6996294-1987_10_12.jpg
Digital In Arbeit

Reibungen sind fällig...

Werbung
Werbung
Werbung

In der österreichischen Öffentlichkeit wird leider immer wieder ein falscher Zusammenhang zwischen den Spitzenrepräsentanten der vier Verbände und dem Schicksal des Systems hergestellt: Aus meiner langjährigen Erfahrung behaupte ich, daß nicht „starke” Persönlichkeiten die Sozialpartnerschaft bedingen und formen, sondern daß diese selbst bei normaler Arbeitsweise aus Spitzenfunktionären starke, respektierte Personen macht.

Weiters wird zuwenig beachtet, wie selten im Netz der Zusammenarbeit die Intervention der Präsidenten wirklich gefordert wird. Mit der Akzeptanz der Regeln der Zusammenarbeit durch die Mitglieder wird die Fülle der Kleinarbeit still und leise vom Mittelbau der Organisationen geleistet. Freilich löst jede personelle Änderung in einer Organisation Personaldiskussionen auch in den anderen Partnern aus—liefert sie doch einen, zum Teil von der Öffentlichkeit mitgetragenen Anlaß zur Frage, wie lange es der eine oder andere Spitzenrepräsentant noch machen werde.

In jeder Phase der Sozialpartnerschaft waren es aber letztlich vor allem die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die die Entwicklung der Zusammenarbeit entscheidend geprägt haben. Schließlich haben alle „kommenden” Männer (Frauen spielen in diesem Bereich noch keine dominante Rolle) eine jahrelange Tätigkeit im System hinter sich, weshalb zu erwarten steht, daß sie sach- und verfahrenskundig notwendige Verbesserungen beziehungsweise Neuakzentuierungen in Angriff nehmen werden.

Eine nachhaltige Veränderung des Stellenwertes der Sozialpartnerschaft könnte sich aus der neuen Regierungskonstellation ergeben. Nach über einem Jahrzehnt der sozialistischen Alleinregierungen hatten die Arbeitgeberverbände den Eindruck, der Gewerkschaftsbund sei durch sein Nahverhältnis zur Regierung ein übermächtiger Partner geworden. Während der sozialliberalen Koalition war die Abneigung gegen den kleinen Koalitionspartner ein geeignetes Mittel, die Partner wieder näher zusammenrücken zu lassen. Die große Koalition läßt jedoch sofort die Eindrücke von der Funktion der Sozialpartner in der Schlußphase der alten großen Koalition wieder wach werden: in der ersten Hälfte der siebziger Jahr spielten die Sozialpartner ständig Feuerwehr, suchten nach Lösungen, die in einer unfruchtbar gewordenen Regierung nicht mehr gefunden werden konnten. Gerade damals wurden sie als der zweite Blutkreislauf der Republik bezeichnet.

Doch die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen auch der Einfluß der Verbände in „ihren” Parteien. In der ÖVP hat der Wirtschaftsbund heute nur mehr einen Abglanz des seinerzeitigen Einflusses, spätestens seit Hainburg müßte der OGB wissen, daß er in der SPÖ wohl eine gewichtige Stimme, aber nicht mehr das Sagen hat. Der Bauernbund schließlich kann die ÖVP zu jedem seiner Programme vergattern (und tut es auch) — dennoch geht ohne die anderen Parteien und Verbände nichts.

Zur Zeit ist insbesondere auf der Expertenebene im Sozialpartnerbereich Verstimmung darüber festzustellen, daß die Koalitionsverhandlungen de facto unter Ausschluß ihrer Experten geführt wurden (was übrigens erhebliche Akzeptanzprobleme schafft).

Das Entscheidende an der neuen Konstellation ist das Arbeitsprogramm der Regierung, wie es in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben ist. Die Verwirklichung der Ziele führt in den meisten Fällen zu Konflikten mit den eigenen Mitgliedern: Keine der beiden großen Parteien kann ohne die Assistenz, ja den Hinweis auf die Probleme der anderen an der Realisierung arbeiten. Es wäre nun verfehlt anzunehmen, daß die Sozialpartner als Transmissionsriemen des Parteienwillens fungieren werden. Die schon erwähnten Widerstände lassen es eher notwendig erscheinen, die Sozialpartner insgesamt von der Zweckmäßigkeit des vereinbarten Programms zu überzeugen. Die Sozialpartner sind in einer Reihe heikler Fragen zur Mitwirkung geradezu aufgefordert: das Koalitionsabkommen nennt insbesondere die Fragen Arbeitszeit, Ladenöffnung und Einkommenspolitik. Ich gehe davon aus, daß der Reformwille der großen Parteien mit jedem Lobby wider stand und den irgendwann kommenden wichtigeren Regionalwahlen geringer werden wird, so daß es wahrscheinlich die Sozialpartner und die sogenannte Öffentlichkeit sein werden, welche die Regierenden nachhaltig an ihre vielversprechenden Vorhaben erinnern.

