6797844-1971_19_03.jpg
Digital In Arbeit

Reform: immer nur neue Posten?

19451960198020002020

In Österreich setzt man den Begriff Reform fast immer mit Personenwechsel gleich. Neue Führungskräfte bedeuten hierzulande auch schon Reform. Diese Vorstellung ist falsch und entspricht auch nicht demokratischer Denkungsart. Sie hat sich vielmehr bei uns eingebürgert, dank der parteipolitischen Herrschaft auf nahezu allen Gebieten des Lebens. Löst Rot Schwarz ab (oder umgekehrt), dann bedeutet Reform, daß ein Roter an Stelle eines Schwarzen (oder umgekehrt) tritt..

19451960198020002020

In Österreich setzt man den Begriff Reform fast immer mit Personenwechsel gleich. Neue Führungskräfte bedeuten hierzulande auch schon Reform. Diese Vorstellung ist falsch und entspricht auch nicht demokratischer Denkungsart. Sie hat sich vielmehr bei uns eingebürgert, dank der parteipolitischen Herrschaft auf nahezu allen Gebieten des Lebens. Löst Rot Schwarz ab (oder umgekehrt), dann bedeutet Reform, daß ein Roter an Stelle eines Schwarzen (oder umgekehrt) tritt..

Werbung
Werbung
Werbung

Von dieser Warte aus muß auch die gegenwärtig im Gang befindliche Reform der Rundestheater angesehen werden. Sechs Wochen vor den vergangenen Wahlen setzte der damalige Unterrichtsminister Doktor Mock einen neuen Leiter der Bundestheaterverwaltung ein. Das konnte nur ein auf diesem Gebiet so unerfahrener Minister wie Mock tim, und das konnte nur ein auf diesem Gebiet so unerfahrener Mann wie Dr. Heindl annehmen. Überdies war es ein Stück ÖVP-Überheblichkeit, zu glauben, sie habe ein Ministerium für alle Ewigkeit gepachtet. Die Folgen zeigten sich bald. Die Wahlen vom 1. März 1970 brachten als Ergebnis eine sozialistische Minderheitregierung an die Macht und damit das Unterrichtsministeriumsamt den Bundestheatem in die Hände eines „Roten”.

Die Idee der Reform der Bundestheater, über die von der ÖVP jahrelang gesprochen und geschrieben wurde, aber leider nur gesprochen und geschrieben, nahm auch Unter-

richtsminister Gratz auf. Was bedeutet nun Reform im Sprachgebrauch der SPÖ? Das gleiche, was sie für die ÖVP bedeutete: Neue, ihrer Partei nahestehende Männer. Mit der ihm eigenen Unschuldsmiene — er wind ein guter Nachfolger Kreiskys werden — verkündete Unterrichtsminister Gratz die notwendige Reform der Bundestheater und hatte auch gleich die entsprechenden Personen zur Hand. Es sind lauter Linke oder, wie der neuernannte Opemdirektor Rudolf Gamsjäger, wenigstens durch seine Mitgliedschaft zum BSA der Linken verbunden.

Nun ist es gleichgültig, ob führende Positionen in den Bundestheatem von Linken oder Rechten eingenommen werden, wenn diese politische Grundhaltung nicht die Eigenschaft Nummer eins ist, die zur Berufung den Ausschlag gibt. Das war es aber im Fall von Jungbluth, Klingenberg und Gamsjäger, wenn auch allen dreien die fachlichen Qualitäten nicht abgesprochen werden können. Im übrigen ist Gamsjäger trotz seiner BSA-Mitgliedschaft in seiner Kunstgesinnung ein Konservativer.

Gleichsam zur Veranschaulichung seiner Parteilichkeit bei der Ernennung der wichtigsten Positionen in den Bundestheatem ignorierte Gratz, daß es einen Leiter der Bundestheater gibt. Er sprach seine Ernennung ohne Konsultationen mit Heindl aus, ja gab sie ihm erst knapp vor der Veröffentlichung durch die APA bekannt. Er schob ihn auch auf ein Abstellgeleise in dem künftig geplanten Führungsgremium und bewies damit vor aller Öffentlichkeit, daß ihm Begriffe wie Ausschreibung und Diskussion nur dort wichtig sind, wo parteipolitisch andere Machtkonstellationen herrschen. Die ÖVP einschließlich des Leiters der Bundestheaterverwaltung schreit weder Zeter noch Mordio, zum Teil aus schlechtem Gewissen heraus, weil ihre Personalpolitik in den glücklichen Regierungszeiten — sie währten immerhin 25 Jahre — den gleichen Prinzipien huldigte, zum Teil deshalb, weil sie vor lauter Personalpolitik und Führungskämpfen für scheinbare Nebenfronten keinen Blick mehr hat.

Sehen wir aber vom Personellen ab, sehen wir auch davon ab, daß ein guter Stadthallendirektor noch kein guter Manager für die Bundestheater sein muß, daß ein schlechter Shakespeare-Übersetzer auch wieder nicht unbedingt ein schlechter Burgtheaterdirektor zu sein braucht und daß zwei Tristan-Neuinszenierungen (oder gar drei?) im Jahre 1973, obwohl eine noch brauchbare und fast nicht ausgenützte von Everding vorhanden ist, auf das geistige Konzept der künftigen Opemführung schließen lassen. Es wird die Establishment-Oper in Vollendung werden.

Auch Modernes ins Opernmuseum!

