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REIF FÜR EUROPA?

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Österreichs Bildungswesen ist sicher europareif; in vielen Bereichen stehen wir besser da als nicht wenige EG-Staaten. Es ist aber auch reparaturbedürftig.

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Österreichs Bildungswesen ist sicher europareif; in vielen Bereichen stehen wir besser da als nicht wenige EG-Staaten. Es ist aber auch reparaturbedürftig.

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Zum Beginn einige Klarstellungen:

□ Europareife kann nicht bedeuten, daß wir uns in Bildungsstruktur oder auch -angebot an andere Länder anlehnen. Bildung und Ausbildung bleibt Aufgabe der Nationalstaaten -gerade nach Maastricht.

□ Europareif könnte bedeuten, daß wir unsere Jugend so ausbilden, daß sie im Europa von morgen wettbewerbsfähig ist. (Frage nach der Qualität im internationalen Vergleich.)

□ Manchmal wird die Diskussion aber auch rein formell geführt. Ob wir bestimmte Qualifikationen vermitteln, die es anderswo gibt und die (angeblich) europäischer Standard sind.

Österreichs Bildungssystem hat Stärken: Es ist bedeutend wirtschaftsnäher als jenes vieler anderer europäischer Staaten: zum Beispiel wegen der berufsbildenden Schulen und der Lehre. Die Wirtschaft kümmert sich stark um das Schulwesen (auch um die allgemeinbildenden Schulen) und um die Lehrerbildung. Das hohe Bildungsengagement der Betriebe beschränkt sich nicht nur auf die Lehrlingsausbildung, sondern reicht auch in den Sektor der Weiterbildung.

Österreichs Bildungssystem ist sehr differenziert und unübersichtlich. Es verlangt daher sehr viel Informationsarbeit, um bei einem reichen Angebot die richtige Wahl zu treffen. Entgegen landläufigen Vorstellungen sehe ich das allerdings als Vorteil. Denn ebenso wie in einem Supermarkt eine große Produktvielfalt für den Konsumenten eher Vorteil als Nachteil ist, gilt das auch im Bildungswesen.

Auch die zum Teil hohe Spezialisierung von Schulabschlüssen ist -betrachtet man die Möglichkeit des Übertritts ins Arbeitsleben - eher ein Vorteil als ein Nachteil. Alle jene Länder, die sehr global und generell qualifizieren, bescheren ihren Absolventen größte Schwierigkeiten beim Eintritt in den Beruf. Hohe Jugendarbeitslosenraten sind die Folge solcher „Grund- oder Flächenausbildungen". Natürlich soll Spezialisierung auch nicht übertrieben werden! Österreich ist aber mit einem in Maßen spezialisierten Bildungswesen bisher besser als viele Nachbarn gefahren.

Zu den Schwächen des österreichischen Bildungswesens zählt die Tendenz, Leistungsanforderungen immer weiter herabzuschrauben, um einem vermeintlichen Gleichheitsprinzip Rechnung zu tragen. Chancengleichheit für Gleichbegabte, Befähigte und Leistungswillige - das ist Chancengleichheit in einer sozialen Marktwirtschaft ! Aber nicht egalisieren nach unten! Schon in der Volksschule ist mehr Leistung - kind- und altersgerecht - zu verlangen. Die Kulturtechniken müssen dort grundgelegt und auch eingeübt werden.

Der permanenten Aushöhlung der Hauptschule als Regelschule für die Zehn- bis 14jährigen muß durch At-traktivierung dieses Schultyps - vergleiche beispielsweise die Ideen zur Schaffung einer fünfjährigen Real-schule-entgegengetreten werden. Der Polytechnische Lehrgang, sei es als Teil einer fünfj ährigen Schulform oder auch als Einjahresschule muß aufgewertet werden und echte Berechtigungen vermitteln. Derzeit paßt er nicht in das Bildungssystem und ist für alle jene, die ihn absolvieren müssen, ein verlorenes Jahr.

