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Rechtsspruch macht Beine

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Die Politik hat über das Wahlrecht für Auslandsösterreicher schon end-und ergebnislos diskutiert.' Jetzt machen ihr die Verfassungsrichter zumindest aber Beine.

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Die Politik hat über das Wahlrecht für Auslandsösterreicher schon end-und ergebnislos diskutiert.' Jetzt machen ihr die Verfassungsrichter zumindest aber Beine.

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Es bedurfte einiger Anläufe. Nun scheint ein erster Durchbruch erzielt zu sein: Der Verfassungsgerichtshof setzt sich erstmals inhaltlich mit der Frage auseinander, ob es unseren Verfassungsprinzipien entspreche, daß österreichische Staatsbürger, die im Ausland leben und in ihrer

Heimat keinen ordentlichen Wohnsitz haben, vom österreichischen Wahlrecht ausgeschlossen sind.

Mit der nunmehr eingeleiteten Prüfung der Verfassungskonformität des Paragraphen 2 des Wählerevidenzgesetzes 1973 (danach ist der ordentliche Wohnsitz in einer österreichischen Gemeinde Voraussetzung für die Eintragung in die Wählerevidenz) hat das Höchstgericht ein heißes Eisen angefaßt und möglicherweise eine Wahlrechtsreform eingeleitet, der sich die Politik bis jetzt entzogen hat.

Die Diskussion über das Wahlrecht der Auslandsösterreicher hat Tradition. Seit Jahren verlangen die Interessenorganisationen der im Ausland lebenden österreichischen Staatsbürger, daß auch diesen die Möglichkeit eröffnet wird, zumindestens den Bundespräsidenten und den Nationalrat mitwählen zu können. Ihr Verlangen blieb bis dato unerfüllt. Ein politischer Konsens über eine solche Änderung des Wahlrechtes konnte nicht erzielt werden. Die SPÖ konnte dieser Idee nichts abgewinnen, sodaß die Diskussion bisher eher akademischen Charakter hatte.

Dies wurde nunmehr anders. „Verursacher“ ist ein begeisterter Österreicher, der seit Jahren als Spitzenmanager in den USA arbeitet und sich mit seiner „Wahlrechtslosigkeit“ nicht abfand. Er provozierte ein Verwaltungsverfahren über seine nicht mögliche Eintragung in die Wählerevidenz und landete schließlich beim Hüter der Verfassung.

Ein wenig überraschend war die Antwort des Verfassungsgerichtshofes: er prüft jenen Teil des Wählerevidenzgesetzes, in dem das Wahlrecht vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes im Inland abhängig gemacht wird. Daß der Verfassungsgerichtshof prüft, bedeutet noch nicht eine endgültige Entscheidung in dieser Frage, es ist dies jedoch ein Indiz für ein Umdenken des Höchstgerichtes, da bisher die in Prüfung gezogene Regelung des Wählerevidenzgesetzes für unbedenklich gehalten wurde.

Besonders interessant ist die Tatsache, daß der Verfassungsgerichtshof seine Zweifel nunmehr auch auf internationale Verträge abstützt. Im Staatsvertrag von St. Germain aus dem Jahr 1920 ist ausdrücklich normiert, daß alle österreichischen Staatsbürger dieselben politischen Rechte genießen sollen (Artikel 66 Absatz

1). Und Artikel 8 des Staatsvertrages von Wien aus dem Jahr 1955 verpflichtet Österreich, allen Staatsbürgern ein freies, gleiches und allgemeines Wahlrecht zu verbürgen. Gerade diese Hinweise berechtigten zur Erwartung, daß der Tag nicht mehr weit ist, an dem auch die rund 380.000 Paßösterreicher in ihrer Heimat politisch mitbestimmen können.

Damit würde Osterreich im Nachziehverfahren jene Möglichkeiten schaffen, die in anderen Demokratien zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Vor allem in den meisten Europaratsmitgliedsstaaten haben die Auslandsbürger die Möglichkeit, an Wahlen teilzunehmen, sei es durch Briefwahl (etwa Bundesrepublik Deutschland, Spanien), sei es durch Stimmabgabe bei der diplomatischen Vertretungsbehörde in jenem Land, wo sich der Wahlberechtigte aufhält (diese Regelung gilt beispielsweise in Frankreich, Norwegen und Schweden).

Tatsächlich hat sich im Laufe der Jahrzehnte vieles geändert, was noch früher als Argument gegen ein solches Wahlrecht ins Treffen geführt werden konnte. Früher wanderte man aus, um sich in einem anderen Land eine neue Existenz aufzubauen. Die Aussichten auf eine Rückkehr waren gering, die Integration in die neue Heimat war meist umfassend.

Heute hat sich die Situation geändert. Viele Österreicher gehen ins Ausland, um bei österreichischen Firmen zu arbeiten oder als hochqualifizierte Arbeitskräfte ihr Geld zu verdienen; oft nehmen sie ihre Familie mit. Die Kommunikation zu ihrem Heimatland Österreich bleibt aufrecht. Die moderne Nachrichten- und Kommunikationstechnik macht es möglich, sich intensiv und umfassend über die Entwicklungen zu Hause zu informieren. Dadurch wird ein großes Maß an Identität mit dem Geschehen in der Heimat ermöglicht.

Abgesehen von rechtlichen Erwägungen scheint für ein Wahlrecht der Auslandsösterreicher die demokratiepolitische Plausi-bilität gegeben zu sein. In einem Zeitalter zunehmender Interna-tionalisierung kommt den im Ausland lebenden Österreichern eine besondere Rolle zu. Sie sind Repräsentanten unserer Republik. Der Ruf nach einem neuen Patriotismus müßte auch sie miteinbeziehen.

Wie die wahltechnische Ausgestaltung eines Auslandsösterreicherwahlrechtes aussehen soll, ist letztlich eine sekundäre und sicher zu lösende Frage. Die Mandatsverteilung in einem fiktiven eigenen Wahlkreis — also einem zehnten Bundesland — wäre zweifellos ein gangbarer Weg.

Die derzeit im Amt befindliche Große Koalition hat am Beginn ihres umfangreichen Arbeitsprogramms auch das Thema der Demokratiereform, im besonderen der Wahlrechtsreform, angesprochen. Das mit dem vorliegenden Anliegen zusammenhängende Ziel ist allerdings bescheiden formuliert: Es soll wahlberechtigten Österreichern, die im Auftrag der Republik am Wahltag im Ausland tätig sind (Diplomaten, Soldaten, Angehörige internationaler Organisationen), unter Wahrung des Grundsatzes des persönlichen Wahlrechtes die Möglichkeit eröffnet werden, die Stimme in einer diplomatischen Vertretung oder am Einsatzort abgeben zu können. Damit ist der Kompromiß zwischen den Koalitionsver-handlern festgeschrieben.

Aller Voraussicht wird aber der Verfassungsgerichtshof die Koalition zwingen, weit über dieses Programm hinauszugehen. Es wäre dies eine große Stunde für unsere Landsleute in anderen Ländern, sie würde die Bindung zwischen den Inlandsösterreichern und den Auslandsösterreichern festigen und der Gemeinschaft aller Staatsbürger das Gefühl einer neuen Verantwortung geben.

Der Autor ist Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt

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