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Regeln aus der Urzeit

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Das neue Buch des österreichischen Verhaltensforschers Irenaus Eibl-Eibesfeldt handelt von den stammesgeschichtlichen Programmierungen und Handikaps des Menschen.

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Das neue Buch des österreichischen Verhaltensforschers Irenaus Eibl-Eibesfeldt handelt von den stammesgeschichtlichen Programmierungen und Handikaps des Menschen.

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Hie die einen, die angeborene Verstehens- und Verhaltensmuster des Menschen für den Zustand seiner Welt hauptverantwortlich machen

Dort die anderen, die alles Gesellschaftliche am liebsten unter völliger Außerachtlassung stammesgeschichtlicher Faktoren deuten und disponieren möchten...

Auf die einen stützt sich mancher, der sich gegen notwendige Veränderungen sperrt. Den anderen macht die negierte Natur des Menschen einen Strich durch ihre Rechnungen zur Verbesserung der Welt.

Das neue Buch von Irenaus Eibl-Eibesfeldt („Der Mensch, das riskierte Wesen — Zur Naturgeschichte menschlicher Unvernunft“, Verlag Piper) hilft, den Graben zu überbrücken.

Er wettert nicht wie Konrad Lorenz gegen die „intraspezifische Selektion“ (Auslese nach Kriterien, die vom Menschen selbst geschaffen wurden, auf Kosten der Anpassung an die Umwelt) und hält dem Zivilisationsmenschen auch nicht des Meisters Lehrstück von der Eleganz der Wild- und der Plumpheit der Hausgans vor. Er ersetzt aber auch nicht die Warnung vor dem Untergang durch den ungezähmten Aggressionstrieb durch das von Rupert Riedl mit Vorliebe beschworene Schreckgespenst: Zivilisationszusammenbruch aufgrund der Uberforderung des von der Evolution auf die Erfassung linearer Kausalitäten getrimmten Denkvermögens des Menschen durch die von ihm geschaffene hochvernetzte Wirklichkeit.

Dafür liefert er Material über die Allgegenwart genetischer Programmierungen im menschlichen Verhalten. Im Ritual der Ya-nomami-Indianer beim festlichen

Besuch in einem Nachbardorf ist zum Beispiel dieselbe „Kombination von aggressiver Selbstdarstellung und freundlich bindenden Appellen“ zu beobachten wie bei jedem besseren Staatsbesuch. Der Anführer betritt das fremde Territorium im Tanzschritt, mit dem Speer drohend, gefolgt von einem grüne Wedel schwenkenden Kind. Der Staatsbesuch wird mit Militärformation und Umarmung begrüßt.

Auch die bei Kindern aller Völker allgegenwärtige „aggressive Exploitation“ (ein anderes Kind stupsen, den Vater hauen, um draufzukommen, was toleriert wird) liegt politischen Verhaltensweisen, dem mehr oder weniger gewaltsamen „Abtasten“ des anderen, zugrunde. Mancher Krieg, zuletzt vermutlich der Falklandkrieg, entstand durch Fehlinterpretation der Antwortsignale. Die Argentinier hatten zweimal auf den Busch geklopft und konnten die Verschrottung der letzten zum Schutz der Insel bestimmten britischen Fregatte schwerlich anders denn als Einladung deuten, sie sich anzueignen.

Der Zwang, ihre Positionen besser zu untermauern und im Hinblick auf die Gegenargumente zu modifizieren, wurde für die Lorenz-Schüler sehr produktiv. Der auf ihre Gedanken einwirkende Selektionsdruck ließ sie die mitunter etwas grobschlächtigen Aussagen des Ubervaters über den Menschen zu einer bunten Schar immer besser an die außersubjektive Wirklichkeit angepaßter wissenschaftlicher Galapa-gos-Finken weiterentwickeln.

Eibl-Eibesfeldt ist ein wacher

Beobachter, aber mitunter erstaunlich schwacher Interpret politischer Vorgänge. Messerscharf erkennt er, wo unsere politischen Systeme der genetischen Ausstattung des Menschen nicht gerecht werden, aber für erfolgreiche Problembewältigung hat er keinen so guten Blick.

