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Rechts stehen und links denken

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Vor einem Vierteljahrhundert starb August Maria Knoll. Der Wegbereiter der Soziologie in Österreich kämpfte für eine christliche Soziallehre im Dienste der Freiheit.

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Vor einem Vierteljahrhundert starb August Maria Knoll. Der Wegbereiter der Soziologie in Österreich kämpfte für eine christliche Soziallehre im Dienste der Freiheit.

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Knoll, am 24. Dezember 1963 verstorben, war eine Persönlichkeit, die mit ihrem Engagement, ihrer Leidensfähigkeit und Leidenschaftlichkeit in den fünfziger Jahren die Studenten der rechts-und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien beeindruckte und vielfach auch prägte. Der am 5. September 1900 in Wien geborene August Maria Knoll entstammte einer Lehrerfamilie mit dreihundertjähriger Tradition in diesem Beruf.

Volksschule und Gymnasium besuchte er in seiner Heimatstadt, dann wandte er sich dem Studium der Staatswissenschaften zu — bei berühmten Professoren wie Hans Kelsen, Othmar Spann und Al-phons Dopsch. 1923 wurde er zum Doktor rer. pol. mit der Dissertation „Karl Freiherr von Vogelsang als Nachfahre der Romantik“ promoviert, wobei Knoll selbst eine geistige Affinität zur Romantik nachgesagt werden kann.

Schon am Gymnasium war ahm die soziale Frage „ein Begriff und Erlebnis“. Und so stieß er auf Marx und Bebel, deren antireligiöser Affekt ihn verdroß, „wie der antirevolutionäre in den christlich-sozialen und kirchlichen Kreisen. Die .bürgerlichen' Programme dieser, die Rundschreiben jener, vielfach ein ,si, no, ma*. ein Bild ohne Tun, hätten mich niemals packen und erschüttern können“.

Richtungweisend wurde für Knoll die Begegnung mit Anton Orel, in dessen christliche, an Vogelsang orientierte Jungarbeiterbewegung er 1919 eintrat. Orel ließ ihn begreifen, daß „ein bewußter Katholik revolutionär sein könne, ja sein müsse“.

In dieser Zeit lernte Knoll Ernst Karl Winter, der Vizebürgermeister von Wien war und dessen Hauptwerk „Die Sozialmetaphysik der Scholastik“ im “Jahre 1929 erschien, kennen. Seine zu einem geflügelten Wort gewordene Parole „Rechts stehen und links denken“ umschrieb Knolls Haltung treffend.

Mit Winter, dem er bis zu dessen Tod in Freundschaft verbunden war, Zessner-Spitzenberg und Alfred Missong gründete er im Jahre 1927 die „Österreichische Aktion“, die noch im Zeichen des habsburgischen Restaurationsgedankens stand, von dem Knoll erst später schrittweise abrückte. Wie für viele seiner Zeitgenossen war ihm das kaiserliche Österreich eine regionale und geistige Heimat.

Einen großen Einblick in die Politik gewann er in der kurzen Zeit, in der er als Privatsekretär Ignaz Seipels („Prälat ohne Gnade“) bis zu dessen Ableben beschäftigt war. Der politische Anschauungsunterricht dieser Zeit stärkte in ihm den Wunsch nach Trennung kirchlicher Institutionen von der Politik, hat doch der politische Katholizismus der Ersten Republik eine unglaubliche Entfremdung der Arbeiterschaft von der Religion zur Folge gehabt, die bis in unsere Tage wirkte.

Die Mitglieder der „österreichischen Aktion“ lehnten die Ausschaltung des österreichischen Parlaments im Jahre 1933 entschieden ab, doch sah Knoll im Ständestaat eine Möglichkeit, so-zialreformerisch im Sinne Vogelsangs zu wirken, der auch „katholischer Marx“ genannt wurde.

Knolls wissenschaftliches Hauptinteresse galt schon vor dem Kriege in erster Linie religionssoziologischen Problemen und Fragestellungen. Im Jahre 1933 habilitierte sich Knoll bei dem im europäischen Raum und darüber hinaus bekannten Soziologen, Philosophen und Nationalökonomen Othmar Spann, dem Hauptvertreter der universalistischen Schule, die nach dem Zweiten Weltkrieg außer von Knoll kaum erwähnt (sehr wohl aber an der damaligen Hochschule für Welthandel, j etzt Wirtschaftsuniversität, von Walter Heinrich vertreten) wurde, mit einer Arbeit, in der er der Frage der Erlaubtheit des Zinses nachging.

Die Venia legendi für Gesellschaftslehre erhielt er einige Monate später für die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät, an der er von 1935 bis 1938 eine

,,Naturrechtslehre gibt nur vor, Wegweiser für soziale Probleme zu sein“

Pflichtvorlesung über staatspolitische Ideen und Traditionen hielt.

