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Reform, kein Flickwerk

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Wie viele Ehen nur auf dem Papier bestehen, weil ihre Partner längst nicht mehr zusammen leben, ja meist wieder neue Lebensgemeinschaften eingegangen sind, ist ungewiß; daß es viele sind, bezweifelt niemand. Deshalb will die Regierung auch eine Reform des Scheidungsrechtes in Angriff nehmen.Entgegen der Auffassung der Sozialisten tritt die ÖVP dafür ein, daß eine Ordnung der Frage der „Papierehen“ nicht durch eine isolierte Änderung des einschlägigen 55 Ehegesetz, sondern in einem Zug mit einer Beschlußfassung über die bereits weit gediehenen Vorarbeiten zur Regelung des gesetzlichen Erbrechtes und ehelichen Güterstandes sowie der Neuregelung der Rechte des ehelichen Kindes erfolgen soll.

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Wie viele Ehen nur auf dem Papier bestehen, weil ihre Partner längst nicht mehr zusammen leben, ja meist wieder neue Lebensgemeinschaften eingegangen sind, ist ungewiß; daß es viele sind, bezweifelt niemand. Deshalb will die Regierung auch eine Reform des Scheidungsrechtes in Angriff nehmen.Entgegen der Auffassung der Sozialisten tritt die ÖVP dafür ein, daß eine Ordnung der Frage der „Papierehen“ nicht durch eine isolierte Änderung des einschlägigen 55 Ehegesetz, sondern in einem Zug mit einer Beschlußfassung über die bereits weit gediehenen Vorarbeiten zur Regelung des gesetzlichen Erbrechtes und ehelichen Güterstandes sowie der Neuregelung der Rechte des ehelichen Kindes erfolgen soll.

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Diese umfassende Neuordnung soll ( verhindern, daß die Scheidungsre- ; form auf Kosten der schuldlos ge- : schiedenen Frau geht, deren An- '. Sprüche jedenfalls Vorrang vor denen einer Frau aus einer späteren Ehe des geschiedenen Mannes haben muß. Nach Paragraph 55 Absatz 1 Ehegesetz in der derzeit geltenden Fassung ist eine Scheidung möglich, wenn die häusliche Gemeinschaft in einer unheilbar zerrütteten Ehe drei Jahre nicht mehr besteht; nach Absatz 2 kann der an der Zerrüttung schuldlose Ehepartner der Scheidung widersprechen und die Gerichtspraxis hat diesen Widerspruch bisher gelten lassen. In der Regel war es die schuldlose Gattin, die widersprach, die ihren Unterhalt zu Lebzeiten und erst recht nach dem Tode ihres Mannes gefährdet sah, weil dieser, nachdem sie für ihn und die Kinder lange Jahre treu gesorgt hatte, nun mit einer attraktiveren Zwanzigjährigen eine neue Lebensgemeinschaft eingehen wollte.

Nach dem sozialistischen Gesetzentwurf soll nun dem Entstehen von Papierehen dadurch begegnet werden, daß ein Widerspruch der schuldlosen Frau wirkungslos bleibt, wenn die Zerrüttung fünf Jahre gelauert hat; in einem neuen Absatz 3 :um Paragraph 55 wird jedoch bestimmt, daß das Gericht auf Verlangen des beklagten Ehepartners m Scheidungsurteil ausdrücklich einen Unterhaltsanspruch festigt.

Der ÖVP genügt überdies nicht nur die Behandlung materieller Aspekte, sondern sie verlangt den Einbau einer immateriellen „Härteklausel“, die dem Richter im Einzelfall eine seiner Eigenart gerechte Anpassung seiner Entscheidung ermöglichen soll — wenn etwa die Interessen minderjähriger Kinder die Aufrechterhaltung der Ehe verlangen oder eine schwere Krankheit der Frau vorliegt. In solchen Fällen soll ohne zeitliche Begrenzung ein wirksamer Widerspruch des schuldlosen Ehepartners möglich sein.

Das Gesetz kennt heute die einvernehmliche Ehescheidung nicht, wohl aber die gerichtliche Praxis. Es ist nur einiges schauspielerisches Talent notwendig: ein Partner bezichtigt den anderen zur ehelichen Zerrüttung führender Praktiken und der Beschuldigte gibt diese vor dem Richter zu, wobei nicht selten der Richter durchaus weiß, was hier gespielt wird. Das Ganze ist dem Ansehen der Justiz abträglich. Der ÖVP-Justizsprecher Hauser machte nun Vorschläge, wie diese Zustände bereinigt werden könnten:

• Die Ehepartner müßten demnach zugleich mit dem Scheidungsantrag eine bindende Vereinbarung über die Scheidungsfolgen vorlegen. Findet diese nicht die Billigung des Gerichtes, so ist auch keine Scheidung möglich.

