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Recycling allein ist zu wenig

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Wiederverwertung ist zu einem Schlagwort geworden, das auch mißbraucht wird, um ökologisch fragwürdige Konzepte salonfähig zu machen

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Wiederverwertung ist zu einem Schlagwort geworden, das auch mißbraucht wird, um ökologisch fragwürdige Konzepte salonfähig zu machen

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Recycling: ein englisches Wort, das längst Eingang in unsere Sprache gefunden hat. Es bezeichnet die Rückführung von Stoffen, die in der Produktion oder im Konsum genutzt worden sind, zu neuerlicher Verwendung. Es ist eines der Verfahren, das zur Bändigung der wachsende Müllberge empfohlen wird. Was man wiederverwenden kann, muß nicht in die Deponie.

Bei näherer Betrachtung erkennt man aber, daß Becycling durchaus kein Allheilmittel zur Lösung der Abfallproblematik ist. Man kann dies am Beispiel des Aluminiums für Getränkedosen illustrieren. Diese Einweg-Behälter waren seit langem ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Aluminium ist nämlich enorm energieaufwendig in seiner Herstellung (die Weltproduktion an Aluminium braucht ebenso viel Strom wie der gesamte afrikanische Kontinent). Die Hersteller von Alu-Dosen bemühten sich daher, ein Sammelsystem einzurichten und das Material wiederzuverwerten. Das magische Wort Becycling nahm der Verpackung das Odium der Umweltbelastung und die Verkaufszahlen für Alu-Dosen stiegen rapide an: zwischen 1989 und 1991 von 180 auf 300 Millionen Stück.

Für die Herstellung von Dosen braucht man 99prozentiges Alu. Das bei der Wiederverwertung anfallende Material erreicht jedoch nicht diesen hohen Qualitätsstandard und kann daher nicht wirklich recycliert werden. Es wird zur Herstellung verschiedener Alu-Legierungen, deren Hauptabnehmer die Autoindustrie ist, herangezogen. Das ist nicht schlecht, im Grunde genommen aber ein „Downcycling". Außerdem wird bei diesem Verfahren relativ

viel Dioxin erzeugt. So stellte eine deutsche Untersuchung fest, daß zwar 51 Prozent des erzeugten Dioxins von der Müllverbrennung, aber immerhin 45 Prozent vom Metallrecycling herrühren.

„Downcycling" gibt es auch beim Kunststoff, sofern er nicht sauber und stoffrein gesammelt werden kann. Aus dem Gemisch, das bei Sammlungen in den Haushalten anfällt, werden daher bestenfalls Blumentöpfe, Parkbänke und Lärmschutzwände gemacht - oder der Kunststoff wird eben verbrannt.

Ahnliches gibt es beim Papier: Papier und Pappe gemeinsam gesammelt, liefert ein minderwertiges Produkt. Sortieren ist aber zu aufwendig und so findet auch hier ein „Downcycling" statt.

Offensichtlich ist es äußerst schwierig, Stoffe wirklich im Kreis zu führen. Daher müßte man die entsprechenden Verfahren jeweils im Einzelfall auf ihre Umweltverträglichkeit prüfen. Das Schlagwort Recycling allein rechtfertigt eigentlich noch nichts. Eine solche umfassende Rewertung ist aber äußerst schwierig, weil sie Produktionsverfahren, Transporte, Sammelsysteme, Deponierungsprobleme, und so weiter ... beurteilen müßte. Solange dies nicht von unabhängigen Einrichtungen möglichst fair geprüft wird, steht man immer wieder schwer zu durchschauenden Argumentationen für das eine oder andere Material gegenüber.

Typisch dafür ist die Antwort der

Kunststoffindustrie auf Vorwürfe gegen ihre Produkte: Würde man Plastik durch anderes, schwereres Verpackungsmaterial ersetzen, so ergäbe das eine höhere Umweltbelastung, weil beim Transport mehr Treibstoffe gebraucht würden: weniger Müll — das schon, aber eben mehr Energie.

Folgende Rechnung wird angestellt: Würde jeder fünfte Österreich morgens ein Joghurt essen, so en-stünden dadurch 14 Tonne Plastikabfälle. Hätte man dieses Joghurt aus dem Glas gegessen, so hätte das ein 15faches Gewicht an Glas ergeben. Ebenfalls zugunsten von Plastik fällt die Rechnung aus, wenn man die Verpackung einer Tonne Sauerkraut näher unter die Lupe nimmt: zwölf Kilo Folie oder 131 Kilo Weißblech oder 440 Kilo Glas. Selbst vollständiges Glas- und Blechrecycling wäre umweltbelastender als die Einwegverpackung in Plastik.

Unter Berücksichtigung der verschiedenen Umwelteffekte errechnete der Schweizer Unternehmensberater Ernst Bischoff auf diese Weise, daß Plastikbecher günstiger seien, als wiederbefüllbare Glasbehälter, die ja befördert und abwasserbelastend gesäubert werden müssen.

Ist Becycling also ein zweifelhaftes Konzept? Nein, aber es ist auch kein Allheilmittel. Der einzige langfristig wirklich sinnvolle Ansatz zur Lösung der Müllproblematik heißt:

In allen Konzepten einer zukunftsträchtigen Abfallentsorgung heißt es, Müll dürfe gar nicht erst enste-hen. Diesem Anliegen kann Recycling dienen. Viele Unternehmen haben in dieser Hinsicht erfolgreiche Anstrengungen unternommen.

Ein Reispiel unter vielen ist der Mineralwasserhersteller „Römerquelle": Um Schadstoffe im Abwasser der Flaschenreinigung zu vermeiden, werden Etiketten mit Spezi-alpapier, das sich beim Waschen nicht auflöst und ein Spezial-Klebe-stoff eingesetzt. Die Etiketten werden mit cadmiumfreien Farben bedruckt, nach dem Ablösen getrocknet, zu Rallen gepreßt und zur Erzeugung von Spezialverpackungspapieren verkauft.

Die Plastikverschlüsse der Flaschen werden ebenso zu wiederverwertbarem, sortenreinem Granulat für die Kunststoffindustrie verarbeitet wie die nicht mehr gebrauchsfähigen Kisten. Eine eigene Kläranlage reinigt die Betriebs- und Fäkal-abwässer biologisch. Der dabei anfallende Schlamm hat eine gute Qualität und wird - nach vorhergehender Untersuchung - an die Landwirtschaft der Umgebung abgegeben.

An diesem Beispiel wird erkennbar, daß eine wesentliche Voraussetzung für die Wiederverwertung eine sortenreine Aufbringung von Materialien in einem überschaubaren Milieu darstellt. Unter diesen Voraussetzungen ist Becycling ein echter Beitrag zur Müllvermeidung.

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