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Reif werden zum Sterben

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Evelyn Waughs vor vielen Jahren geschriebene Satire „Tod in Hollywood“ und Jessica Mitfords Studie „The American Way of Death“ (deutsche Ubersetzung „Der Tod als Geschäft“, Walter-Verlag) bewiesen eindrücklich, wie sehr die amerikanische Gesellschaft den Tod aus ihrem Blickfeld und Vokabular verbannte. Auch in Europa wurde bis vor kurzem nur selten über Tod und Sterben geschrieben. Das ist in den letzten Jahren anders geworden. Der Tod als Thema ist nicht mehr tabu, über das Sterben zu schreiben beinahe Mode geworden.

Zu den menschlichsten Publikationen über Ängste und Probleme des Lebensendes gehören die „Interviews mit Sterbenden“ der Psychotherapeutin Elisabeth Kübler-Ross, einer gebürtigen Schweizerin, die seit Jahren in verschiedenen amerikanischen Kliniken arbeitet, wobei ihr besonderes Interesse den unheilbar Kranken gut.

Einmal versucht die Autorin in ihren, dem jeweiligen Fall individuell angepaßten Gesprächen, den wesentlichen Problemen des Lebensendes auf die Spur zu kommen. Vor allem aber will sie den Patienten, die ihre aussichtslose Situation kennen, helfen, sich mit ihrem Schicksal auszusöhnen, um friedlich sterben zu können. Sie wendet sich mit ihren Erfahrungen auch an die Angehörigen und das Spitalspersönal, deren Verhalten gegenüber dem Schwerkranken weitgehend bewirkt, wie er mit seinen Leiden, den physischen und psychischen, fertig zu werden, den nahen Tod anzunehmen vermag.

Die Autorin erhärtet mit ihren Beispielen, daß sich das Leiden, verglichen mit früheren Zeiten, gewandelt hat; daß Schwerkranke im Spital heute vorwiegend von Isolation und Einsamkeit getroffen sind. Das Sterben - einst in der vertrauten Umgebung zuhause, von Angehörigen getröstet - ist grausamer geworden, trotz - oder vielleicht gerade - wegen der enormen technischen Entwicklung der Medizin. Die beste Behandlung mit Medikamenten und komplizierten Apparaten kann dem Schwerkranken nicht die persönliche Zuwendung ersetzen, die in modernen Spitälern, selbst bei bestem Willen, unmöglich ist

Mit der Einlieferung in ein Krankenhaus wird der Patient zum „Gegenstand“, sagt Frau Kübler-Ross, „er hört auf, eine Person zu sein... Oft entscheidet man gegen seine Wünsche, und wenn er sich dagegen aufzulehnen versucht, verabreicht man ihm ein Beruhigungsmittel. Er mag um Ruhe, Frieden und Würde flehen - man wird ihm Infusionen, Transfusionen, die Herz-Lungen-Maschine... verordnen - was eben medizinisch notwendig erscheint. Nur um ihn als Persönlichkeit kümmert man sich nicht bei all dieser betriebsamen Routine.

Die Autorin untersucht eingehend die verschiedenen Phasen, die Todkranke zu durchlaufen pflegen: Nichtwahrhabenwollen und Isolierung, Zorn und Auflehnung, Verhandeln, Depression, und schließlich Zustimmung. Sie gibt überzeugende Beispiele für die genannten Verhaltensweisen. Beispiele auch dafür, wie in dem jeweiligen Zustand dem Patienten geholfen werden könnte. Da^ Wichtigste ist in jedem Stadium, ihn nicht allein zu lassen, ihm das Gefühl persönlicher Zuwendung zu geben. Die Autorin ist der Meinung, daß man Sterbende nicht mit falschen Hoffnungen betrügen, daß man im richtigen Augenblick mit ihnen über den Tod sprechen sollte, ihnen dann aber auch helfen muß, unbereinigte Probleme, die den Abschied schwer machen, zu lösen, damit sie in Frieden sterben können.

Auch wenn die Kranke nicht mehr ansprechbar ist, sagt'Kübler-Ross, ist für ihn die Nähe eines geliebten Menschen die beste Hilfe; dann nicht mehr ein klärendes Gespräch, sondern das einfache Bei-ihm-Sein. „Dem Patienten helfen wir nur noch mit Schweigen, den Angehörigen müssen wir zur Verfügung stehen“. Dieses Einbeziehen der Zurückbleibenden in ihrer Hilflosigkeit - wieder an konkreten Beispielen demonstriert - scheint mir sehr wichtig.

Mir hat dieses Buch wesentliche Aufschlüsse über das ganz verschiedene Verhalten zweier todkranker Freunde vermittelt Der eine findet Halt in seinem Glauben, der andere hat diese Hilfe nicht. Ich habe auch viel dazugelernt, wie man im Umgang mit Sterbenden ihnen beistehen kann. Elisabeth Kübler-Ross gibt Anregungen, mit dem Tod leben zu lernen, für die Betroffenen und diejenigen, die mit ihrem Verlust fertig werden müssen. Sie berücksichtigt dabei eigene menschliche Leistungen genauso, wie das Geschenk des Glaubens, alles Geschehen Gott anheim zu stellen, sich in seiner Hand zu wissen.

INTERVIEWS MIT STERBENDEN. Von Elisabeth Kübler-Ross. Gekürzte Taschenbuchauflage. 159 Seiten. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1977. öS 44,70 (Originalausgabe im Kreuz-Verlag, Stuttgart.)

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