“, wird man sich der Existenz des „Falles Bartesch“ und anderer bewußt.

Die Ratlosigkeit der österreichischen Behörden war bestürzend. Der erste Blick auf den oben zitierten Text muß zeigen, daß man sich mit diesem Dokument in die Hände eines dritten Staates begeben hatte. Und das im Jahre 1953, als Österreich so sehr auf amerikanische Hilfe angewiesen war und auch interessiert sein mußte, Fremde, die sich in Österreich niederließen, nicht „durchzufüttern“.

1953 war nach wie vor kein rosiges Jahr für die österreichische Unabhängigkeit und den österreichischen Wohlstand. Der Text kann nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben interpretiert werden. Er begrenzt die österreichische Souveränität, ist also politisch und hätte nach den Grundsätzen politischer Staatsverträge behandelt werden müssen - das ist aber nicht geschehen.

Er müßte schon um der Rechtssicherheit willen im Bundesgesetzblatt verlautbart worden sein — das wurde er nicht; es müßte eine Ermächtigung der Bundesre gierung zu finden sein — diese ist unauffindbar.

Wenn an österreichischer Rechtstheorie Geschulte meinen, daß der Text als ein einseitiges völkerrechtliches Rechtsgeschäft zu werten ist, dann müßten sie aber auch erkennen, daß das genannte amerikanische Flüchtlingsgesetz aus 1953 spätestens im Jahre 1957 aufgehoben wurde, der Mann keinen Flüchtlingsstatus mehr haben kann und damit die Bezugnahme der Erklärung hinfällig geworden ist.

Es gibt unter der Annahme, daß diese „Rücknahmeerklärung“ je einmal ordnungsgemäß gültig geworden sei, nur eine Schlußfolgerung: Man muß sie einseitigbeseitigen. Und das ist ganz einfach:

Es bedarf keines Parlamentes dazu, keiner Erklärung des Bundespräsidenten und auch keiner Erklärung der Bundesregierung, sondern nur einer Feststellung des Innenministers, daß unter Be- dachtnahme auf die „clausula rebus sic stantius“ diese Erklärung einseitig gekündigt werde. Sie ist unter Umständen abgegeben worden, die nicht mehr fortbestehen.

Die amerikanischen Justizbehörden haben Österreich wie eine Art Protektorat und nicht wie ei nen souveränen Staat behandelt. Österreich kann sich an diesen Text nicht mehr gebunden fühlen. So eine Erklärung, die dann im Wege des Außenministeriums den Repräsentanten der USA bekannt zu geben wäre, erwartet sich der Österreicher! Und eine derartige Erklärung würde gewiß die Zustimmung der Juristen finden, denen die Achtung Österreichs am Herzen liegt!

Der Autor ist Abgeordneter zum Nationalrat und Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien.

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