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Religion und Nation im Widerstreit

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„Im Anfang war das Wort“ heißt es am Beginn des Johannes-Evangeli­ums. Dieses Zitat steht auch am An­fang einer Abhandlung des Wiener Soziologen Univ.-Prof. Walter B. Si­mon, denn es geht darin um die Be­deutung der Sprache und um die Rol­le der katholischen Kirche in den Sprachkonflikten der Donaumonar­chie. Die Basis für Simons Arbeit ha­ben Forschungen des amerikanischen Historikers Prof. Paul O’Grady gebo­ten.

„Keine andere Institution hat je so­viel zur Entwicklung der Volksspra­chen sowohl in Europa wie in den an­deren Erdteilen beigetragen wie die katholische Kirche.“ Damit würdigt Simon mit konkreten Hinweisen (Wulfila, Cyril und Methodius) die Rolle christlicher Missionare bei der Entwicklung von Schriftsprachen. Es war keineswegs so, daß man Völker bei der Bekehrung ihrer Kultur und Sprache berauben wollte. Im Gegen­teil: Missionare waren nur selten die „Vorhut des Imperialismus“, tauch­ten meist völlig unabhängig von Er­oberern auf und nahmen oft gegen die imperialistischen Eroberer für die un­terdrückten Eingeborenen Partei.

In vorindustriellen Gesellschaften gab es nach Simon keine Sprachkon­flikte, erst die mit fortschreitender In­dustrialisierung erzwungene Berufs­struktur verlangte zunehmend eine Ausbildung im Gebrauch der Sprache in Wort und Schrift, und damit kam es zu Konflikten. Vorher hatten sich die Herrschenden zwar oft bemüht, ihren Untertanen ihre Religion aufzu­drängen, aber niemals ihre Sprache.

Sprachkonflikte beruhen meist auf inateriellen Interessen, Ideologien oder Mystifizierungen des Begriffs der „Nation“. Kompromisse sind schwie­rig, da die Anerkennung einer Spra­che völlig andere Voraussetzungen schafft. Simon: „Jede Anerkennung einer vorher ausgeschlossenen Spra­che gibt der vorher unterprivilegierten Sprachgruppe eine Monopolstellung, da hier die Unterprivilegierten die vorher privilegierte Sprache beherr­schen und nicht umgekehrt.“

Die österreichische Donaumon­archie mit ihren elf verschiedenen Sprachen bietet Gelegenheit, dieses Problem, das hier natürlich gehäuft auftrat, sorgfältig zu untersuchen und wertvolle Aufschlüsse zu gewinnen.

Um eine friedliche Lösung der Sprachkonflikte war nicht nur die Re­gierung bemüht, sondern auch we­sentliche politische Kräfte: der fort­schrittliche Liberalismus, der interna­tionale Sozialismus und der überna­tionale Katholizismus.

Der fortschrittliche Liberalismus, ursprünglich Hüter der universellen Werte der Aufklärung, tendierte aber bald zu einem besonders engstirnigen, nationalen Chauvinismus. Simon sieht das in der besonderen Interes­senlage der führenden Liberalen (vor­wiegend Akademiker) begründet, die von sprachpolitischen Maßnahmen am meisten betroffen wurden.

Die „nationale Frage“ überrollte aber auch Sozialisten und klerikale Konservative. Simon zitiert den „pes­simistischen Konservativen“ Franz Grillparzer, der bereits die Gefahr er­kannte: „Der Weg der neuen Bildung geht von der Humanität zur Nationa­lität und Bestialität.“

So kam es um die Jahrhundertwen­de quer durch die politischen Lager einmal zu Frontstellungen zwischen nationalen und antinationalen Kräf­ten oder zu Konfrontierungen kleri­kaler Kreise mit Antiklerikalen.

Unterden Sprachen der Donaumon­archie stand die deutsche Sprache (Umgangssprache für etwas mefyr als ein Drittel der Bewohner des cisleitha- nischen Österreich) klar an erster Stel­le.

Die Deutschösterreicher sahen na­türlich in einem gemischtsprachigen Gebiet ihre Berufsaussichten emp­findlich geschmälert, wenn eine zweite Sprache zugeiassen wurde, die sie nicht beherrschten. Hier schlugen sich viele Christlichsoziale auf eine Seite mit den Deutschnationalen, mit de­nen sie zum Teil auch (ein etwas weni­ger ausgeprägter) Antisemitismus ver­band.

Simon zitiert in diesem Zusammen­hang die Mahnung des jüdischen Li­beralen Adolf Fischhof an die Deut­schen der Donaumonarchie:

„Nicht ein Vormund sei er den Völ­kern, sondern ein Vorbild ... Durch

Germamsationsversuche erfüllt der Deutsche nicht seine Kultursendung, sondern weckt nur den Haß der Na­tionalitäten, fördert er die Zwecke Rußlands. Der Sache Deutschlands und dem Interesse Europas dient er nur, indem er den West- und Südsla­wen die Pfade der Selbstentwicklung ebnet.“

FURCHE-Gründer Friedrich Fun­der, der diese Sätze Fischhofs in sei­nem Werk „Vom Gestern ins Heute“ festgehalten hat, meint dort auch, die Geschichte habe die Warnung Fisch­hofs bestätigt.

Auch konservative Klerikale und Christlichsoziale erhoben ihre mah­nende Stimme gegen den zunehmen­den Nationalchauvinismus. Die deutsch-böhmische Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach formulierte es so:

„Deutschland, Du herrliches, mach Dich doch frei von den Einflüsterungen der Deutsch­tümelei.

Achtest sonst kaum unsern Herrn

Jesus Christ, weil er nicht in Pommern geboren ist."

Die rund drei Prozent der Bevölke­rung, die Italienisch als Umgangs­sprache angaben, scheiterten mit dem' Wunsch nach einer italienischen Uni­versität am Widerstand der Deutsch­nationalen. Anderseits forderte die

Bewegung der „Irredenta“ (von „ter­ra irredenta" - „unerlöste Erde“), vorwiegend aus Bildungsbürgertum und Studenten bestehend, den An­schluß der italienischen Gebiete (Trentino, Görz, Triest, Istrien und Fiume) an Italien.

Unter der slawischen Bevölkerung - fast drei Fünftel der Bewohner des cisleithanischen Österreich - gab es pan-slawistische Tendenzen - so Si­mon - nur unter einer Minderheit „nationaler Tschechen“, die mit Ruß­land sympathisierten, sowie unter or­thodoxen Ruthenen oder Westukrai­nern in Ostgalizien und der Bukowi­na, die ihre Religion mit dem Zaren­reich verband.

Während' es vor allem unter den Tschechen mit einem betont antikleri­kalen Nationalismus gärte, waren die Polen und Südslawen gläubige Katho­liken und loyale Österreicher. Trotz­dem waren Konflikte in Südkärnten und in der damaligen Untersteier­mark mit Deutschnationalen, aber auch an der oberen Adria und im Raum Görz mit Italienern keine Sel­tenheit. Aber trotz empfindlicher Be­nachteiligungen hofften die Südsla­wen eher auf eine autonome Einheit im Rahmen Österreichs, während ein südslawischer Staat mit den Serben, in dem die Katholiken in der Minder­heit sein würden, wenig Anziehungs­kraft für sie hatte. Die Religion ging offenbar vor Sprache und Nation.

Die Abhandlung kommt zu dem Schluß, daß die gutgemeinten Lö­sungsvorschläge zur Beilegung der Sprachkonflikte deshalb so wenig Er­folg hatten, weil Liberalsimus, Sozia­lismus und Katholizismus nicht ein­mal imstande waren, die Spannungen in den eigenen Reihen zu bewältigen.

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