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Rechts - wo das Vakuum ist

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Seit der Marx-Renaissance der sechziger Jahre ist die politische Rechte so etwas wie der Abort im Politischen geworden. Bestenfalls die Rumpelkammer der Weltgeschichte für verkalkte Konservative, Unbelehrbare Pfaffen, besitzgierige Kapitalisten. Oder: das polizeilich überwachte Reservationsgebiet für alte und neue Faschisten, Rechtsradikale und sonstige extremistische Outsider und Outcasts jener Welt, die die Linke heilen wird. Viele Liberale meiden diesen Ort mit Abscheu und Verachtung.

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Seit der Marx-Renaissance der sechziger Jahre ist die politische Rechte so etwas wie der Abort im Politischen geworden. Bestenfalls die Rumpelkammer der Weltgeschichte für verkalkte Konservative, Unbelehrbare Pfaffen, besitzgierige Kapitalisten. Oder: das polizeilich überwachte Reservationsgebiet für alte und neue Faschisten, Rechtsradikale und sonstige extremistische Outsider und Outcasts jener Welt, die die Linke heilen wird. Viele Liberale meiden diesen Ort mit Abscheu und Verachtung.

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Die linksgedrallte Kabarettliteratur, deren Autoren nicht gut ihre arrivierten Freunde in den Staatskanzleien aggredieren können, nimmt lieber die eine Rechte aufs Korn; es braucht dazu wenig Witz und noch weniger Courage. Denn bei der Handhabung der Kritik ist in den meisten Redaktionen und Studios der Massenmedien links „in“ und rechts „out“. Viele der jetzt als „Cartoonisten“ gefeierten Karikaturisten erfinden Rechts-Typen, wie man sie seit jenen des vertrottelten Operettenoffiziers, des hektischen oder feisten Pfaffen, des bürgerlichen Schiebers und Prassers nicht einprägsamer bringen konnte. Fast die ganze Kunst aller Sparten wendet sich dem Ausdruck moralischer Überlegenheit gegen rechts. Rechts stehen, ist für einen gebildeten, humanen Menschen anscheinend undenkbar geworden, rechts denken aber unvorstellbar. Der in allen Systemen der Linken steckende Monismus hat die Hochwassermarke erreicht.

Wien, 23. Februar 1973. In der kaiserlichen Burg feiert der österreichische Sozialismus die Gründung seiner neuen Parteischule. Der schwarzgelbe Genius loci entspricht in höchster Vollendung dem Ritual, mit dem die Linke ihre Revolution inszeniert: in den Palais, in den Salons, womöglich in den Betten des Ancien regime demonstriert sie am liebsten ihre Macht- und Besitzergreifung. Das entspricht nicht nur der Herkunft und den Ansprüchen ihrer größten Söhne, wie Lenin, der das Stabsquartier der Oktoberrevolution 1917 in die klassizistischen Smolny Qua-renghis, sein persönliches in das Luxuspalais der Geliebten des Zaren verlegte. Indem das nämlich so geschieht, werden Symbole der „anderen“ zu leblosen, musealen Schauobjekten degradiert.

Je mehr allerdings die eigenen Symbole und Signaturen der Linken ihre Beweiskraft verlieren, desto häufiger rufen ihre Politiker den Glamour früherer oder andernorts erreichter künstlerischer Vollendung zu Hilfe. Daher: symphonische Musik zur Eröffnung eines Parteitags, der Auftakt kommt vom Dirigentenpult, nicht vom Rednerpult. Und: zur Eröffnung der Parteischule nicht der Predigerton des Ideologen, sondern die Eloquenz eines Günter Grass, dessen rheinländisches Deutsch seit Joseph Goebbels hierzulande in manchen Kreisen wie eine intellektuelle Erfrischung gegenüber dem laschen österreichischen genossen wird. Günter Grass ist nicht der erste Künstler, der in Österreich in die Aretna des Politischen gebeten wurde. Setzte die SPÖ aufs Wort, dann setzte die ÖVP auf Farbe und Linie und widmete das Foyer ihres Parteitages dem Werk des Professors Ernst Fuchs.