Bildungspolitik muß wieder mehr als Lehrerstandesvertretungspolitik werden. Bildungspolitische Maßnahmen sind nicht von vornherein negativ, wenn sie auch zu Einsparungen führen. Derzeit hat man den Eindruck, daß nur bildungspolitische Maßnahmen, die mehr Geld kosten als bisher, auch positiv gesehen werden.

Österreich hat im Universitätssektor höchste Drop-out-Quoten - es hat aber auch weder Numerus clausus noch Studieneingangsprüfungen noch Studiengebühren. Ein Großteil der Drop-outs erklärt sich damit, daß diese Personen kein „Drop-in" durchgeführt haben. Was nichts kostet, probiert man - das ist in vielen Bereichen die Erklärung des österreichischen Drop-out-Problems an den Universitäten.

Die Mode, Schulbildung über praktische Ausbildung in Betrieben (Lehrausbildung) zu stellen, führt auch zu falscher Bildungswahl vieler Jugendlicher! Diese Jugendlichen absolvieren dann gewählte berufsbildende Schulen nicht und stehen am Arbeitsmarkt auf einmal ohne entsprechende Berufsqualifikationen da.

Viel ist vom „Europaingenieur" die Rede, den es in der EG aber nicht gibt (dieser Titel wird von einem privaten Verein im wesentlichen an Hochschulingenieure vergeben). Wahr ist aber, daß unsere HTL-Absolventen mit dreijähriger Ingenieurpraxis in vielem das Niveau erreichen, das deutsche Fachhochschul-Absolventen haben. Heimische Ingenieure müssen bezüglich Niederlassungschancen in der EG deutschen Fachhochschul-Absolventen gleichgestellt werden - das wird auch in den Verhandlungen Österreichs mit der EG zur Implementierung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) angestrebt.

Die Fachhochschulen s,ind nicht wegen EG-Richtlinien notwendig, sondern weil sie eine Ergänzung des österreichischen Bildungssystems in Richtung einer Alternative zum Universitätsstudium bringen sollen. Sie sollen bedarfsgerecht aufgebaut werden. Derzeit scheinen aber wieder die „Regionalpolitiker" das Reden zu haben, die schon in den siebziger Jahren nach dem Motto „Jedem Bezirk eine AHS" viel bildungspolitischen Unsinn realisierten. Es ist zu hoffen, daß die vom Bund mittlerweile verlangten Mitfinanzierungen von Ländern und Gemeinden (oder auch Wirtschaftsbereichen) hier einen effizienten marktwirtschaftlichen Korrekturmechanismus entwickeln.

Österreichs Bildungswesen ist sicher europareif, aber auch reparaturbedürftig, haben wir doch Bildungsmoden der siebziger Jahre mit einer totalen Überschätzung theoretischer Bildungswege mitgemacht und werden solche Ideologien nach wie vor von nicht wenigen Bildungs- oder besser gesagt Schulpolitikern vertreten.

Wenn Österreich bezüglich Akademikerquoten eher am Ende offizieller Statistiken zu finden ist, so zeigt das nicht Schwächen des österreichischen Bildungssystems, sondern der Bildungsstatistik! Nicht nur das Fehlen eines Fachhochschulsektors, sondern auch das Bestehen der berufsbildenden höheren .Schulen, die statistisch nicht zum Hochschulsektor gehören, erklärten vieles. Nicht wenige Länder mit hohen Akademikerquoten haben Kurzstudien, Österreich verfügt über universitäre Langstudien!

Und schließlich: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!" Wäre es nicht vielleicht an der Zeit, auch die Wirtschaftserfolge mit dem Bildungssystem in Korrelation zu bringen? Länder mit hohen Akademikerquoten haben oft enorme Wirtschaftsprobleme, jene mit geringen Akademikerquoten, wie etwa Österreich und die Schweiz, schlagen sich im internationalen Wettbewerb gut bis sehr gut! Sollte das nicht allen Bildungsstatistik-Fanatikern zu Denken geben?

Dr. Georg Piskaty ist Leiter der Wissenschaftlichen und Bildungspolitischen Abteilung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft.

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