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Rekord für den ,Kuckuck'

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Wohlstand auf Pump ist für manche buchstäblich zum Kuckucksei geworden, das sie sich selbst ins Nest gelegt haben: Erst kam der Konsum, dann der „Kuckuck".

Das Jahr 1983 war für ihn ein Rekordjahr. Noch nie hatten die österreichischen Richter über so viele Anträge zur Durchführung von Exekutionen und Zwangsversteigerungen zu entscheiden gehabt.

Fließbandarbeit an den österreichischen Bezirksgerichten: 1983 wurden mehr als 1,2 Millionen Exekutionsanträge behandelt.

Geraten Schuldner mit ihren Rückzahlungen in Verzug, so bleiben den Gläubigern zwei Möglichkeiten, um zu ihrem Geld zu kommen: Bei der Gehaltsexekution werden Lohn oder Gehalt des Schuldners herangezogen, bei der Fahrnisexekution wird der allseits bekannte „Kuckuck" auf bewegliche Güter geklebt. Bei den Zwangsversteigerungen, die rund ein halbes Prozent der Anträge, ausmachen, kommen Liegenschaften unter den Versteigerungshammer.

Rund ein Drittel der Exekutionsanträge des Vorjahres wurden bei Wiener Gerichten gestellt. Das Exekutionsgericht in der Riemergasse sowie die Bezirksgerichte Floridsdorf und Liesing hatten allein in den ersten neun Monaten 1983 an die 280.000 Exekutionsanträge zu behandeln; im Vergleichszeitraum 1982 waren es rund 265.000 Fälle, also eine Steigerung von rund sechs Prozent. Bis Ende 1983 wurden - so eine geschätzte Bilanz — insgesamt rund 375.000 Anträge gestellt.

Im Burgenland kann man dagegen eine Zunahme von „nur" rund drei Prozent feststellen — etwa 36.000 Exekutionsanträge wurden bis Ende November bei Burgenlands sieben Bezirksgerichten gestellt.

Der Zuwachs an Anträgen im Vergleich zu 1982 betrug bei Niederösterreichs 67 Bezirksgerichten gar nur ein halbes Prozent. Doch die Zahl von 142.000 Anträgen auf Durchführung von Exekution oder Zwangsversteigerung bedeutet trotzdem auch für Österreichs größtes Bundesland einen traurigen Rekord.

Für Alois Ramoser, Richter am Oberlandesgericht Wien, ist der Stadt-Land-Unterschied so zu erklären: „Es liegt wahrscheinlich in der Mentalität des am Land Wohnenden: ,Ich kann nur das Geld ausgeben, das ich in der Brieftasche habe.' Schulden machen geht in der Stadt anscheinend leichter!"

Interessant ist wohl auch, daß in den niederösterreichischen Problemregionen wie etwa im Waldviertel oder in der Südbahngegend keine außergewöhnlichen Steigerungsraten zu verzeichnen sind. In manchen blau-gelben Ge-richtssprengeln waren die Exekutionen sogar leicht rückläufig, so in den Bezirken Retz, Laa, Zi-stersdorf, Baden, Mödling und Neunkirchen.

Beachtenswert sind die Zahlen bei den Zwangsversteigerungen: Noch 1982 verzeichnete beispielsweise der Gerichtssprengel Klosterneuburg eine Zunahme um 80 Prozent gegenüber 1981, mehr als die doppelte Anzahl von Zwangsversteigerungen als im Jahr zuvor gab es in den Bezirken Zisters-dorf, Melk und Gloggnitz. Demgegenüber sind die Fälle 1983 fast nicht angestiegen.

Alois Ramoser dazu: „Das Verfahren ist langwierig. Und wegen 2000 Schilling Schulden wird nicht gleich ein Haus versteigert. Trotzdem: Die Gläubiger fahren in letzter Zeit schon lieber mit schweren Geschützen auf — und nicht mehr mit der Gehaltsexekution."

Trotzdem scheint das nur eine kleine Atempause zu sein. „Im kommenden Frühjahr werden die Richter dann wieder mehr zu arbeiten bekommen", glaubt Helmut Kriegler, Direktor der Inkasso-Abteilung des „Kreditschutzverbandes von 1870", einer Gläubigerschutzorganisation, die sich mit der Einziehung überfälliger Forderungen beschäftigt.

„Der Österreicher kauft auf Pump seine Weihnachtsgeschenke, seinen Winter- und Sommerurlaub", zeichnet Kriegler ein wenig schmeichelhaftes Bild. Und er vermutet auch, daß durch die „Ersparnis- und Vorziehkäufe, durch das .Belastungspaket' hervorgerufen", die private Verschuldung steigt. Der Österreicher habe beim Geldausgeben eine leichte Hand und bedenke beim Ausfüllen seines Schecks zu oft nicht die Folgen.

Diese Folgen ihrer privaten

„Verschuldungspolitik" haben auch sehr viele nicht richtig berechnet, als sie in Zeiten der wirtschaftlichen Hochkonjunktur den Gehalt des Ehepartners für die Rückzahlung eines Kredites reserviert haben. Durch den Verlust des Arbeitsplatzes kann sich—wie sich nun zeigt - das Familieneinkommen schlagartig reduzieren.

Auch Post, öffentliche wie private Hausherren, Elektrizitätsund Gaswerke spüren die leeren Haushaltskassen: Denn immer mehr Österreicher bleiben Telefongebühren oder Miete schuldig, lassen den Kassier vor der verschlossenen Wohnungstür stehen, weil sie nicht zahlen wollen oder können.

Jetzt schauen auch Banken und Versandhäuser wieder genauer auf den Gehaltszettel eines Kunden, der einen Kredit aufnehmen will. War in den vergangenen Jahren das Schuldenmachen keine Schwierigkeit, haben Schalterbeamte so mancher Bank nun schon den strikten Auftrag, den Inhabern eines Kontos mit einem deutlichen Minus vor dem Betrag kein Geld mehr auszuzahlen. „Lieber einen Kunden verlieren, als ihm jahrelang nachlaufen zu müssen", will etwa Herbert Barisits, Direktor einer Bank in Deutsch-Wagram im Marchfeld, auf Nummer Sicher gehen.

Geht da Kundschaft verloren, gewinnt eine andere Branche neue Kunden: Inkassobüros haben derzeit — kraß im Gegensatz zur Wirtschaft — Hochkonjunktur.

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