Künstler sind zuweilen unberechenbar. Und also zeigte sich Fuchs angesichts seiner Werke und der Prominenz der Partei ehrlich überrascht darüber, daß er „konservativ“ nicht dort finden konnte, wo er es in allen Ehren vermutete. Und dem neuerdings in Rot statt in Grün ausgeführten Signet VP erwies der Künstler die höchste Ehre, die ein Künstler vergeben kann: er wertete es vom künstlerischen Standpunkt — als eher bescheiden. In grundsätzlicher Hinsicht als nicht signifikant. Günter Grass aber gesteht bei seinem fraglichen Auftritt in Wien frank und frei, daß die. sozialdemo-kratisch-liberalistische Regierungskoalition in Bonn das „konservative Prinzip“ geschicktermaßen für sich reklamiert habe. Quasi dem Vorbesitzer gestohlen, soferne rechts von ihr überhaupt noch eine andere Partei ein Urheber- oder Eigentumsrecht reklamiert. (Was derzeit nicht zutrifft.)

Es war ein beklemmender Eindruck, der unlängst im Bonner Bundestag entstand: mit großer Betulichkeit drängten alle im Bundestag vertretenen Fraktionen in eine Richtung, in der sie das vermuten, was sie jeweils „Mitte“ nennen. Die im Sinne von Günter Grass nach dem konservativen Prinzip neugemodelten Sozialdemokraten tauschten in einer progressiv gedachten Manier „links“ gegen womöglich zahlreiche Wähler-hoffnungen „aufgeklärter Bürger“ ein. Die christlichen Demokraten igelten sich ein und Franz Josef Strauß verfestigte in höchster Not an 12 Punkten eine stützpunktartige Verteidigung ihrer Mitte. Die Liberalen aber brummten: was wollt ihr bloß hier, verdammt noch mal, hier sind doch wir!

Es soll hier nicht untersucht werden, wie gut die Mitte der christlichen Demokraten und jene der Freidemokraten fundiert ist. Jedenfalls ist das, was Günter Grass aufzeigt, angesichts der in Bonn und Wien betriebenen Positionsstrategie der amtierenden Regierungen gar nicht so kalt. Denn: indem die gute alte Linke eine Position bezieht, die sie als „Mitte“ bezeichnet, will sie die anderen weit nach rechts und links hin abdrängen; dorthin, wo „aufgeklärte Bürger“ und Massenmedien nur mehr Radikalismen wahrnehmen können. Gleichzeitig gibt der Sozialismus scheinbar jenen Kreisen in christlich-demokratischen Parteien recht, die ohnedies längst daran sind, die traditionelle Linke links zu überholen, um so ihre Partei wieder an die Spitze zu bringen. Und: indem Sozialdemokraten das konservative Prinzip für sich beanspruchen, bleibt rechts von ihnen nur noch der Platz für jenen „Kehrrichthaufen der Weltgeschichte“, auf dem die Gewesenen von gestern verwesen sollen.

Zweihundert Jahre lang hat die politische Linke aller Schattierungen von der Zerstörung dessen gelebt, was jetzt ihre witzelnden Kolumnisten ein „christliches Abendland“ nennen möchten. Dabei wollte und mußte die Linke leeren Tisch machen, um die ihren Ideologien entsprechenden Normen, Institutionen und Autoritäten anstelle jener der „anderen“ aufzurichten. Die Massen sollten dabei den Eindruck gewinnen, und das war die Großleistung der Agitation und Propaganda der Linken, daß die Linke die Menschen aus unausstehlichen Zwängen herausführt; daß sie ihnen eine miese Existenz in brüchig gewordenen Institutionen erspart; daß sie „irreale Autoritäten“ abbaut (Chefredakteur Franz Kreuzer).