Er registriert den Mangel an persönlicher Vertrautheit zwischen „Mr. Miller“ und „seinem Präsidenten“. Erstaunlich, daß jemand, der die Welt so intensiv bereist hat, zum Schluß kommt, da die Präsidentschaftskandidaten wie Coca-Cola angepriesen und verkauft würden, wisse Mr. Miller über sie „doch nur das, was ihm die Werbung einredete“. Offenbar fehlt ihm das Sensorium für die, um in seiner Diktion zu bleiben, durch das Exzessiv-Or-gan des Fernsehens hergestellte Ersatz-Intimität, für eine politische Landschaft, in der die Medien die Jagd nach den Schwächen jedes Kandidaten so unbarmherzig und meistens erfolgreich betreiben wie in den USA.

Das ist besonders betrüblich, wenn ein Forscher, der humanistische Standpunkte so glaubwürdig vertritt wie er, sich die Gelegenheit entgehen läßt, die „Anpassungsleistung“ politischer Systeme ihrem Erfolg entsprechend zu würdigen. Auf der einen Seite beklagt er die Anfälligkeit des Menschen für gefährliche Charis-matiker und erwähnt mehrmals, daß das „Rangstreben keine Begrenzung kennt“, malt das „Machtpotential, das die anonyme Großgesellschaft einem ehrgeizigen Politiker anbietet“ und „was passieren würde, wenn ein Wahnsinniger in einem über Atomwaffen verfügenden Land die Macht erränge“ drohend an die Wand. Auf der anderen Seite mokiert er sich über die Durchschnittlichkeit demokratischer Politiker.

Warum fällt es den von Konrad Lorenz geprägten Verhaltensforschern so schwer, die Demokratie als das System zu würdigen, welches bei der Lösung des Problems, Macht zu begrenzen und Kriege zu vermeiden, zumindest überzeugende Anfangserfolge erzielen konnte? Warum sehen sie nicht, neben der darin liegenden Gefahr, daß Problemlösungen verschleppt werden, auch das Positive in einem „durchschnittliche“, nicht-charismatische Typen favorisierenden Wählerverhalten? Kann man dies nicht, so es sich überhaupt nachweisen läßt, als Risken minimierendes Produkt kultureller Evolution sehen?

Konrad Lorenz mag schon die eine oder andere Denkweise des Herrenmenschen „herübergerettet“ haben in die von ihm geprägte Verhaltenswissenschaft, wo sie nun, den Forschern unbewußt, weiterwest. Der Terminus

„Wirtsvolk“ war für mich in diesem Sinn immer schon ein semantisches Leitfossil, ich fand ihn im „Riskierten Wesen“ zweimal. Doch solche Fehlleistungen dürfen für die Bewertung des Buches nicht ausschlaggebend sein. Einiges, was Eibl-Eibesfeldt schreibt, ist äußerst unbequem.

Er nennt sechs „anthropologische Konstanten“, die, und für diese Feststellung muß man dem Verhaltensforscher dankbar sein, „zwar erzieherisch unterdrückt oder anders sublimiert werden können, die sich aber manifestieren, wenn nicht dagegen erzogen wird“, und zwar: Rangstreben, Familialität, Bereitschaft zum Gefolgsgehorsam, Neigung zur Bildung geschlossener Gruppen, Gruppenintoleranz, Territorialität.

Und er warnt, dies ist die harte Nuß zwischen den beiden roten Leinendeckeln, vor der kontraproduktiven Humanität einer allzu großzügigen Einwanderungspolitik. Im Jahr 2.000 werde Westdeutschland bereits sieben Millionen nur zum kleinsten Teil as-similierungswillige türkische Einwohner haben, und einen entsprechenden Prozentsatz anderer Einwanderer aus fast allen Kontinenten. Der Verhaltensforscher könne nur auf die Brisanz solcher Konflikte in aller Welt hinweisen — und davor warnen, das Konfliktpotential ohne zwingende Gründe zu vergrößern. Einfach ignorieren darf man diese Warnung nicht.

DER MENSCH - DAS RISKIERTE WESEN. Zur Naturgeschichte der menschlichen Unvernunft. Von Irenaus Eibl-Eibesfeldt Piper Verlag, München 1988. 278 Seiten, Abbildungen, Ln., öS 310,40.

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