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Rehabilitiert Jan Hus!

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Eine dem Papst sehr nahestehende Zeitschrift fordert die Rehabilitierung von Jan Hus. Sollte es dazu kommen, wäre das ein un-überhörbares Signal an die Christen in der CSSR.

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Eine dem Papst sehr nahestehende Zeitschrift fordert die Rehabilitierung von Jan Hus. Sollte es dazu kommen, wäre das ein un-überhörbares Signal an die Christen in der CSSR.

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Auf der Titelseite der Krakauer Zeitschrift „Tygodnik Powszech-ny“ ist vor kurzem ein Artikel erschienen, der in der Forderung gipfelt: Rehabilitiert Jan Hus! Jan Hus ist der böhmische Kirchenreformer, der auf dem Konzil von Konstanz 1415 als Ketzer verbrannt wurde. Und der „Tygodnik Powszechny“ ist jene katholische Zeitschrift, die seit ihrer Gründung eng mit dem Namen Karol Wojtyla verbunden ist.

Das ist auch der Grund, warum alle, die sich für die Christen in Böhmen interessieren, in diesem Artikel eine kleine Sensation sehen müssen. Der Autor ist ein polnischer Historiker namens Stefan Swiezawski, und er verlangt von Papst Johannes Paul II. nicht mehr und nicht weniger als die Ungültigerklärung des Urteils gegen Jan Hus. Aber der Pole geht noch weiter: Die Kirche soll nicht nur, wie seinerzeit im Fall des Physikers Galileo Galilei, öffentlich bekennen, daß sie sich seinerzeit geirrt hat, sie soll auch den Magister Jan Hus in aller Form als wahrhaft christlichen Denker rehabilitieren.

. „Diese-große MärtyrergestaltS-', schreibt Stefan Swiezawski, soll von den „ungerechten Anschuldigungen“, die gegen sie erhoben wurden, freigesprochen werden. Nach Auffassung des katholischen Historikers aus Krakau war Jan Hus kein Häretiker, sondern ein treuer und frommer Mann des Glaubens, der schon im 15. Jahrhundert jene Gedanken geäußert hat, denen das Zweite Vatikanum fünfhundert Jahre später zum Durchbruch verholfen hat.

Was es hieße, wenn der Papst tatsächlich dem Rat seines Landsmannes folgen sollte, kann man gar nicht bedeutungsvoll genug einschätzen. Denn der Magister Jan Hus ist nicht nur der „böhmische Luther“. In den Augen seines Volkes ist er seit jeher mehr gewesen: der geliebte und verehrte Na-. tionalheilige, der Mann, in dem die Tschechen seit Jahrhunderten ihre Seele, ihren Stolz und ihre nationale Würde repräsentiert sehen. Sein Wahlspruch „Die Wahrheit siegt“ ist seit der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei im Jahre 1918 die Devise ihrer Präsidenten.

Als nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Pakts 1§68 der Student Jan Palach sich auf dem Prager Wenzelsplatz selbst verbrannte, da war jedem Tschechen sofort die Symbolik dieses Aktes klar: da hatte ein „zweiter Hus“ in verzweifeltem Protest stellvertretend den Flammentod gesucht. Wie einst nach dem Flammentod des angeblichen Ketzers Hus zogen auch diesmal die Prager Studenten von der Karls-Universität aus durch die Stadt, in den Händen Transparente mit der Hus-Losung „Die Wahrheit siegt“.

Wer war dieser Jan Hus? Der Magister der Prager Universität war beeinflußt durch einige Lehren des Engländers John Wyclif und entwickelte sie weiter. Er trat gegen die Prasserei und die Korruption des Klerus seiner Zeit auf; in den Gläubigen, vor allem in den Armen, sah er „Gottes

Volk“. Nicht nur die Geistlichen, sondern auch die einfachen Gläubigen sollten Gottes Wort, die Heilige Schrift, lesen dürfen, und zwar in der Sprache des armen Volkes, dem Tschechischen.

Um sich vor dem Konzil gegen den Vorwurf der Ketzerei zu rechtfertigen, wurde Jan Hus unter Zusicherung freien Geleits nach Konstanz eingeladen. Er kam, er weigerte sich, Äußerungen zurückzuziehen, die er nie getan hatte, und er wurde schließlich am 6. Juli 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Seine Richter zerrissen das Versprechen auf freies Geleit, weil man „Pakte mit Ketzern“ nicht halten müsse.

Von diesem Ereignis rührt der tiefsitzende Antiklerikalismus des tschechischen Volkes. Die Gegenreformation, von den Jesuiten und den habsburgischen Kaisern mit Energie und oft mit Brutalität durchgezogen, hat die Tschechen zwar weitgehend rekatholisiert, aber bis in die Gegenwart hinein hat die katholische Kirche in Böhmen den Ruf gehabt, einer fremden, „deutschen“, ungeliebten Macht zu dienen.

Der Geistliche Johannes von Nepomuk, von den Jesuiten als rechtgläubige Gegenfigur zu Jan Hus popularisiert, hat sich zwar einen Platz im Herzen der Tschechen errungen, aber Jan Hus hat er nicht verdrängen können.

Der Papst aus Polen muß besser als jeder andre wissen, was eine solche nationale Märtyrergestalt für ein Volk bedeutet. Jan Hus re-habüitieren — das wäre nichts Geringeres, als das tschechische Volk mit der katholischen Kirche versöhnen. Neben den Heiligen Adalbert von Böhmen, den Heiligen König Wenzel und den Heiligen Johannes von Nepomuk würde dann als vierter großer Fürbitter der Magister Jan Hus treten.

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