Von 1934 bis 1938 war Knoll Chefredakteur der Wiener „Arbeiterpresse“ und vertrat in dieser Eigenschaft mit einigen anderen — wie man sie bezeichnete — „Linkskatholiken“ (Ernst Karl Winter, Josef Dobretsberger, Karl Lugmayer, Viktor Matejka) die Interessen der Arbeiter, deren sozialdemokratische Organisationen seit Februar 1934 verboten waren.

Im März 1938 mußte Knoll als Gegner des Nationalsozialismus die Universität verlassen und betätigte sich als Privatbibliothekar des Grafen Wilczek, bis ihn der Einberufungsbefehl erreichte. Durch die Großzügigkeit seiner Freunde, unter anderen des Kardinals Theodor Innitzer, könnte die Familie mit drei kleinen Kindern überleben.

Während der NS-Herrschaft stellte Knoll seinen Mut und seine Vaterlandstreue als Widerstandskämpfer unter Beweis, indem er mit einem Arzt zusammenarbeitete, der Röntgenbilder fälschte und Wehrunfähigkeitszeugnisse ausstellte, wodurch sich jedoch beide der Gefahr aussetzten, wegen Hochverrats und Wehrkraftzersetzung verurteilt und hingerichtet zu werden.

Nach dem Zusammenbruch 1945 kehrte Knoll an die Universität Wien zurück, wurde 1946 zum Extraordinarius und 1950 zum Ordinarius an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät ernannt. Damit wurde in Osterreich die erste Lehrkanzel für Soziologie installiert, nachdem bereits vor der Jahrhundertwende in Ansätzen wissenschaftlich Soziologie betrieben worden war. Der religionssoziologischen Thematik treu bleibend, widmete er jedes Jahr im Wintersemester beträchtliche Zeit seiner Analyse dem Naturrecht und der kirchlichen Soziallehre.

Von Freunden ermuntert, konzentrierte er sich auf das Thema

Naturrecht und Freiheit. Überlegungen dazu und die in seinem Todesjahr erschienene Schrift „Kirche und Zukunft“ — gemeinsam mit Wilfried Daim und Friedrich Heer—können als Kulminationspunkte seiner Lebensarbeit bezeichnet werden.

Für Knoll war die kirchliche Naturrechts- und Soziallehre eine der Kirche entsprechende Institutionsideologie (siehe Kasten), die vorgibt, Wegweiser für die sozialen Probleme zu sein, tatsächlich aber nur eine Aussage über den Ständort der Kirche ist. Wenn die Kirche also auf Anpassung an fast jede gesellschaftliche Ordnung ausgerichtet ist, um ihrer Aufgabe der Seelsorge, der Verkündigung des Wortes nachkommen zu können, kann es nicht ihr Anliegen sein, aus Sklaven „Freie“ zu machen, sondern aus „schlechten“ Sklaven „gute“ Sklaven.

Im außerreligiösen Bereich ist die Kirche „ecclesia accomodati-tia“, wie auch ihre Sozialtheologie, kirchliche Soziallehre genannt, grundsätzlich „theolpgia accomodatitia“ ist.

Als Konsequenz seiner Analyse postulierte Knoll mit großem Engagement eine „christliche Soziallehre im Dienste der Freiheit“.

Seine mit polemischer Schärfe ausgeführten und im Widerspruch zur herrschenden Lehre — Johannes Messners — stehenden Thesen haben gewaltige Kritik früherer Freunde und Mitstreiter

„Mit polemischer Schärfe gegen die Lehre Johannes Messners“ ausgelöst, die die Intention seiner Analyse weitgehend verkannten. Es ging Knoll nicht darum, die Wirkung der Kirche zu schwächen oder anderen gesellschaftlichen Kräften Vorschub zu leisten, sondern das von ihm gewonnene Erkenntnisgut zu verbreiten und mit tradierten Klischees zu brechen.

Zu Knolls Verdiensten und Leistungen, die manchmal übersehen wurden, gehört das gemeinsam mit Karl Kummer gegründete Institut für Sozialpolitik und Sozialreform und die einige Jahre vorher gegründete „österreichische Gesellschaft für Soziologie“, deren Präsident er war.

Von großer Bedeutung in bildungspolitischer Hinsicht waren seine Bemühungen zur Gründung einer Hochschule für Sozialwissenschaften in Linz, deren Eröffnung im Jahre 1966 ihm zu erleben nicht mehr vergönnt war.

Knolls Herzensgüte und Bekennermut zu dem als Wahrheit Erkannten werden allen, die seine Schüler sein durften, stets in Erinnerung bleiben.

Viel hätte er uns in der großen Krise der heutigen Zeit zu sagen.

Der Autor, Schüler August Maria Knolls, ist Beamter in der Universitätsbibliothek Wien.

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