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Reisende - ohne Gepäck

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Wir stehen zweifelsohne am Beginn einer Phase zwischenstaatlicher Beziehungen in Europa, die in sich die Zielvorstellung eines neuen Sicherheitssystems birgt. Für unser Land ist dabei nicht nur die uns darin zugedachte künftige Rolle interessant, sondern auch der uns auf dem Weg dahin zukommende Part.. Die Sicherheit Europas muß auch in Zukunft unteilbar angelegt sein. Dennoch wird den neutralen und blockfreien Staaten in diesem System eine andere Gewichtung zukommen, als den Bündnisstaaten. Auf dem Weg zu einer Entspannung in Europa — dies mag den engagierten Verfechter der Neutralität ins Herz treffen — ist ober die Rolle der ungebundenen Staaten bereits eingeschränkt worden.

Der Neutrale kann als Kind der Konfrontation, als Demonstrationsobjekt der Unnatürlichkeit des Status quo in Europa angesehen werden. Mit dem Entschluß, eine Reduzierung des militärischen Potentials in Europa anzustreben, tritt auch die Mittlerfunktion der Bündnisfreien zurück, Sinn der Entspannung ist vordringlich ja, das Verhältnis zwischen den beiden Blöcken zu normalisieren. Der Wunsch, aktiv an den Entscheidungen dabei teilzunehmen, ist evident und verständlich. Daß hiebet früher fast missionarische Züge ins Spiel kamen, bei einem Brückenschlag über die bestehenden

Demarkationslinien hinweg zu helfen, liegt in der Natur der Bündnisfreiheit. Aber wenn sich die Neutralen — auch durch bestgemeinte Vorschläge — in die Verhandlungen eindrängen wollten, könnten sie den Fortgang der Gespräche eher hemmen, nicht erleichtern; solange die ideologischen Antagonisten miteinander reden, bedarf man neutraler „Außenseiter“ nicht.

Der Westen tritt mit dieser Ansicht wesentlich deutlicher auf als der Osten. Ist die Neutralität doch ein altes Zaubermittel der Kreml-Strategie. So wird man besonders in unseren Breiten das neuerdings von den Sowjets betonte Zugehörigkeitsgefühl zur „Alten Welt“ verstärkt registrieren. Das geopolitische Übergewicht der Supermacht Rußland in Europa ist in Österreichs Randlage besonders zu spüren; auch hat man hier weniger den Wunsch des Kreml nach einem neutralisierten Glacis vor dem Eisernen Vorhang vergessen. Dieses Ziel ist mit dem Abgang Chruschtschews von der politischen Bühne keineswegs aus dem Repertoire der Sowjetdiplomatie verschwunden. Die Vorstellung bündnisfreier Staaten in europäischer „Randlage“ (wie Österreich), ist sogar zum Synonym einer möglichen Zukunft des ganzen Kontinents geworden: die Finnlandisierung.

In dieser Situation mag es nicht überraschen, daß man auch in Österreich offenbar voll auf die Karte der Entspannung setzt. Ist man sich doch in allen politischen Lagern klar darüber, daß die Entspannung in Europa, zumindest als Formel, unaufhaltsam ist. Was über die diplomatische Aktivität hinaus als Substanz bleiben wird, ist ungewiß. Wer den nun einmal in Bewegung gebrachten Zug wieder verlassen will, läuft Gefahr, daß er nicht nur ohne ihn abfährt, sondern er auch von eventueller Gabenverteilung ausgeschlossen wird.

Den Zug der Zeit sollte man folglich nicht negieren. Was uns nur allmählich von den anderen Passagieren unterscheidet, ist der Umstand, daß wir ohne Gepäck reisen. Während beide Blöcke bestrebt sind, aus wohlgeordneten Bereitstellungen den Weg zum Verhandlungstisch anzutreten, wird man hierzulande das Gefühl nicht los, daß wir uns dieser Notwendigkeit verschließen. Es ist unbestritten, daß der Begriff der Sicherheit, seit der Zeit eines Clau-sewitz, einer enormen Wandlung ausgesetzt war. Die rein militärische Komponente der Sicherheitspolitik ist überholt. Weshalb man etwa diesen Begriff zeitgemäß definieren könnte als „umfassend konzipierten Einsatz aller Kräfte einer Nation zur Verwirklichung der politischen Ziele des Staates gegenüber einer zum Machtgebrauch bereiten Umwelt“.

Das Gleichmaß der Komponenten, relativiert auf die jeweilig vorherrschende Tendenz unter Berücksichtigung eines möglichen Pendelausschlages, scheint das goldene Sicherheitsmaß. In der österreichischen Neutralitätspolitik fällt freilich die Umstellung von der militärischen zur politischen Komponente etwas unharmonisch aus. Auch scheint man den „Pendelausschlag“ nach einem etwaigen Scheitern der Entspannungsbemühungen nicht einzukalkulieren.

Oder soll der Bau einer UNO-City in Wien als alleiniger Beitrag zur Sicherheitspolitik Österreichs verstanden werden? Dabei stören nur die unrealistischen Hoffnungen, die in diesem Zusammenhang angestellt werden. Etwa, daß Wien als Verhandlungsort und Platz der Begegnung zu einer Art internationäl-befriedeter Zone werde; daß die Ansammlung von Diplomaten aus aller Welt geradezu jeden aggressiven Akt gegen dieses Land unmöglich erscheinen lasse. Möglich ist, daß diese Überlegungen am Ballhausplatz angestellt werden; sicher etwa nicht in den Zentren des palästinensischen Widerstandes (um ein Beispiel zu nennen) und vielleicht auch anderswo nicht.

Sollte man daher die UNO-City also nicht doch kleiner dimensionieren und damit Geld sparen — und wäre es da nicht einer Überlegung wert, diese Mittel vielleicht der anderen Komponente der Skherheits-politik zur Verfügung zu stellen — der militärischen Landesverteidigung?

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