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„Regierungsbeschimpfung“

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Sicherlich ist die politische Szenerie der westlichen Welt in den letzten Jahren durch eine bis vor kurzem unvorstellbare und unbegreifliche Verrohung gekennzeichnet. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten gab auch Österreich die Chance, zu beweisen, daß es hier genügend Kräfte gibt, die bereit sind, sich ins „Stahlbad“ dieses neuen politischen Stils zu werfen. Diese Gewaltsamkeit beschränkt sich freilich nicht auf Straße und Hörsaal; um überhaupt -zu gedeihen, bedarf sie einer breiten geistigen Basis, die sie von manchen „Wissenschaftlern“ über den Bereich der Kunst bis zur Journalistik erhält.

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Sicherlich ist die politische Szenerie der westlichen Welt in den letzten Jahren durch eine bis vor kurzem unvorstellbare und unbegreifliche Verrohung gekennzeichnet. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten gab auch Österreich die Chance, zu beweisen, daß es hier genügend Kräfte gibt, die bereit sind, sich ins „Stahlbad“ dieses neuen politischen Stils zu werfen. Diese Gewaltsamkeit beschränkt sich freilich nicht auf Straße und Hörsaal; um überhaupt -zu gedeihen, bedarf sie einer breiten geistigen Basis, die sie von manchen „Wissenschaftlern“ über den Bereich der Kunst bis zur Journalistik erhält.

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Gerade das scheint im Artikel Herbert Eisenreichs „Das Kaninchen und die Blindschleiche“ in „Furche“ Nr. 20, vom 13. Mai 1972, geschehen zu sein. Darin hat sich der Autor auf eine Weise mit der gegenwärtigen Bundesregierung auseinandergesetzt, die ihr Pendant auf der Straße im Schlagstock findet.

Man mißverstehe mich nicht: hier geht es nicht darum, daß die Regierung kritisiert wird, auch nicht um die Schärfe der Kritik, sondern um den demokratischen Stil, der sich im Verhältnis zwischen Kritik und deren Begründung niederschlägt.

Hätte Eisenreich die Bundesregierung beiläufig kritisiert, dann wäre es vielleicht hingegangen, recht allgemein über ihre Fehler zu schreiben, aber der Autor ging in seinem Anspruch viel weiter. Er deklarierte das Kabinett Kreisky als die „mit Abstand schlechteste Regierung ..., die die Zweite Republik je hatte'“! Warum dies so sei, erläuterte Eisenreich in ganzen zwei Absätzen. Wer jedoch eine Institution des Staates derartig scharf rügt, ist gehalten, seine Rüge sachlich und präzise zu begründen.

Neben solchen sozusagen „formalen“ Voraussetzungen einer Regierungskritik gibt es auch inhaltliche. Eine neue Regierung beginnt ihre Tätigkeit nicht auf einer grünen Wiese, sondern in jenen Gebäuden, die bereits seit geraumer Zeit stehen und auch aus Gründen der gesellschaftlichen Kontinuität stehen bleiben müssen. Sie kann nur darangehen, diese neu einzurichten oder umzubauen, ist jedenfalls aber an das Vorgefundene gebunden. Man muß eine gewisse Mindestzeit vorgeben, bis die Gestaltungsfähigkeit der neuen Regierung sichtbar wird.

Konkret heißt das: selbst wenn ganz präzise ausgearbeitete Programme existieren, bedarf es geraumer Zeit, sie zu realisieren. Als Beispiel gelte die Gewerbeordnung. Über deren Inhalt hatte der Handelsminister sehr genaue Vorstellungen. Er schuf auch sofort die notwendigen administrativen Voraussetzungen durch Berufung eines anerkannten Fachmannes in das Ministerium, doch muß man nicht nur die bisher geleisteten Arbeiten berücksichtigen, sondern es bedarf auch laufender und intensiver Diskussionen mit den Interessenvertretungen, soll ein allgemein akzeptiertes Ge-setzwexk entstehen. Dasselbe gilt für die Strafrechtsreform, welche der Justizminister mit seinem Amtsantritt vorantrieb. Beides sind immerhin Vorhaben, die bereits mehr als hundert Jahre alte Gesetze ablösen sollen. Wieweit sie übrigens nur „Retuschen“ sind, müßte Eisenreich ebenfalls wohl begründen.