Hier aber stehen wir bereits mitten in der Problematik. Nichts gegen die Establishment-Oper. Sie soll auch weiterhin der dominierende Teil unserer Oper bleiben, weil es das, was wir allgemein als modeme Oper bezeichnen, nur in Ansätzen gibt. Daß ein Haus auch an die Moderne Konzessionen machen kann, beweist die künstlerisch und kommerziell gut geführte Hamburger Oper. Hier stehen neben allen Standardopern, von Mozart bis Richard Strauss, auch moderne Werke auf dem Repertoire und zwar in einer Zahl, wie sie unsere Oper noch nie erreicht hat: Berg (Wozzeck), Hindemith (Mathis), Janaček (Jenufa), Strawinsky (The Rake’s Progress) Orff (Die Kluge), Kagel (Staatstheater), Burghard (Ein Stern geht auf aus Jaakob), dazu Ballette von Webern, Strawinsky, Hindemith, Roman Vlad und Knud- Aage Riisager. Hier zeigt sich, daß die Spielplanpolitik interessant sein kann, und dabei doch alle Wagneropern außer Rienzi, die fünf gängigen Mozartwerke, alle bedeutenden Opern von Richard Strauss und sieben Verdi-Opern auf dem Repertoire stehen hat.

Bei uns hingegen ist das Opem- Einerlei von ermüdender Langeweile. Sicherlich wird die Ära Gamsjäger mehr Spannung bringen, doch wird diese wohl in erster Linie von der kulinarischen Seite her, von besseren Sängern und Dirigenten kommen, nicht aber von der Spielplangestaltung her. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn ein Ausgleich auf anderer Eben stattfände. Doch davon wird kaum die Rede sein — und hier liegt die crux aller Reformgespräche. Eine Reform ohne geistiges Konzept muß aber ein Torso bleiben.

Nehmen wir an, daß die Oper in ihrer heutigen Form eine museale Kunst ist, die allerdings eine erstaunliche Überlebenskraft aufweist. Nehmen wir weiter an, daß die Aufrechterhaltung eines Opernbetriebes enorme Kosten verursacht, weshalb jeder Direktor bemüht sein muß, die Vorstellungen ausverkauft zu haben, was bei der Aufführung moderner Opern selten der Fall ist: Dazu nämlich müßte ein Publikum herangezogen werden. Doch das Wiener Publikum wird nicht herangezogen! Warum eigentlich nicht? Hier stoßen wir auf den Unsinn einer völlig verfehlten Organisation unseres Opernlebens.

Der Luxus der zwei Häuser

Wir leisten uns den Luxus von zwei Opernhäusern. Jedes Haus hat sein eigenes Ensemble und seine eigenen Gäste, sein eigenes Orchester, sein eigenes Ballett, seinen eigenen Chor, sein eigenes technisches Personal, seine eigene Verwaltung und seine eigene Direktion. Der Spielplan keiner der beiden Häuser kann jedoch befriedigen, noch ergänzen sie einander. Ein Haus ist deshalb gänzlich überflüssig. Nun kommen Einwand und Wehgeschrei: Wir können aus sozialen Gründen die Volksoper nicht auflasssen. Eine schedn-

bar unwiderlegbare Argumentation. Aber eben nur scheinbar. In der Wirtschaft heißt es: Ein Betrieb, der defizitär arbeitet, gehört zugesperrt. Berücksichtigt man auch soziale Belange, was man heute zumeist tut, dann heißt der Ausweg: Wir schaffen einen zukunftsträchtigeren Betrieb und schulen die Leute aus dem veralteten Betrieb für den neuen um. Wie steht es nun mit unseren Opernhäusern? Als einzige Alternative zu einem Haus, das auf die Establishment-Oper eingeschworen ist, kann es nur ein Haus geben, das moderne Oper, vor allem aber Ballett auf dem Spielplan hat, das also imstande ist, ein junges, interessiertes Publikum heranzuziehen. Wird der Spielplan gut und abwechslungsreich gestaltet, werden sich sogar alte Opemfans einfinden, ja die Anhänger der Modernen werden selbst zu Opas Oper eine gewisse Beziehung gewinnen, weil sich gute Musik immer durchsetzt, sobald das Interesse des Menschen für sie geweckt wird.

Was würde eine derartige Konstruktion für Folgen haben? Ein klares Alternativprogramm, das verschieden gelagerte Schichten und verschiedene Generationen anspricht. Da das Programm der beiden Häuser aufeinander abgestimmt sein müßte, würde eine einzige Direktion Und Verwaltung genügen. Das Staatsopemorchester könnte mit den besten- Kräften des Volksopem- orchesters aufgestockt werden. Das gleiche gilt für Chor und Ballett. Das technische Personal, das auf Grund der Arbeitszeitverkürzung in beiden Häusern knapp ist, könnte rationeller eingesetzt werden. Bei der notwendigen Schließung der Häuser an mindestens einem Tag in der Woche, um selbst die 40-Stunden-Woche verkraften zu können, wäre eine besser aufeinander abgestimmte Lösung zu erzielen. Da nur mehr ein

Ensemble vorhanden wäre gäbe es kein ein wenig von oben her angesehenes zweites Opemensemble. An solche Reformen ist jedoch nicht gedacht, weil in Österreich Reform eben in erster Linie Posfen- umbesetzung heißt, und zwar nach parteipolitischen Rücksichten. Deshalb werden auch die Probleme immer fortgeschleppt, und selbst der beste Mann muß an ihrer Nichterledigung scheitern. Wir haben uns bedauerlicherweise daran gewöhnt und sehen es einfach als ein österreichisches Schicksal an. Daran ist bereits die ‘ Monarchie zugrunde gegangen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung