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Religiöse Wechselwähler

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In den Tratschspalten der Boulevardblätter spürt man neuerdings neben anderen Intimitäten auch den religiösen Bedürfnissen Prominenter nach. Es wurde sogar eine Liste „religiöser Wechselwähler” erstellt. Dort liest man etwa, daß ein bekannter „Schockmaler” Jude geworden ist, ein katholischer, .Plattenmillionär” der moslemischen Gemeinde beitrat und andere aus verschiedensten Berufen sich zum Buddhismus hingezogen fühlten.

Die Frage der Religion ist eine sehr persönliche, und „Konversionen” hat es immer gegeben. Aber Zahl und Art heute geben zu denken.

Die meisten sind in einer christlichen Tradition aufgewachsen. Haben sie dort zu wenig Antrieb für ihr Leben, zu wenige Antworten auf ihre letzten Fragen erhalten? Ein evangelischer Pfarrer, selbst Kolumnist in einer Tageszeitung, hat es unlängst so gedeutet: „Schöpferische Menschen sind eines Christentums überdrüssig, das weithin nur noch informiert und moralisiert, aber keine Inspiration und Erfahrung vermittelt.” Der radioaktive Kern des Christusglaubens sei oft allzu „strahlensicher” verpackt.

Aber vielleicht ist es gar ücht immer die volle Hinwendung zu einer anderen Religion mit allen Konsequenzen, sondern, wie auch sonst bei Wechselwählern, daß nur ein Teil vom Ganzen anziehend wirkt für das momentane religiöse Bedürfnis. In einer pluralen Gesellschaft ist das

Angebot ja auch sonst sehr bunt und die immer neue Möglichkeit der Wahl verlockend. Ob das aber dann im tiefsten noch mit „Religion” zu tun hat, die doch gerade Bindung bedeutet, und auch nur so nachhaltig das Leben prägen kann?

Der bekannte Theologe Johann Baptist Metz, der übrigens ab Herbst an der Wiener Philosophischen Fakultät eine Professur für Weltanschauungslehre übernehmen wird, sieht darin etwas Typisches für den Menschen der Postmoderne. „Große und langfristige Loyalitäten gibt es nicht mehr. Engagement ja, aber bitte mit Umtauschrecht. ” Und was heute als neue „Religionsfreudigkeit” erscheint, nennt er , lieber „Mythenfreudigkeit”. „Religion als kompensatorischer Freizeitmythos hat Konjunktur in unserer post-modernen Welt.” Religion ist willkommen, wenn sie Glücksgewinnung durch Leidvermeidung bringt, Beruhigung vagabundierender Ängste, mythische Seelenverzauberung, wenn sie alle eschatologische Unruhe durch den Traum von immerwiederkehrender Reinkarnation stillegt. Wo aber bleibt dann Gott? Für Metz ist entscheidend für diese neue Sehnsucht nicht die Kirchenkrise, sondern eine mit Religion verbrämte „Gottesmüdigkeit”. Früher hieß ein Schlagwort:, Jesus, ja - Kirche nein.” Heute vielleicht: „Religion, ja - Gott nein.”

Ob das Herz des Menschen sich auf Dauer damit zufriedengibt?

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