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Reform im Heer in aller Stille

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Das (grüne) Papier weist als Datum den 29. Jänner 1982 aus und trägt die Unterschrift von Bundesminister Otto Rösch: ,.Richtlinien für die Durchführung der Staats- und wehrpolitischen Bildung" im Bundesheer.

Die ersten, insgesamt eher spärlichen Reaktionen in Medien (FURCHE 6/1982) lassen noch alles offen; Reaktionen im Heer selbst stehen noch aus, der Erlaß wird erst „verteilt".

Zur Erinnerung: Bei der Beschlußfassung über das Wehrgesetz vom 7. September 1955 hatte sich die Volksvertretung zum Thema „Ausbildung" auf folgende Formulierung geeinigt: „ 35 Ausbildung

(1) Die Ausbildung hat allen Soldaten neben der militärischen Ausbildung auch die Kenntnis ihrer staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, insbesondere der aus dem Völkerrecht abgeleiteten, zu vermitteln.

(2) Im Bundesheer ist der österreichische Vaterlands- und Staatsgedanke zu pflegen. Die Soldaten sind angehalten, das persönliche Interesse dem Wohle des Ganzen unterzuordnen, über den Rechten des einzelnen die Pflichten gegenüber der Gesamtheit nicht zu vergessen und alles Trennende zwischen den Staatsbürgern zurückzustellen."

Die Umsetzung dieses an das Heer erteilten Auftrages war von Anbeginn an von einem offensichtlichen Mißverständnis gekennzeichnet. Auf Grund der kurzen Dienstzeit meinte man innerhalb des Heeres anscheinend, sich bei der Ausbildung der Soldaten auf das Was und Wie beschränken und das Wofür glatt vernachlässigen zu können. Aber ein Soldat ohne Motivation ist

nur die Hälfte wert - oft nicht einmal das.

In der Bundesheer-Praxis war aus dem im Wehrgesetz erteilten Auftrag ein ziemlich ungeliebtes Kind geworden, das unter dem Namen „Heimat- und Staatsbür-

gerkunde" (HStK) ein recht klägliches Schattendasein führte und häufig durch die etwas befremdliche Nachbarschaft zur „Putz-und Flickstunde" an Samstag-Vormittagen gekennzeichnet war.

Nach der 1978 erfolgten Einführung der Politischen Bildung an den Schulen (an Stelle der Staatsbürgerkunde) durfte an sich erwartet werden, daß dieser nach Herstellung eines Konsenses zwischen den politischen Parteien gesetzte Schritt früher oder später zu entsprechenden Konsequenzen auch im Bundesheer führen müßte.

Das ist auch nach relativ kurzer Zeit geschehen: Mit einem entsprechenden Grundsatzerlaß, erstellt durch das Verteidigungsministerium unter Mitwirkung der Politischen Akademien der im Parlament vertretenen Parteien,

wurde bereits mit 22. Oktober 1980 die politische Bildung auch im Bundesheer „eingeführt".

Praktische Konsequenzen im Bundesheer-Alltag: zunächst gar Keine - und das bis heute. Daß da eine Zeitbombe zu ticken begonnen hatte, wird wohl auch so manchem Bundesheer-Insider erst jetzt bewußt werden.

Anspruchsvoll ist dieses Programm, das läßt sich nicht leugnen. Anspruchsvoll in mancherlei Hinsicht, vor allem aber in dieser Beziehung: wenn die konkrete Umsetzung dieser Richtlinien im militärischen Dienstbetrieb auch nur einigermaßen funktioniert, dann wird dieses Bundesheer einen ganz entscheidenden Schritt nach vorn in die Gegenwart tun.

Schon bei der Festlegung der Grundsätze 1980 war mit ausreichender Deutlichkeit formuliert worden, die Staats- und wehrpolitische Bildung erstrebe die Heranbildung „insbesondere einer Verhaltensweise, die sowohl den Anforderungen der Demokratie wie denen des militärischen Dienstes gerecht wird"; sie sei „Prinzip des Führungs- und Dienstverhaltens und in diesem Sinne unverzichtbarer Bestandteil des gesamten militärischen Dienstes..."

Sollte man diese ganz entschei-

denden Passagen, die den Unterschied zur selbstgewählten Mauerblümchenrolle der alten HStK wohl am deutlichsten aufzeigen, damals noch überlesen oder mangels umgehend befohlener Umsetzung in die Wirklichkeit des Soldatenalltages nicht so recht zur Kenntnis genommen haben, dann wird das nach einem Blick auf die nun, 15 Monate später, ergangenen Richtlinien nicht mehr möglich sein.

Die Zielsetzungen der staats-und wehrpolitischen Bildung beziehen sich „auf den gesamten (im Originaltext unterstrichen) militärischen Dienst". Ihre Umsetzung ist auf zwei Wegen vorzusehen: dem „Prinzip des Führungsverhaltens im gesamten militärischen Dienst" sowie einem eigenen Ausbildungszweig

„Wehrpolitische Ausbildung". Dieses Führungsprinzip ist zudem durch die Vorgesetzten aller Führungsebenen unter Beachtung der Leitsätze für Kommandanten anzuwenden.

Ein Blick auf diese Leitsätze macht deutlich, worum es dabei geht. Kommandanten sollen demnach „die ihnen unterstellten Soldaten mit einer weitgehend selbständigen Erfüllung der Aufgaben beauftragen", sie „informieren, sie unterstützen und ihnen helfen, ohne sie zu bevormunden"; sie sollen „bei guten Leistungen Lob und Anerkennung im zumindest gleichen Maß anwenden wie Tadel bei mangelhaften Leistungen" und „die Anerkennung, die sie für Leistungen ihrer Truppe erhalten, an die Soldaten weitergeben.".

An menschliche Größe wird appelliert, wenn verlangt wird, daß Kommandanten anderseits „bei Mißerfolgen die Ursachen zunächst bei sich selbst suchen

und dann erst bei den ihnen unterstellten Soldaten".

So mancher durchaus willige, zu seinem Pech aber etwas ungeschickte Soldat vergangener Jahre wäre sicher froh gewesen, wären schon damals seine Vorgesetzten dazu verhalten gewesen, „bei mangelhaften Leistungen so lange vom dennoch guten Willen der ihnen unterstellten Soldaten aus(zu)gehen, bis schlechter Wille klar erkennbar ist".

Und noch ein deutlicher Hinweis: „Maßnahmen gegenüber nachlässigen oder unwilligen Soldaten sollen sich nach Art und Strenge deutlich von Hilfen bei Ungeschick oder Unvermögen abheben."

Ausdrücklich wird kooperatives Verhalten verlangt und darauf hingewiesen, daß sich „die zur Auftragserfüllung erforderliche Disziplin ohne Vertrauen zwischen Kommandanten und unterstellten Soldaten... auf Dauer nicht aufrechterhalten läßt." Kommandanten sollen daher das Gespräch mit ihren Soldaten suchen, ihnen „nicht nur Gelegenheit zur Aussprache geben, sondern sie dazu sogar anregen".

Und schließlich wird in einem dieser „Leitsätze für Kommandanten" klar festgestellt, diese mögen „sich bewußt sein, daß es der Autorität nicht schadet, eigene Wissenslücken und Fehler einzugestehen".

Ein erstaunlicher Erlaß. Und dennoch eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit, nimmt man das Wort vom „Heer in der Demokratie" ernst, ohne in den für die Schlagkraft eines Heeres verhängnisvollen Fehler einer mißverstandenen „Demokratisierung" zu verfallen.

Der Autor ist Kommandant der 9. Panier grenadierbrigade des Bundesheeres.

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