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Relativität

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,JDaheim, wieder daheim“, summte ich vergnügt vor mich hin. Nach zehn Tagen Zentralamerika lese ich auf dem Flug von Amsterdam nach Wien zum ersten Mal wieder österreichische Zeitungen: Es ist alles beim alten geblieben. Udo Proksch ist immer noch nicht da; die bedrängende Frage, ob und wann ein Politiker endlich geht, betrifft diesmal einen anderen, und die EG-Diskussion wird auch um eine Facette bereichert.

Ich schnalle mich an, stelle befehlsgemäß die Rückenlehne des Sitzes gerade und denke, wie Padre Giron gelächelt hatte, als ich ihn fragte, ob er Angst vor dem Sterben habe.

Im Herbst des Vorjahres war auf ihn ein Attentat verübt worden, einer seiner Bewacher wurde erschossen. Padre Giron hat in Guatemala eine Landarbeiterbewegung auf die Beine gestellt und fordert von der Regierung eine Landreform ein. Ein paar Jahre möchte er noch leben, sagte er. Um politisch das zu verwirklichen, was er sich vorgenommen hat.

Nach zwei intensiven Tagen in El Salvador, am Abend im Hotel, beim Essen, äußert ein christdemokratischer Gewerkschafter noch eine private Bitte: Ob es möglich wäre, daß wir seinen beiden Söhnen ein Studium gewährleisten könnten, falls er ermordet wird. Zwei seiner Freunde sind in den letzten Monaten getötet worden: der eine von linken Guerille-ros und der andere von Todesschwadronen. Für die extreme Rechte gelten die Christdemokraten als Kommunisten, weil sie sich für Landreform, Kooperativen und soziale Reformen einsetzen. Die extreme Linke verfolgt sie, weil die Guerilla durch kleine Fortschritte, die evolutionär erzielt werden, die Revolution gefährdet sieht.

So werden auch christdemokratische Bürgermeister ermordet oder durch Todesdrohungen aus ihren Ämtern vertrieben. Neun Jahre Bürgerkrieg haben das Land fast ruiniert, die zu hochgespannten Hoffnungen, die in den christdemokratischen Präsidenten Jose Napoleon Duar-te gesetzt worden waren, wurden bitter enttäuscht.

Als Graham Greene einmal gefragt wurde, warum sich sein schriftstellerisches Interesse so auf Lateinamerika konzentriere, antwortete er nach längerem Nachdenken: Vielleicht läge es daran, daß die Politik in diesen Ländern sich kaum jemals auf einen Machtkampf zwischen gegnerischen Parteien beschränke, sondern meist eine Frage von Leben und Tod sei.

Das ging mir so alles durch den Kopf auf dem Flug von Amsterdam nach Wien.

Auch über die Relativität politischer Probleme dachte ich nach.

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