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Reinhold Schneider - Schriftsteller, Schreiber, Stimme

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Die 1931 geborene Autorin Cordula Koepke konnte ihr Buch nicht aus bewußt erlebter Zeitgenossenschaft heraus schreiben; daraus ergibt sich Begrenzung. Ihre Stärke liegt im genauen Recherchieren und im Ausschöpfen unveröffentlichter Quellen, vor allem der im Reinhold-Schnei-der-Archiv der Badischen Landesbibliothek aufbewahrten Briefe. Dadurch vermag sie ihre Darstellung mit bisher unbekannten Fakten zu bereichern, wohl wissend, „daß das Letzte und vielleicht Entscheidende, was einen Menschen ausmacht, unzugänglich bleibt.” (Vorwort)

Bei der Darstellung der Biographie arbeitet Koekpe die Faktoren heraus, die Reinhold Schneiders Leben später entscheidend geprägt haben. Am 13. Mai 1903 wurde er in Baden-Baden geboren, wo seine Eltern das angesehene Hotel Messmer führten, Aufenthaltsort kaiserlicher und königlicher Hoheiten, politisch und finanziell Mächtiger. In diesem Umfeld mag das Geschichtsbewußtsein bereits im Kinde geweckt worden sein.

Dazu kam die bekenntnisverschiedene Ehe der Eltern, die Mutter war katholisch, der Vater protestantisch, die Religion wurde zum Problem, das nach Klärung verlangte. Vom Vater ererbte er die Schwermut - nach der Scheidung beging dieser im Zustand tiefer Depression Selbstmord.

Die Biographin stellt sich nicht die Frage, warum. Schneider sich 1921 nach bestandenem Abitur nicht für ein Hochschulstudium entschlossen, sondern sich sechs Monate lang -ohne Befriedigung - als Landwirtschaftseleve versucht hat. Von da an lebte er bis 1928 in Dresden, bald gemeinsam mit seinem älteren Bruder Willy in Untermiete bei Anna Maria Baumgarten. Erstmals wird vonKoep-ke die Beziehung zu dieser Frau, die mit stürmischer Verliebtheit begonnen, sich nach Jahren zwar gewandelt hat, aber das ganze Leben hindurch als Gefährtenschaft nicht abgebrochen wurde, durchleuchtet. Die mehr als doppelt so alte schöne, gebildete, temperamentvolle Frau rettet den schwerst Deprimierten, ständig an GeldnotLei-denden, aus einer seiner tiefsten Krisen, einem Selbstmordversuch; indem sie seine Liebe erwiderte, „auf eine distanzierte Weise, die ihn zu verzehren drohte und zugleich festigte.”

Zwei Frauen traten noch in sein Leben: die eine starb, die Verbindung mit der anderen wurde durch Intrigen zerstört.

Beginn des rastlosen Lebens

Von da an begann für Reinhold Schneider eine neue Lebensweise: Er wurde zum Reisenden, häufig von Anna Maria Baumgarten begleitet, die diese Reisen nicht selten finanzierte. Koepke sieht ihn als einen, der an Ort und Stelle für das Werk, an dem er gerade arbeitete, Nachforschungen anstellte und häufig dort auch lebte, wenn er schrieb. Diese Reisen führten ihn durch ganz Europa: nach Portugal, Spanien und Frankreich, nach England und Italien, in zahlreiche Städte Deutschlands - längere Aufenthalte gab es in Berlin und Freiburg - zuletzt nach Österreich. Der Ort bot die Inspiration für das ihm zugehörige Werk, erschloß historische Quellen und regte philosophische Fragestellungen an.

Schon früh, berichtet Koepke, hatte er sich mit dichterischer und philosophischer Literatur befaßt. Es ist interessant, daß auch die Biographin nicht davon weiß, daß Schneider sich auch mit theologischer Literatur auseinandergesetzt hat. Wohl ließ er sich auf Heilige ein, so etwa auf Theresia von Avila und Franz von Assisi und Ignatius von Loyola; das war für sein Werk erforderlich und hatte vermutlich auch Bedeutung für sein Leben.

Für die durch diese Reisen entstandenen Werke bietet Koepke jeweils zutreffende Interpretationen an. Insgesamt schätzt sie die Dramen höher ein als den Roman und die Erzählungen. Die Sonette und die essayistischen Schriften beurteilt sie unterschiedlich. Tagebücher und Briefwechsel haben begreiflicherweise einen hohen biographischen Informationswert.

Koepke mag nicht ganz unrecht, haben, wenn sie meint, Schneider habe den Beginn des Nationalsozialismus nicht völlig klar durchschaut; ebenso sei es ihm nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem Kommunismus ergangen. Doch bald wurde Schneiders Wirken während der NS-Zeit von größtem moralischen Gewicht: Die Autorin läßt es als den Höhepunkt in seinem Leben erkennen. Er selbst fühlte sich als „Sanitäter auf dem Verbandsplatz”, als 42 Kleinschriften in Hundertausenden von Exemplaren an der Front und in der Heimat verbreitet wurden, darunter das „Vaterunser” und das Sonett „Nur den Betern kann es noch gelingen...”

1951 brachte den „Fall Schneider”, weil er, zutiefst von der Notwendigkeit des Friedens überzeugt, antimilitaristisches Gedankengut, das er im Westen kaum mehr verbreiten konnte, in Ostdeutschland drucken ließ. Die darauf folgenden Auseinandersetzungen, die bis zur Ächtung des Schriftstellers führten, fanden durch die Verleihung des Friedenspreises für Literatur 1956 ein Ende.

Naturwissenschaftliche Spur

Zu wenig, scheint mir, geht Koepke auf Schneiders intensive Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen und technischen Fragestellungen ein, die ihn als einen sich für die Zukunft mitverantwortlich wissenden Denker ausweisen. Aber natürlich geht sie auf sein wichtigstes Werk „Winter in Wien” (1958) ein. Auch für sie ist die erschütterndste Aussage dieses Buches, er habe in Wien einen „inneren Unfall” erlebt. Unter den verschiedensten Deutungen scheint auch Koepke die von ihr zitierte von Eugen Biserdie zutreffendste zu sein: „Es ist das Dokument eines aus innerster Redlichkeit bezeugten Glaubensentzugs, der Fragmentierung eines Glaubens, der die Hoffnung verliert, ohne aufzuhören, Glaube zu sein.”

Wer - dem in Wien schon von schwerer Krankheit gezeichneten -Reinhold Schneider begegnen durfte und sich mit seinem umfangreichen und vielgestaltigen Werk auseinandergesetzt hat, dem vermittelt die vorliegende glaubwürdige Biographie eine vertiefte Erinnerung an einen außergewöhnlichen Menschen. „Schriftsteller, Schreiber, Stimme” - so bezeichnete sich Reinhold Schneider -und so ist er auch heute aktuell.

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