• Die Vereinbarung über die Scheidungsfolgen muß nicht nur die Unterhaltsfrage, sondern auch die Pflege und Erziehung bis zur Frage des Besuchsrechtes bei etwa der Ehe bereits entsprossenen Kindern regeln.

• Voraussetzung der einvernehmlichen Scheidung müßte eine gewisse Mindestdauer (etwa zwei Jahre) der Ehe sein und zum Nachweis der Zerrüttung auch eine Mindestdauer (etwa ein Jahr) für die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft.

Die skizzierten Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Gefahr übereilter Eheschließungen und Scheidungen zu verringern. Das setzt allerdings voraus, daß allgemein bekannt ist, was Präsident Schuppich auf dem österreichischen Rechtsanwaltskammertag 1974 so ausdrückte: „Die Ehe ist ein Vertrag, und wer ihn lösen will, muß wissen, daß er sich seinen Verpflichtungen nicht entziehen kann.“

Besser gesagt, jeder sollte es wissen, wenn er schon den sakramentalen Charakter der Ehe nicht anerkennt. Muß es nicht nachdenklich stimmen, wenn rund 5 Prozent der Ehescheidungen noch im ersten Ehejahr und mehr als 40 Prozent vor Beendigung des fünften erfolgen?

Ob Scheidung mit oder ohne Einvernehmen — Vermögens- und Unterhaltsansprüche werfen Probleme auf, die um so größer sind, je mehr Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind. Wenn die erste Ehefrau Vorrang vor den Unterhalts- und Versorgungsansprüchen einer zweiten und eventuell dritten Frau hat, wie sollen die Ansprüche aller dieser Frauen finanziert werden? Es würde nicht genügen, daß der schuldige geschiedene Mann eben einen zweiten Pensionsbeitrag bezahlt, denn den gleichen Betrag zahlt auch sein Arbeitgeber und ihm kann nicht zugemutet werden, daß auch er einen zweiten Beitrag zahlt, damit auch die Pension der zweiten Frau gesichert ist. Soll der Staat dafür aufkommen, also die Allgemeinheit die Folgen der Ehescheidungen tragen? Die Erläuterungen zum Broda-Entwurf über die Ehescheidung schließen mit dem Satz: „Die Neuregelung wird den Bundeshaushalt weder personell noch finanziell belasten.“

Dieser Tage gab sich Justizminister Broda vor sozialistischen Funktionären optimistisch bezüglich einer raschen Verabschiedung seiner „Minireform“ der Scheidung und nannte die Vorschläge der ÖVP in der Scheidungsfrage konstruktiv. Mit der immateriellen Härteklausel war Broda allerdings nicht einverstanden und auch von einer Regelung des ehelichen Erb- und Güterrechtes in einem Zuge mit der Scheidungsreform verlautete nichts. Auf sie besteht aber die ÖVP im Interesse der Frau,- weil doch die noch offene Frage des Wertzuwachses des in der Ehe von den Ehepartner gemeinsam erwirtschafteten Gutes und seiner Teilung im Falle einer Scheidung eine Rolle spielt.

Die Sozialisten täten freilich gut daran, nicht mit ihrer Zehntelprozentmehrheit in einer so wichtigen gesellschaftlichen Frage ein Flickwerk durchzudrücken, nur um einige Monate oder ein Jahr früher eine fragwürdige „Reform“ zu buchen. Auf eine Verzögerung kommt es bei der Lösung dieser Frage auch nicht mehr an, die seit drei Jahrzehnten offen ist.

Und noch eines: Sozialminister und Finanzminister können in der gegenwärtigen Finanzlage ihrem Kollegen aus dem Justizressort in seinem Reformeifer ohnedies nicht so rasch folgen. Auch dies ist ein wichtiger Grund, sich für eine umfassende Regelung Zeit zu nehmen, denn in der Regierungserklärung vom 5. November 1975 heißt es ausdrücklich, daß nur unter Voraussetzung einer befriedigenden gesetzgeberischen Lösung der wirtschaftlichen Probleme der Scheidung im Bereich des Unterhalts- und der Pensionsversicherung der Scheidungsreform nähergetreten werden kann.

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