Ebenso bedürften sehr viele andere Feststellungen Eisenreichs einer präzisen Erläuterung. Beispielsweise: „Die für die Wirtschaft verantwortlichen Ministerien haben eine unnötige Inflation mitverursacht und wollen dagegen ankämpfen mit Methoden, die aus der Mottenkiste der Nationalökonomie stammen.“

Abgesehen davon, daß man den Verdacht nicht unterdrücken kann, Eisenreich habe zeit seines Lebens in überhaupt keinen nationalökonomischen Behälter geblickt, sei er eine Mottenkiste oder ein Behälter sonstiger Art, müßte er wohl, um die extreme Unfähigkeit der Regierung zu demonstrieren, klarmachen, wieso die Inflation „unnötig“ ist und warum sie gerade in Österreich schwächer sein sollte als in allen übrigen westlichen Industriestaaten. Man kann schließlich nicht an der recht interessanten Tatsache vorbeigehen, daß Österreich im abgelaufenen Jahr eben die vergleichsweise niedrigste Inflationsrate auswies, obwohl das reale Wirtschaftswachstum jenes aller übrigen Industriestaaten erheblich übertraf. Solches hätte nämlich sogar eine etwas höhere Inflationsrate verständlich gemacht.

Wie überhaupt der Leser im ganzen Artikel Aussagen über die Wirtschaftsentwicklung vermißt, die jedoch ebenfalls eine gewisse Beachtung verdient. Hier wäre etwa zu erfahren gewesen, daß das österreichische Bruttonatio-nalprodukt 1970 real um 7,8% gewachsen ist, 1971 um 5,2% und 1972 abermals eine Steigerung von mindestens 4% zu erwarten ist, und daß damit Österreich an das Einkommensniveau der entwickelten europäischen Industriestaaten heranrückt. Dafür mag eine Reihe günstiger Umstände maßgebend gewesen sein, ebenso wie die überlegte Einkommenspolitik der Sozialpartner, aber nach Meinung der Fachleute war die Wirtschaftspolitik an diesem seit langem stärksten Aufschwung, der sich überdies — in internationaler Sicht — bei relativ stabilen Preisen vollzog, nicht unbeteiligt gewesen. (Siehe G. Tichy, Die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums im Aufschwung 1967 bis 1971, Monatsberichte des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Nr. 4/72, S. 157.) Alles das läßt sich vielleicht bestreiten, doch kann man die Unfähigkeit einer Regierung nicht dadurch dokumentieren — wenn man den demokratischen Stil wahren will —, daß man für sie positive Tatsachen einfach verschweigt.

Schließlich lassen sich die umfangreichen Steuerreformen der Bundesregierung nicht einfach damit vom Tisch fegen, daß man feststellt: „Wenn zum Beispiel der Finanzminister unter dem Titel einer Steuerreform nur neuen Wirrwarr und neue Ungerechtigkeiten stiftet, muß die Opposition ein reelles Reformkonzept präsentieren und so lange und intensiv zur Sprache bringen, bis die Regierung es akzeptiert — oder bis das Wählervolk diese Regierung nicht mehr akzeptiert.“ Allein der Umstand, daß eine Regierung in den ersten beiden Jahren ihrer Aktivität sich in der Lage sieht, sowohl eine Einkommensteuerreform als auch eine grundlegende Umstellung des Umsatzsteuersystems vorzunehmen, bedürfte einer gewissen Würdigung. Dann jedoch müßte man sich mit dem Inhalt der geplanten Reform auseinandersetzen, wobei jedoch gerade ein Kritiker, welcher der Regierung Klaus vorzügliche Noten ausstellt, besonders behutsam vorzugehen hätte, weil bekanntlich diese gerade durch ihre Steuerreform in große Schwierigkeiten geriet. Die daraus entstandenen Budgetprobleme konnten nur durch die Einführung von Sondersteuern gelöst werden.

Damit soll nun wieder nicht die Regierung Klaus generell verurteilt werden, die sicherlich in vielen Bereichen verdienstvoll wirkte, wie überhaupt die hier vorgetragenen Gedanken nicht so sehr eine Rechtfertigung der gegenwärtigen Bundesregierung darstellen, sondern an Hand einiger konkreter Beispiele die Kriterien einer angemessenen Regierungskritik demonstrieren sollen. Eine solche Kritik ist gewiß eine mühevolle Angelegenheit, aber Politik ist mühselig — wenn sie sich im demokratischen Rahmen vollzieht.

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