Indem die Linke Egalität versprach, brachte sie aber in Wirklichkeit neue Eliten an die Macht; indem sie das Ende des Staates und anderer Institutionen versprach, warf sie über die ganze Gesellschaft das Netz eines Institutionalismus, wie es bisher kein dichteres gegeben hat; indem sie zur Befreiung von Zwängen des Normativen aufrief, schuf sie mit der Gigantomie ihres Etatismus jene fast totale Normverflochtenheit der Individuen, die das Eldorado eines Bürokratismus wurde, verglichen mit dem der befürchtete Effekt des Parkinsonschen Gesetzes noch harmlos ist.

Der von der Neuen Linken bis in die gefährliche Nähe des Anarchismus gesteigerte Individualismus, der wie der Kollektivismus zur Mischform des Sozialismus gehört, hat die Zerstörung der zwischen dem einzelnen und dem Staat bestandenen eigenständigen kleinen Gruppen, in denen die Freiheit verteidigt wird, fast vollendet. Die Familie ist für den amtierenden Präsidenten des Obersten Gerichtshofes so etwas wie die Stätte der Ausübung eines rechtswidrigen Sexualmonopols der Ehe. Die zu Zeiten autonomen Bereiche der Wissenschaft und der Kunst werden, indem sie in eine vollständige materielle und ideologische Abhängigkeit vom herrschenden Regime gebracht werden, in einen Zustand versetzt, den es seit dem Polizeistaat der Aufklärer nicht mehr gegeben hat. Die Schule aber wird Bereitstellungsraum jener Revolution, mit der durch eine Revolutionierung der Schule die der Gesellschaft im Sinne der Konzepte der Linken vollendet werden soll. Dazu kommt die Gefahr einer im Fernsehen „optisch nachmanipulierten Wirklichkeit“. Chefredakteur Franz Kreuzer stellte nach seiner Rochade von der „AZ“ zum ORF fest: nicht jede gute Sache (zum Beispiel: Sozialismus) verkaufe sich auch gut; sie müsse dann eben „optisch nachmanipuliert werden.“

Jede im Anschluß an Marx entwickelte politische Doktrin ist von einem systembedingten Monismus beherrscht und daher prinzipiell unduldsam. Wenn jetzt Jean Amery behaupten möchte, der eigentliche Unterschied zwischen der Linken und Rechten bestünde darin, daß nur die Linke einer eckten Toleranz fähig sei (siehe die „Presse“ vom 10./11. Februar 1973), dann ist das der aktuelle Versuch des Linksintellektuellen, das blamable Bündnis mit dem Radikalismus der linken Linken vergessen zu machen. Es ist verständlich, wenn Linksintellektuelle, die die Aufrichtung ihres jetzigen Herrschaftssystems ihrem Bündnis mit der linken Linken der sechziger Jahre verdanken, jetzt nicht mit dem Image der Unduldsamkeit ihres Bundesgenossen bemakelt sein möchten. Indessen: diese Unduldsamkeit samt ihren Methoden war im Ei des Le-viathans. Wie genüßlich nannte Marx einen Otto von Bismarck zuweilen: Piß-mark, oder einen Ferdinand Lasalle einen „jüdischen Nigger“ und nachher einen „Itzig in der Arbeiterpartei“. Und in unserer Zeit kann Jean-Paul Sartre im Wochenmagazin der Vereinigten Linken „Der Spiegel“ anstandslos sagen, er würde „sich die Hände reiben“, wenn irgend jemand „morgen Nixon töten“ würde. Das entspricht jenem Barbarismus einer englischen Sozialistin, die G. E. R. Gedye („Die Bastionen fielen“) nach dem Mord an Dollfuß im Jahre 1934 erklärte, sie sei darüber nicht nur politisch glücklich gewesen, sondern höchstpersönlich — so „als hätte man ihr eine Schachtel Schokoladebonbons geschenkt“.