Inwieweit die zwei kleinen politischen Parteien mit ihren Sozialpartnerattacken ein Heranrücken der großen Verbände an die Regierung beziehungsweise ein engeres Zusammenarbeiten fördern, bleibt noch abzuwarten. Der ständig ausgeübte publizistische Druck wird allerdings in den von den Sozialpartnern verwalteten Wirtschafts- und Sozialbereichen neue Sensibilitäten fördern und auch wirksam werden lassen.

Die wirtschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre werden die Verbände hart treffen und fordern. Das Scheitern der in den siebziger Jahren entwickelten und bis zum Rekorddefizit geprobten Strategien ist evident, neue Problemlösungen müssen — unter Nutzung der ausländischen Erfahrungen — angewendet werden.

Wenn man ein nüchternes Bild über den heutigen Zustand der Kooperation zeichnen möchte, so steht fest, daß sich die Schwerpunkte der Zusammenarbeit in den letzten Jahren drastisch verschoben haben. Dies läßt sich gerade am Beispiel der Paritätischen Kommission deutlich zeigen (siehe Graphik). Das Instrument der wirtschaftspolitischen Aussprache ist einfach in Vergessenheit geraten, Zweck der Aussprache, zu der außer den traditionellen Mitgliedern der Paritätischen Kommission auch der Finanzminister, die Notenbank, das Wirtschaftsforschungsinstitut und die Industriellenvereinigung eingeladen werden, war ursprünglich, Grundfragen der wirtschaftlichen Lage und der Wirtschaftspolitik gemeinsam „ausführlich” zu erörtern.

Schon unter Kreisky/Androsch wurde diese Einrichtung zu einer bloßen Pflichtübung, bei der die Teilnehmer referiert erhielten,was spätestens am Tage zuvor schon jedem Journalisten als Beschluß und Strategie erklärt worden war. In der Ära Sinowatz/ Steger geriet die Einrichtung faktisch in Vergessenheit.

Die Paritätische Kommission selbst, deren Hauptaufgabe es ist, im Preis- und Lohnunterausschuß steckengebliebene Verfahren zu entscheiden oder flott zu machen, wurde 1986 wiederholt mangels Tagesordnungspunkten abgesagt oder entwickelte sich zum Minutenritual, in dem vornehmlich über erledigte Lohnaufträge berichtet wurde.

Der Preisunterausschuß hat mit der sinkenden Inflation und dem intensiver gewordenen Wettbewerb viel von seiner Funktion und Arbeit verloren. Die Zahl der Anträge verringert sich wesentlich, die jahrelangen gemeinsamen Erfahrungen zeigen die Grenzen der kooperativen Preisintervention immer deutlicher. Nicht zuletzt deshalb steigt die Zahl der Fälle von Produkten und Leistungen, bei denen der Ausschuß auf die Behandlung von Preisen verzichtet und diese — zumeist gegen Berichtspflicht und/oder befristet — freigibt.

Im Lohnunterausschuß sind die Verhandlungen kantiger geworden. Der ständige Außendruck der Hartwährungspolitik im exponierten Sektor, die strukturellen, ja existenziellen Schwierigkeiten namhafter Großbetriebe und der von der Praxis kommende Flexibilisierungsdruck lassen die die Kollektivverträge aushandelnden Verbände und Fachgewerkschaften immer deutlicher die Grenzen ihrer Spielräume erkennen.

Erstaunlich hat sich in den letz-, ten Jahren der dritte Unterausschuß der Paritätischen Kommission entwickelt: der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen hat eine sehr fruchtbare Entwicklungsphase hinter sich. Seit den vergeblichen Versuchen, ihn in der energiepolitischen Diskussion als Hebel einzusetzen, wurden einige beachtliche Studien verabschiedet:

Arbeitszeitentwicklung und Arbeitszeitpolitik (1984), Regionale Strukturpolitik (1984), Landwirtschaftliche Produktionsalternativen (1985), Schattenwirtschaft (1985), Umweltpolitik

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung