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„Reformerl“ ohne Risiko

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Mit Hurra wurde ein Persönlichkeitswahlrecht angekündigt. Der Elan ist dahin. Nach einem Verhandlungsjahr droht ein Alibi-„Reformerl“. Ein Rückschritt sogar.

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Mit Hurra wurde ein Persönlichkeitswahlrecht angekündigt. Der Elan ist dahin. Nach einem Verhandlungsjahr droht ein Alibi-„Reformerl“. Ein Rückschritt sogar.

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Jawohl, ich erhebe den Vorwurf: Die Große Koalition ist drauf und dran, die Chance für eine anspruchsvolle Demokratiereform ungenutzt vorbeigehen zu lassen. Dabei hat man sich im Arbeitsübereinkommen von ÖVP und SPÖ einiges vorgenommen: Persönlichkeitswahlrecht, direkte Demokratie, Parlamentsre-

form, Ausbau des Föderalismus, Liberalisierung des Rundfunks, Reform des Petitionsrechtes...

In ein paar Bereichen wird auch ganz gute Vorarbeit geleistet. Beim Herzstück allerdings, der Wahlrechtsreform, ist man zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorerst einmal gescheitert. Der Ambition ist auf dem Weg durch die Parteisekretariate die Luft ausgegangen. Der Koalitionsauftrag war

noch mutig und klar formuliert: „Die nächste Nationalratswahl soll auf Grund eines reformierten Wahlrechtes stattfinden, dessen Ziel es ist, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältniswahl in kleineren Wahlbezirken den Kontakt zwischen Mandataren und Bevölkerung zu intensivieren und dem Wähler eine stärkere Mitwirkung bei der Bestimmung seines Mandatars einzuräumen.“

Dieses Ziel soll erreicht werden durch die „Schaffung von rund 100 in ihrer Größe vergleichbaren Wahlbezirken“, in denen Mandatare direkt, also persönlich, gewählt werden. Gleichzeitig dokumentieren SPÖ und ÖVP eine „gemeinsame Präferenz für die Trennung zwischen Direkt- und Parteistimme.“

Fast ein Jahr lang hat man mittlerweile beraten. Zuerst fiel das sogenannte „Stimmensplitting“, also die Möglichkeit, zwischen Personen und Parteien durch zwei Stimmen zu unterscheiden. Dann schrumpfte von Verhandlungsrunde zu Verhandlungsrunde die Zahl der sogenannten „Ei-

nerwahlkreise“. Und heute ist man bei einem „Reformerl“ angelangt, das heißt: Zurück in die sechziger und siebziger Jahre. 25 Wahlkreise, wie gehabt, und ein bisserl „reihen und streichen“, auch wie gehabt.

Von mutiger Reform ist nichts mehr (derzeit) übrig geblieben. Die Verhandler wurden auf beiden Seiten zurückgepfiffen, denn die Parteisekretariate in Stadt und Land wollen keine Änderung — vor allem keine, die ein Risiko enthält und die alten eingefahrenen Bahnen der Machtausübung verläßt. Daher lieber Rückschritt als Fortschritt.

Das ist durchaus verständlich und ist den Sekretariaten, den Sekretären und den Obmännern gar nicht vorzuwerfen. Sie sind gefragt worden und haben ihre Meinung aus ihrer Sicht gesagt.

Hätte die Parteiführung eine echte Demokratie- und Wahlrechtsreform gewollt, dann hätten sie für das Projekt werben und die Basis überzeugen müssen.

Die Parteifunktionäre müssen die nächste Wahl sehen und haben ganz andere Sorgen als die Veränderung der demokratischen Spielregeln. Die Große Koalition hat aber die vielleicht einmalige Gelegenheit, gemeinsam einen mutigen Schritt in die Zukunft zu tun und der Basis die Angst zu

nehmen. Was heißt das?

Ein dramatisch und grundsätzlich neues Wahlsystem funktioniert wahrscheinlich erst beim zweiten Mal, so wie es sich Bürger und Schöpfer vorstellen. Wenn ÖVP und SPÖ übereinkommen, sich bei der ersten Anwendung ihres Wahlrechts nicht austricksen zu wollen und das zu tun, was die Vernunft ohnehin gebietet, nämlich die Koalition fortzusetzen, dann könnte auch der Basis die berechtigte Furcht vor der Neuerung genommen werden.

ÖVP und SPÖ mit ihren mehr als 85 Prozent Wählerstimmen sind halt zu mehr berufen, als nur ihre Sache ganz gut zu machen. Und die ÖVP hat ja seinerzeit den Mund ganz schön voll genommen: Mock, Graff, Hubinek, Koren, Höchtl, König, Khol, die Landeshauptleute und so weiter. Sie alle sind für ein Persönlichkeitswahlrecht eingetreten — für eine umfassende Reform.

Heute sind ganz wenige übrig geblieben: Der Kanzleramtsminister Heinrich Neisser, Heribert Steinbauer, Wolfgang Schüssel,

Erhard Busek, Manfried Welan und noch ein paar verstreute Kämpfer. Die Chance, daß sie sich, wir uns — weil ich mich da durchaus dazuzähle —, doch noch durchsetzen, ist sehr gering.

Scherzhaft gemeint, aber peinlich berührend, hat dieser Tage einer gesagt: „Den Parteien ist die Wahlbeteiligung eigentlich ganz Wurst, solange die Prozente stimmen.“ Da ist sicher einiges dran. Oberflächlich und vordergründig beleuchtet werden die 183 Nationalratsmandate auf jeden Fall ermittelt, gleichgültig, ob eine halbe Million Wähler mehr oder weniger zur Urne gehen.

Der Schock der geringen Wahlbeteiligung hält daher auch nie sehr lange an. Kurzfristig wird von demokratiepolitischer Bedenklichkeit oder von Parteiver-drossenheit gesprochen und davon, daß etwas geschehen sollte oder sogar müßte. Im Sitzungssaal der Parlamente sind aber dann doch wieder alle Plätze besetzt - und allmählich werden die guten Vorsätze vergessen — wie das Beispiel Wahlrecht zeigt.

Nur: Es wäre dem Wähler gegenüber sehr anständig, würden die Koalitionspartner ihr Scheitern eingestehen und nicht hinter einer Alibiaktion verbergen. Der Bürger durchschaut's ohnehin.

Der Autor ist Abgeordneter zum Nationalrat und Demokratiesprecher der OVP.

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