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Reform statt Revolution
Der Band kommt um die berühmte Idee zu spät. Jetzt, nachdem die in den sechziger Jahren versuchte Revolution gegen das Industriesystem für diesmal vorbei ist, fängt man in den Industriestaaten an, Mängel und Reformen dieses Systems zu erörtern. Das System bleibt tabu: das perpetuum mobile mit den Phasen Investieren, Produzieren, Konsumieren — oder den Tod.
Hans Dieter Kloss, langjähriger Korrespondent einer süddeutschen Tageszeitung in Bonn, Jahrgang 1929, bringt durch die DVA eine Sammlung von Analysen und Lösungsvorschlägen. Den Fachautoren mangelt weder Kompetenz noch Prominenz: Über Umweltschutz sunreiui ut?r uez-enieiii iui Umweltplanung und Koordinierung im Bonner Innenministerium, über Bildungsreform Carl von Weizsäcker, über Mitbestimmung im Betrieb der uralte Trouble Maker Nell-Breu-ning SJ. Und keines der sonstigen brennenden Probleme bleibt uner-örtert: Gesundheitspolitik, Marktwirtschaft im Umbruch der Gesellschaft, Urbanismus, Verkehr, Verteidigung und Rüstung, Rechtsreform, Dienstleistungen in einer Gesellschaft, die ohne Dienstleistungen der Fremdarbeiter nicht auskommt usw. Natürlich soll auch die „Zukunft in den Griff bekommen werden“. In einer Zeit, in der viele politische Profis an Grundsatz-, Aktions- und Parteiprogrammen basteln, bringt dieser Band kurzgefaßt Ordnung in die Problemfülle, analytische Hinweise und Skizzen für Lösungsmodelle.
Das Resümee des Herausgebers: Mängel lassen sich durch überlegtes Handeln beseitigen, wäre um 1960 eine brauchbare Methode auf Grund einer Frühdiagnose des Industriesystems gewesen. Jetzt kommt dieses restaurative Bemühen spät, vielleicht zu spät. Diese Befürchtung wird bestätigt, wenn man einen Blick auf die „sachbezogenen“ Schlußworte der Sprecher aller drei im Bonner Bundestag vertretenen Parteien wirft. Gebe Gott, daß “es nur Produkte ihrer „persönlichen Referenten“ sind. Rainer Barzel (CDU) zieht sich nach dem Auftakt: Reformen tun not, auf die salvatorische Klausel der verschiedenenorts aus der Macht gedrängten „Christdemokraten“ zurück, wonach die Mittel einer Opposition eben beschränkt sind. Herbert Wehner (SPD) mutet nach einem Vierteljahrhundert CDU-Staat der „Konservativen“ nicht mehr zu, als den Dingen ihren Lauf zu lassen, hinter den Ereignissen herzufahren und wie ein Mistbauer Müll einzusammeln, Blessierte des Geschehens zu verarzten, sofeme sie noch am Leben sind. Hier ist sie: die stammelnde Rechtfertigung des in Deutschland und überall in der freien Welt mit an der Macht beteiligten Sozialismus; der in einer Zeit, von der man sagt, der Fortschritt habe in einem Jahrzehnt mehr vollbracht als vorher in Jahrhunderten und Jahrtausenden, die sichtbare Insuffizienz des Spätmarxismus mit der Präsenz des „Gewesenen“ zu erklären versucht. Daß Wehner seine Kritik am CDU-Staat mit einer Kritik an dem übertitelt, was er konservativ nennt, wird jene „Christdemokraten“ von heute freuen, die bei ähnlich naiven Vorstellungen vom konservativen Prinzip angelangt sind; wenn sie vor Linksüberholmanövern warnen oder Positionen der Reaktion verteidigen.
„DAMIT WIR MORGEN LEBEN KÖNNEN.“ Von Hans Dieter Klo s s. Innere Reformen — politische Antworten auf Mängel im Industriestaat, DVA, Stuttgart 1972, 159 Seiten.
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