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REGIME

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Die Rolle des Juniorpartners; die stärkste Partei, die zumindest in ihrem Kern und durch die Spitzenrepräsentanten christlich-demokratisch orientiert ist, ist das „Ungarische Demokratische Forum” des derzeitigen Ministerpräsidenten Jözsef Antall. Die Kleinlandwirtepartei hat sich jedoch seit über einem Jahr durch ihren neuen Parteiobmann Torgyan in eine sehr rechtspopulistische und sicher nicht mehr christlich-demokratisch zu nennende Bewegung verwandelt, obwohl im Parlament die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten dieser Partei der ursprünglichen Linie treu geblieben ist und daher aus der Partei ausgeschlossen wurde.

Besonders in der Tschechischen und Slowakischen Republik wird ein Phänomen deutlich, das unter anderem auch in Österreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg anzutreffen war; mutige, standhafte und persönlich vollkommen integre Widerstandskämpfer gegen das Regime, die große Verdienste an der Überwindung dieser Diktaturen hatten und daher sehr populär waren, versagten als aktive Politiker (siehe FURCHE-Dossier Nr. 3/1993). Um Stimmen maximieren zu können, bedarf es eines gewissen Charismas, einer massenwirksamen Ausstrahlung und Überzeugungskraft. Auch deshalb kommen dann viel zu oft ehemalige Kommunisten auf demokratischem Weg an die Schalthebeln der Macht, weil sie es besser verstehen, mit populistischen, meist auch nationalistischen Parolen die verunsicherten Massen zu gewinnen. Außerdem haben die ehemaligen Kommunisten noch bedeutende Finanzmittel aus vergangenen Tagen gerettet, die sie im politischen Wettbewerb einsetzen. Zudem haben sie in der Wirtschaft und in den Medien noch/wieder bedeutenden Einfluß.

Ein weiteres Phänomen soll noch angesprochen werden, das vor allem im Vergleich der Nachfolgestaaten beziehungsweise -regionen des ehemaligen Königreichs Ungarn mit jenen der ehemals österreichischen Reichshälfte der Doppelmonarchie deutlich wird. In Slowenien, Böhmen, Mähren, Südpolen und der Westukraine sind vom ersten Moment an fast ausschließlich Parteien (wie-der)entstanden, die zumindest nach außen hin der aktuellen Parteienlandschaft Westeuropas gleichen. In den Nachfolgestaaten und -regionen der ehemaligen ungarischen Reichshälfte (Siebenbürgen, Banat, Woj wo-dina, Kroatien, Oberungarn und Slowakei) entstanden eher nationale

Parteien und Sammelbewegungen, die ideologisch meist inhomogen konstituiert sind. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, daß gerade in diesen Ländern und Regionen mehrere Volksgruppen miteinander leben und daher der nationale Aspekt eine wesentliche Rolle spielt; ist aber vor allem darin begründet, daß die politische Identität in den letztgenannten Regionen und Ländern vorerst national definiert ist und nicht - wie in hochentwickelten Demokratien üblich - ideologisch reflektiert an Sachproblemen des Alltags orientiert ist.

Zentrales Manko vieler christlichdemokratischer Bewegungen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ist jedoch deren fehlendes ideologisches Verständnis. Die Bezeichnung „christlich-demokratisch” war vielleicht unmittelbar nach den Revolutionen ausreichend, um für Wähler attraktiv zu sein; ebenso genügte es zeitweise, eine bekannte Persönlichkeit aus der ehemaligen christlichen Dissidentenszene in führender Funktion zu haben; heute jedoch erwartet sich die Bevölkerung konkrete Antworten und

Konzepte zu den aktuellen tagespolitischen Fragen.

Und hier ist noch ein großer Nachholbedarf gegeben. Darüber hinaus ist in den Ländern, in denen Christdemokraten oder auch andere demokratische Parteien in führende Regierungsfunktionen kamen, die Enttäuschung über die sich aus dem Umstrukturierungsprozeß notwendigerweise verschlechternde soziale und ökonomische Situation sehr groß und daher eine gewisse Nostalgie gegenüber den alten Regimen zu verzeichnen (siehe Wahlergebnis in Litauen 1992).

Hier liegt vor allem die Mitverantwortung bei den westeuropäischen und amerikanischen Regierungen und Parteien. Einerseits darin, Scharlatane von seriösen Politikern und Bewegungen zu unterscheiden, andererseits den betroffenen Parteien und Bewegungen „know how” anzubieten und konkrete Hilfe zu leisten.

Die Österreichische Volkspartei und hier vorrangig deren Politische Akademie, hat bereits vor, aber besonders nach den Revolutionen 1989/90 mit Seminaren und konkreten politischen Unterstützungsaktivitäten begonnen. Gemeinsam mit den übrigen westeuropäischen christlich-demokratischen Parteien hat die ÖVP im Herbst 1991 unter anderem eine Christlich-Demokratische Akademie für Mittel-, Ost-und Südosteuropa in Budapest gegründet, die seither ein intensives Schulungsprogramm für Spitzenvertreter der neuen christlich-demokratischen Parteien und Bewegungen der ehemals kommunistischen Länder Europas durchführt und immer mehr ausbaut..

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