Mit ihrer Demontage an der Basis des Gebäudes angelangt — reklamiert die jetzt Linke mit Berufung auf das „konservative Prinzip“ den politischen Denkmalschutz für ihre Ersatzbauten für das menschliche Dasein. Aber die Zahl derer wächst, denen die Bauordnung, nach denen die Linke diese Gebäude errichtet hat und errichten will, prinzipiell nicht zusagt. Die in fertige Behausungen dieser Art nicht einziehen wollen. Die aus solcher Unwirtlichkeit ausziehen möchten — wenn sie könnten. Diese Menschen sehen sich um, es liegt in der Luft, daß viele Menschen in diesem Punkt zwar nicht immer das gleiche, wohl aber gleich denken; und daß bloß nichts geschieht. Denn: da angeblich nichts erfolgreicher ist in der Politik als der Erfolg, sind die Gegner der Linken dazu übergegangen, die Konzepte der Linken zum Teil zu kopieren, um vielleicht auch etwas von dem Publikumserfolg der Linken zu profitieren.

So wälzt der ganze Wust der politischen Ereignisse der Nachkriegszeit nunmehr in die linke Ecke der politischen Szenerie, wo Gedränge und Geschrei, Aufgeregtheit und Publicity Leben vortäuschen. Und es hinterläßt diese ganze Linksbewegung ein Vakuum, das rechts, wo anfangs fast alles davonlief, zuerst entstand und immer größer wird. Und Vakua ziehen an. Es könnte freilich auch geschehen, daß irgendwelche Nachzügler der Weltgeschichte in diese verlassenen Batteriestellungen der Politik einrücken möchten, um aus alten Munitionsbeständen noch einmal das Feuer auf gegnerische Stellungen zu eröffnen, die entweder längst nicht mehr besetzt sind oder die im heutigen Frontverlauf in ganz anderen Richtungen zu suchen wären. Dem ist vorzubeugen. Damit fängt eine neue Orientierung an.

Die Bereitstellung auf der Rechten ist nicht die Stunde der Kurbier, die angeblich noch einmal den Rollbalken aufziehen möchten, bevor er endgültig über der freien Welt niedergeht; auch nicht jene der Parteigründer, die sich entschließen oder entschlossen haben, Politiker zu werden; und noch viel weniger jene diverser Pressure-groups, die immer mit viel Geld und Public Relations zur Hand sind, um für ihren Schutz eine Fremdenlegion anzuwerben.

Das Pronunciamento des Ernst Karl Winter: Rechtsstehen, Linksdenken, ist zu Ende. In einer Stunde wie dieser geht es weniger um Typen, die „von Haus aus rechts standen“, sondern um jene, die zu einem Denken fähig sind, das die Alternative zum herrschenden Sinistrismo instruieren und instrumentieren kann. In diesem Sinn: rechts stehen und rechts denken. Rechts, das ist dort, wo heute unzählige Menschen leben, die sich der Atomisierung der Revolution der sechziger Jahre widersetzen; die sich aber auch nicht in jene Mauselöcher flüchten möchten, die eine „konservativ gewordene“ Linke für „aufgeklärte Bürger“ und verängstigte Spießbürger in ihrem sozialistischen Staat offenhält. Gerufen sind Menschen, für die das „konservative Prinzip“ ein Prinzip und keine Fluchtburg angesucht zerstörter Dämme ist. Und „Rechts“ kein Rasthaus, wo man vielleicht doch noch überdauern kann, bis es „draußen wieder etwas ruhiger geworden ist“. Rechts reflektiert auf eine Unruhe um uns und in uns, die sich nicht mehr' mit „bloß konservierenden Maßnahmen“ zufrieden gibt. Mit denen irgend etwas aus Konserven von gestern verabreicht wird oder verunglückte Neubauten unter den Denkmalschutz der Geschichte gestellt werden.

Rechts ist, wo das Vakuum entstand. Und Vakua ziehen an.

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