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Religion im Bücher-Babylon

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Die Frankfurter Buchmesse, diese auf der Welt einzig dastehende kommerzielle Großveranstaltung in Sachen Geist, hatte wie immer auch ein Motto, einen intellektuellen Aufputz. Er hieß diesmal: Religion.

Und wie immer wirkte der Trubel in den Hallen wie eine die totale Wirkungslosigkeit des Messe-Mottos ausdrückende Karikatur. Das Dauer-Motto der Buchmesse müßte heißen: Babel.

Die freundlichen Herren, die aus, sagen wir, Tokio angereist sind, um ihre, sagen wir, amerikanischen Geschäftspartner zu treffen und Fäden nach, sagen wir, Frankreich zu knüpfen, murmeln geistesabwesend „very inter-esting”, wenn sie um ihre Meinung zum Messe-Motto gefragt werden.

Hunderte emsige Verlagsmenschen aus aller Herren Länder haben die Nase kaum aus der „internationalen” Halle gesteckt und die zwei ebenfalls riesengroßen Hallen mit den Ständen der deutschsprachigen Verlage allenfalls einmal auf der Suche nach einem verlorengegangenen Gesprächspartner durchquert, dafür bedauern die deutschsprachigen Verlagsmenschen, wieder einmal von der Nationen-Halle nichts gesehen zu haben. Ach, so gerne wären sie wenigstens einmal auf ein Halbstündchen in die Kongreßhalle auf dem Messegelände hinübergegangen, wo täglich stundenlang zum Messe-Motto diskutiert wurde, aber sie haben es wieder einmal nicht geschafft. Auch die Verleger religiöser Literatur geben es bekümmert zu.

In der riesigen Kongreßhalle freilich folgen viele hundert junge Menschen mit großem Ernst den Diskussionen auf dem Podium. In seinen besten Augenblicken wirkt das Geschehen in dieser Halle wie etwas mit Folgen, wie ein Aufbruch. Freilich, ein großer Teil dieser jungen Menschen mißt nicht seine sonstigen Engagements an den Ansprüchen der Religion. Für sie ist eher ein Prüfstein der Religion, wie weit diese als Verbündete in Frage kommt, wenn es um den Frieden geht, gegen die Kernkraftwerke, gegen die Nachrüstung, gegen die Umweltzerstörung, gegen die Ausbeutung der Dritten Welt und die Unterdrückung der Frau und noch um so manches.

Ob diese jungen Menschen auch nur auf der Reise von Messe-Motto zu Messe-Motto Station machen? In den Hallen, bei den Verlagen, hat dieses wie jedes Motto und haben auch Frieden und Abrüstung und alles, was man jetzt eben produziert, genau das Gewicht des mit Hilfe dieser Anliegen verkauften bedruckten Papiers. Da wird auf der Umkehr-und auf der Einkehr- und auf der Rettet-die-Welt Welle so gerne geritten wie vorher auf der Sex-und auf der Revolutionswelle, solange die Kasse stimmt.

Angst gibt es. Man kann die Stimmung auf der Buchmesse 1982 mit zwei Worten beschreiben: Uneingestandene Angst. Aber die Angst der Verleger und der Lektoren und sicher auch vieler Autoren ist nicht so sehr die Angst vor den in ihren Büchern beschworenen Gefahren wie die Angst, diese Bücher könnten liegenbleiben.

Doch nicht alle sind so. Auf der Buchmesse kann man beobachten, wie die einen jeden Trend vermarkten, andere die Kurve kratzen und alle paar Jahre ein neues Engagement so überzeugend zur Schau stellen, daß man ihnen beim ersten Mal hereinfällt - aber es gibt auch die Beständigen, die einer Linie treu bleiben, ob sie „in” ist oder nicht, und dazu gehören die Verlage religiöser Literatur.

Mehr noch als das kesse Messe-Motto „Religion von gestern in der Welt von heute” störte die Deutsche Bischofskonferenz, daß sie in der Auswahl der Referenten die „modischen Richtungen in der Theologie begünstigt” sah. Doch darin spiegelt sich auch, was Verlegern religiöser Literatur zu schaffen macht: Das „liberale Sortiment”, also die Mehrzahl der Buchhandlungen, findet nur interessant, was „in der religiös gebundenen Buchhandlung oft eine Reizschwelle überschreitet” (Karl Pichler vom Patmos-Verlag). Beim Freiburger Herder-Verlag (240 religiöse Titel im

Jahr) plädiert Barbara Haem-merle dafür, das kritisierte Messe-Motto positiv aufzufassen: „Alle humanen Werte entstanden in der Vergangenheit.”

Übrigens lesen in der Bundesrepublik Deutschland 15 Prozent der Menschen über 15, sieben Millionen also, mindestens einmal im Monat in einem religiösen Buch — Bibel, Gesangs- und Gebetbücher nicht berücksichtigt.

Die Umgebung, in die das religiöse Buch dabei mitunter gerät, kann es sich nicht aussuchen, wer sich über eine amerikanische Papst-Biographie in Comic-Form, die bald auch auf Deutsch erscheint, mokierte, erfuhr: Der Papst selber war einverstanden, sein Biograph Pater Mieczyslaw Malinski bei der Präsentation am Stand des Comic-Verlages Mar-vel persönlich anwesend.

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